1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Amo Magdeburg: Warum dort aus Stiefeln Schmuck entstand

Erinnerungen Amo Magdeburg: Warum dort aus Stiefeln Schmuck entstand

Das Magdeburger Kulturhaus Amo besteht seit 70 Jahren. Es war Heimstätte eines ganz besonderen Zirkels, der aus Stiefeln Schmuck herstellte.

Von vs Aktualisiert: 20.06.2022, 13:31
Amo Magdeburg besteht seit mehr als 70 Jahren.
Amo Magdeburg besteht seit mehr als 70 Jahren. Martin Rieß

Magdeburg - Das Amo war der erste Kulturhaus-Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 7. November 1951 wurde es eingeweiht. Generationen von Elbestädtern feierten hier Stars, Jugendweihen, Fasching, den Jahreswechsel und noch vieles mehr. Aus Anlass des Jubiläums sucht die Volksstimme nun die schönsten Leser-Erinnerungen. Heute schreibt Renate Lutze über den Handarbeitszirkel, der im Amo seinen Sitz hatte:

1960 las ich einen Bericht in der Volksstimme über das Amo, wie viele kreative Zirkel dort bestehen und von der Bevölkerung sehr gut angenommen wurden.

Im ehemaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF, heute Palais am Fürstenwall, Sitz des Ministerpräsidenten) gab es die Gaststätte „Donezk“. Sie wurde unter anderem mit Textilien (links hinten) von der Amo-Gruppe ausgestattet.
Im ehemaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF, heute Palais am Fürstenwall, Sitz des Ministerpräsidenten) gab es die Gaststätte „Donezk“. Sie wurde unter anderem mit Textilien (links hinten) von der Amo-Gruppe ausgestattet.
Foto: H. Reichert

Ich meldete mich an und wurde mit der Zirkelleiterin für kreative Gestaltung, Johanna Richter, bekanntgemacht. Bald merkte ich, dass es für mich die richtige Entscheidung war.

Die Frauen, die sich dort trafen, interessierten sich für alte Handarbeitstechniken wie Sticken, Nähen, Stricken und mehr. Diese Techniken wurden auf verschiedenen Grundmaterialien wie Papier, Leder oder Stoffen modern verarbeitet. Unsere Hanni, wie wir Johanna Richter nannten, hatte immer neue Ideen zu modischen Handarbeiten, die uns bald über die Stadtgrenze hinaus bekanntmachten. So bekamen wir viele Anfragen, ob wir Exponate in Ausstellungen oder in Handarbeitszeitungen veröffentlichen möchten, was wir auch taten. Es folgten viele Einsätze wie bei Bastelnachmittagen für Kinder, Betriebsfestspiele, Arbeiterfestspiele, Weltfestspiele und viele andere Veranstaltungen.

Eine Anfrage kam aus dem damaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft DSF (heute Sitz des Ministerpräsidenten in der Hegelstraße) für die Gaststätte „Donezk“ Gardinen herzustellen, die in Kreuzstich und Siebdruck angefertigt werden.

Wandbehänge im „Donezk“

So entstanden auch andere Exponate, Wandbehänge und ganz besonders drei Trachten: eine Bördetracht, eine Harzer Tracht und eine Altmarktracht. Für die Herstellung wurden wir von Gewandmeisterin Inge Beier aus dem Theater Magdeburg tatkräftig unterstützt. Wir Frauen des Zirkels waren mit einer großen Begeisterung dabei, denn es wurde immer wieder neu genäht und gestickt und, und, und ...

Es beklagte sich keiner, wie viele schlaflose Nächte und Stunden es waren. Wir haben es geschafft. Die Trachten waren fertig, und wir waren einfach stolz. Unsere jungen Zirkelmädchen trugen die Trachten bei jeder Veranstaltung im Amo mit Stolz. Auch gab es Tage, wo es hieß: „Wo bekommen wir das Material für unsere Exponate her?“

Auftritt auch in Berlin

Ideen waren gefragt, so wurden aus alten Stiefelschäften und alten Rondo-Kaffeetüten wunderschöne Handtaschen, Lederschmuck, Armreifen mit Verschiebetechnik. Das Material für den Armreif bestand aus Abfalldraht. Damenstrümpfe mussten herhalten, sie wurden gefärbt, daraus wurden sehr schöne Anstecknadeln in Blütenform gefertigt. Diese Nadeln waren der Renner auf den Basaren. In den Jahren wurde von unserer Hanni eine tolle Modegruppe mit einer eigenen Modenschau aufgebaut. Frauen aus der Gruppe trugen ihre selbst genähten und bestickten Modelle, die alle einmalig waren. Denn die Modelle waren ja nicht von der Stange. Es war eine Modenschau für die werktätige Frau, mit vielen Anregungen zum Selbermachen. Es folgten viele Auftritte, angesagt war der Frauentag, Auslandsreisen in befreundete Betriebe des Sket, Betriebsfeiern und mehr. Ein besonderer Höhepunkt war die 750-Jahr-Feier in Berlin. Wir hatten Auftritte am Alexanderplatz und im Foyer des Palastes der Republik neben der gläsernen Blume.

Dies ist nur ein kleiner Auszug von dem, was ich 26 Jahre lang im Amo erleben durfte. Heute bin ich 84 Jahre alt und begeistere mich nach wie vor für Handarbeiten und kreatives Gestalten.

Eine der Trachten – hier die der Börde. Die Tracht spiegelt die Zeit um 1850 wider und ist heute im Bördemuseum Ummendorf zu sehen.
Eine der Trachten – hier die der Börde. Die Tracht spiegelt die Zeit um 1850 wider und ist heute im Bördemuseum Ummendorf zu sehen.
Renate Lutze