1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Mit Video: Probleme mit Ampeln für Blinde in Magdeburg

Das Schweigen der Ampeln Mit Video: Probleme mit Ampeln für Blinde in Magdeburg

Wer nicht sehen kann, muss sich auf seine anderen Sinne verlassen. Vor allem aufs Gehör. Doch wenn akustische Ampelsignale verstummen, haben Blinde Angst, noch über die Straße zu gehen.

Von Sabine Lindenau Aktualisiert: 07.08.2023, 10:56
Genau auf das Klacken hören und den Taster finden: Für Frank Brehmer ist es längst Routine, Ampeln zu finden. Als Blinder ist er auf akustische Signale angewiesen, wie hier an der Kreuzung Otto-von-Guericke-Straße/Ernst-Reuter-Allee.
Genau auf das Klacken hören und den Taster finden: Für Frank Brehmer ist es längst Routine, Ampeln zu finden. Als Blinder ist er auf akustische Signale angewiesen, wie hier an der Kreuzung Otto-von-Guericke-Straße/Ernst-Reuter-Allee. Foto: Sabine Lindenau

Magdeburg - Klack – klack – klack. Frank Brehmer horcht auf. Das sonore Geräusch ist für den Schönebecker ein wichtiges Signal. Er weiß: Er nähert sich einer Ampel. Souverän meistert der 60-Jährige die wenigen Meter bis zur Kreuzung. Den Blindenstock fest in der Hand haltend.

Mit Video: Darum trauen sich Blinde in Magdeburg abends nicht mehr raus

Obwohl er nicht mehr sehen kann, findet er den Signalknopf schnell. Das Klackern leitet ihn. In dem Moment, in dem daraus ein Piepen wird, weiß er: Die Ampel hat auf Grün geschaltet, er kann die Straße überqueren. Was tagsüber ein sorgenfreies Vorwärtskommen garantiert, wird nach 20 Uhr allerdings zur Gefahr. Dann sind alle Ampeln stumm.

 
Blinde und Sehbehinderte Menschen sind im Straßenverkehr auf akustische Signale angewiesen. In Magdeburg sorgt das für Probleme (Bericht/Kamera: Sabine Lindenau, Schnitt/Sprecher:Christian Kadlubietz).

„Das schränkt ungemein ein.“ Frank Brehmer überlegt genau, ob er abends noch einmal vor die Tür geht. Wenn, dann in Begleitung. Er möchte ja trotz seiner Einschränkung am Leben teilhaben. Zum Sport gehen, ins Kabarett oder ins Restaurant. Manchmal sei dann ein Taxi die einzige Option. „Man weiß sich zu helfen. Aber schön ist es nicht.“

Augenlicht verloren: Mann bei Unfall erblindet

Der 60-Jährige ist nicht von Geburt an blind. Als er im Alter von neun Jahren einen Unfall hat, verliert er das Augenlicht. Nach etlichen Operationen kann mit 18 Jahren wieder sehen. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer. Immer mal wieder erblindet er. Nach einer weiteren erfolgreichen Operation hat er das Glück, von 1984 bis 2008 sehen zu können. „Ich bin sehr dankbar, dass ich die Zeit hatte.“

Lesen Sie hier den Kommentar zum Signal an Ampeln, das abends ausgeschaltet wird

Seinen Lebensmut verliert er in all den Jahren der Schmerzen und Enttäuschungen nie. Sieht eher die schönen Momente. Gesteht aber auch: „Im ersten Moment war ich natürlich verärgert.“ Kein Wunder bei dem Auf und Ab. „Aber ich habe mir gesagt: Du weißt wie es läuft, kennst dich aus, kannst Blindenschrift.“ Und so arrangiert sich Frank Brehmer mit der Situation.

Barrierefreiheit: Viele Hürden im ÖPNV

In seiner Heimatstadt kennt er die Gefahrenstellen. Und auch in Magdeburg, wo der beim Blinden- und Sehbehindertenverband für Verkehr zuständige Schönebecker häufig unterwegs ist, ist ihm nicht alles fremd. „Die größte Hürde ist der ÖPNV“, sagt der 60-Jährige. Es seien nicht bloß die Ampeln. Sondern vor allem eben die Straßenbahnen und Busse.

Weil er eben nie weiß, welche Bahn oder welcher Bus gerade ankomme. „Klar, ich kann fragen. Wenn ich Glück habe, kriege ich auch eine Antwort“, sagt er mit leicht ironischem Unterton. So wie ihm geht es den meisten Blinden und Sehbehinderten in Sachsen-Anhalt. Im Blinden- und Sehbehindertenverband sind nicht ganz 1000 Mitglieder aktiv.

Doch es gebe rund 9000 Menschen in Sachsen-Anhalt, die Blindengeld erhalten. Und demnach auch mit Einschränkungen leben müssen. Darunter ein Großteil älterer Menschen, die erblindet seien.

Hilfe per App: MBV will Fahrzeuge mit Leitsystem ausstatten

Was Frank Brehmer freut: Der Magdeburger Stadtrat hat im vergangenen Jahr beschlossen, alle im Linienbetrieb eingesetzten Fahrzeuge mit einem barrierefreien Informations- und Orientierungssystem (Bios) zu versehen. Die Magdeburger Verkehrsbetriebe sollen die neue Technik bis spätestens November 2025 eingebaut haben. „Halle ist da Vorreiter“, sagt Brehmer.

„Es wäre schön, wenn Magdeburg da ein bisschen Tempo machen würde, da sind wir hier hinterher.“ Das System funktioniere mit einer App. Wenn sich ein Blinder, der die App auf seinem Smartphone hat, einer Haltestelle nähert, erfährt er, welche Bahn kommt und wohin sie fährt. Bios würde sich auch für Ampeln eignen, sagt der Schönebecker. Und hätte gleich mehrere Vorteile.

Die Ampeln wären so lange still, bis sich ein Mensch nähert, der die entsprechende App auf seinem Smartphone hat. „Dann schaltet sich die Ampel für den Moment an und sagt mir, wo sie ist. Wenn ich dann auf der anderen Seite bin, schaltet sie sich wieder aus.“ Das ständige Klackern wäre somit passé.

Akustische Ampelsignale nach Anwohnerbeschwerden abgeschaltet

Doch sowohl in Magdeburg als auch in seiner Heimatstadt Schönebeck werden die akustischen Signale um 20 Uhr abgeschaltet. Dass sie verstummen, hat einen Grund: Anwohnerbeschwerden. Im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr wurde darüber diskutiert.

Die Debatte war aufgekommen, nachdem Tanja Pasewald, Behindertenbeauftragte in der Landeshauptstadt, über die Einschränkungen gesprochen hatte. Wer auf die akustischen Signale angewiesen sei, „kann abends nicht mehr über die Straße gehen, weil er Angst haben muss, er wird vom Auto überfahren“. Sie bedauert nicht nur, dass die Signale um 20 Uhr verstummen, sondern auch, dass das Bios nicht für die Ampeln installiert werden könnte.

„Es gab massive Beschwerden von Anliegern“, erklärte Tiefbauamtsleiter Thorsten Gebhardt den Grund, warum das Signal nur zwischen 6 und 20 Uhr eingeschaltet ist. „Lärmschutz greift ab 22 Uhr. Es ist doch absurd, die Menschen einzusperren, weil einer das Piepen nicht mag“, konnte René Hempel (Fraktion Die Linke) diese Argumentation nicht nachvollziehen.

Und fand Zustimmung in Reihen des Ausschusses. Vorsitzender Mirko Stage (Fraktion Grüne/future!) ließ spontan abstimmen. Alle neun Ausschussmitglieder empfehlen der Verwaltung, die akustischen Signale bis 22 Uhr eingeschaltet zu lassen.

Blinder in Magdeburg nur mit Begleitung unterwegs

Ein klares Zeichen, das auch Frank Brehmer gefällt. Noch verlässt er sich abends auf eine Begleitung, wenn er unterwegs ist. Und das würden auch andere Menschen mit Sehbeeinträchtigungen machen, sagt er. Kein Blinder würde nach 20 Uhr überhaupt noch zur Ampel finden, da es kein Klacken gibt. „Das tut sich keiner an“, ist er überzeugt. Die Gefahr sei einfach viel zu groß.

Doch er wolle nicht nur meckern. In Schönebeck und Magdeburg würden immer mehr Ampeln mit den Signalen ausgestattet, was dazu beitrage, Barrieren weiter abzubauen. Aber: „Beim Bios müssen sie jetzt mal Dampf machen!“

Umgerüstete Lichtsignalanlagen

Drei Ampeln wurden im Jahr 2022 mit einem akustischen Signal für Blinde ausgestattet. Der Knotenpunkt Cracauer Straße/Zuckerbusch wurde am 16. September 2022 in Betrieb genommen, schreibt die Behindertenbeauftragte Tanja Pasewald in ihrem Jahresbericht.

Am Knotenpunkt Bruno-Beye-Ring/Bruno-Taut-Ring/Am Stern wurde das Signal am 8. Dezember 2022 zugeschaltet, der Knotenpunkt Maybachstraße/SO-Rampe Magdeburger Ring am 12. Dezember 2022.

Für 2023 ist die Nachrüstung von vier Ampeln geplant. Dabei handelt es sich um die Knotenpunkte Albert-Vater-Straße/Draisweg, Otto-von-Guericke-Straße/Virchowstraße sowie Albert-Vater-Straße/Magdeburger Ring/Ostrampe. Hier sollen laut Tanja Pasewald jeweils zwei Querungen ausgerüstet werden. Am Knotenpunkt Markgrafenstraße/ Hinter den Holzstrecken sind es vier Querungen, die das akustische Signal erhalten sollen.