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Nach Volksstimme-Bericht Bewegendes Schicksal: Totgeglaubte treffen sich wieder in Magdeburg

Das ist die Geschichte eines Wiedersehens in Magdeburg. Von Bruder und Schwester, die jahrzehntelang keinen Kontakt mehr hatten und glaubten, dass der andere schon verstorben sei. Ein Volksstimme-Bericht hat sie wieder zusammengeführt.

Von Konstantin Kraft Aktualisiert: 19.06.2024, 17:40
Nach Jahrzehnten können sie sich wieder in die Arme nehmen und in die Augen schauen. Anita Nickel und Helmut Kumbier sind Halbgeschwister.
Nach Jahrzehnten können sie sich wieder in die Arme nehmen und in die Augen schauen. Anita Nickel und Helmut Kumbier sind Halbgeschwister. Foto: Konstantin Kraft

Magdeburg - Vor mehr als 80 Jahren sind sie sich das erste Mal begegnet. Das war im Herbst 1942. Anita Annastasia Nickel (82, gebürtige Kumbier) war noch ein Baby, Helmut Kumbier (101) war gerade 20 und schwer verwundet aus dem Krieg nach Magdeburg zurückgekehrt.

„Ich lag im Lazarett in der Stadthalle. Anita war fünf Monate alt. Da habe ich sie das erste Mal gesehen.“ Der Besuch der Schwester schenkte Lebensmut.

Dieses Foto ist gut  acht Jahrzehnte alt.  Anita Nickel sitzt auf dem Schoß ihres Halbbruders Helmut Kumbier.
Dieses Foto ist gut acht Jahrzehnte alt. Anita Nickel sitzt auf dem Schoß ihres Halbbruders Helmut Kumbier.
Foto: Anita Nickel

Gut acht Jahrzehnte später – an einem Wochenende im Juni 2024 – haben sich die Halbgeschwister nun in der Brunnersiedlung in Magdeburg-Sudenburg, wo Helmut Kumbier mit seiner Ehefrau Hannelore (94) wohnt, wiedergetroffen. Sie dachten davor, dass sie einander schon verloren hätten.

„Ich kann kaum beschreiben, wie glücklich ich mich fühle, dass ich Helmut noch einmal wiedersehe“, sagte Anita Annastasia Nickel. Sie wurde im Mai 1942 in Magdeburg geboren, als eine Kumbier. „Wir haben denselben Vater.“ Ihre Kindheit verbringt sie in Salbke, wo die Familie ein Haus hat.

Unbeschwerte Momente: Helmut Kumbier (l.) und Anita Nickel (Mitte) bei einem gemeinsamen Ausflug ins Grüne in Magdeburg.
Unbeschwerte Momente: Helmut Kumbier (l.) und Anita Nickel (Mitte) bei einem gemeinsamen Ausflug ins Grüne in Magdeburg.
Foto: Anita Nickel

Sie erinnert sich an schöne Momente. „Wir sind oft an der Elbe bei Westerhüsen gewesen, mit dem großen Raddampfer gefahren oder ins Kino gegangen. Die Karte hat damals 20 Pfennig gekostet.“ Oder aber sie besuchten den Rummel.

Blick auf den einstigen Würstchen-Verkaufsstand der Familie Kumbier.
Blick auf den einstigen Würstchen-Verkaufsstand der Familie Kumbier.
Foto: Anita Nickel

Der Vater von Helmut und Anita war Schausteller. Er betrieb „Kumbiers erste reisende Thüringer Bratwurst und Würstchen Fabrik“. Helmut half mit, wurde später selbst Schausteller. Und Anita erlebte fröhliche Momente zwischen Fahrgeschäften und anderen Buden auf den verschiedenen Volksfesten der Region.

Flucht in den Westen

In den späten 1940er-Jahren erlebte Anita ihre Einschulung in Magdeburg. Bald danach trennten sich die Wege der Halbgeschwister. Anita verließ mit ihrer Mutter und dem neuen Stiefvater die DDR. „Wir sind über Berlin mit zwei Koffern in den Westen geflohen. Da war ich zehn Jahre alt“, erinnert sie sich.

In Magdeburg erlebte Anita Nickel noch ihre Einschulung.
In Magdeburg erlebte Anita Nickel noch ihre Einschulung.
Foto: Anita Nickel

Für sie sei es schlimm gewesen, ihre Freunde und den Halbbruder zu verlassen. Sie hatte oft Heimweh nach Magdeburg. Anita Nickel ist im Siegerland im südlichen Westfalen aufgewachsen. Nach dem Schulabschluss hatte sie zunächst Hutmacherin gelernt und sich dann zur Floristin ausbilden lassen.

In diesem Beruf arbeitete sie die meiste Zeit ihres Lebens. Nebenher war und ist sie als Künstlerin tätig. Sie ist Mutter und Großmutter, hat drei Kinder und fünf Enkel. In ihrem Leben ist sie 16 mal umgezogen und wohnt heute in einem Seniorenzentrum in Sontra in Hessen.

Anita Nickel als Baby auf dem Arm ihrer Mutter. In etwa so hat Helmut Kumbier sie erstmals gesehen.
Anita Nickel als Baby auf dem Arm ihrer Mutter. In etwa so hat Helmut Kumbier sie erstmals gesehen.
Foto: Anita Nickel

Kurz nach dem Mauerfall – Anfang der 1990er-Jahre – haben sich Helmut und Hannelore Kumbier mit Anita Nickel getroffen. Was da noch keiner wusste – es sollte für viele Jahre das letzte Treffen sein. „Wir haben uns aus den Augen verloren“, so Nickel.

Kontakt hielt sie über all die Zeit mit einer alten Freundin aus Kindheitstagen aus Magdeburg. Die leitete ihr im vergangenen Sommer einen Volksstimme-Bericht weiter, welcher die beiden Geschwister schließlich wieder zusammenführen sollte.

Mehr als 75 Jahre verheiratet

Es ging um die Kronjuwelenhochzeit – also den 75. Hochzeitstag –, den Helmut und Hannelore Kumbier im Sommer 2023 feierten. Sie hatten sich vor mehr als einem Dreivierteljahrhundert beim Rhönradturnen kennengelernt.

Im Sommer 2023 feierten  Hannelore und Helmut Kumbier ihre Kronjuwelenhochzeit (75. Hochzeitstag), die Volksstimme berichtete.
Im Sommer 2023 feierten Hannelore und Helmut Kumbier ihre Kronjuwelenhochzeit (75. Hochzeitstag), die Volksstimme berichtete.
Foto: Konstantin Kraft

Aus der ersten Begegnung wurde schnell Liebe, die ein Leben lang halten sollte. Am 31. Juli 1948 heirateten die beiden. Sie sind bis heute glücklich miteinander, man merkt ihnen die innige Verbindung und Vertrautheit an. Helmut hat bis zum Ruhestand als Schausteller gearbeitet – einen Eiswagen betrieben –, Hannelore unterstützte ihn tatkräftig. Das schweißt zusammen.

Was ist das Geheimnis ihrer Liebe? „Es gab immer mal Zank und Streit. Aber dann darf man sich nicht gleich verlassen, sondern muss miteinander kommunizieren und sich aussprechen“, sagt Hannelore Kumbier.

„Mein Mann ist keiner, der fürs Wechseln ist. Und ich auch nicht.“ Helmut sagt über seine Ehefrau: „Sie ist mein Kronjuwel. In sechs Wochen feiern sie ihren 76. Hochzeitstag.

Aufnahme von der Kronjuwelenhochzeit im Juli 2023: Helmut Kumbier legt den Arm um seine Hannelore. Oberbürgermeisterin Simone Borris gratulierte den Eheleuten.
Aufnahme von der Kronjuwelenhochzeit im Juli 2023: Helmut Kumbier legt den Arm um seine Hannelore. Oberbürgermeisterin Simone Borris gratulierte den Eheleuten.
Archivfoto: Konstantin Kraft

Dieser Zeitungsartikel über ihren 75. Hochzeitstag gelangte über die alte Jugendfreundin zu Anita Annastasia Nickel. Damit wusste sie, ihr Bruder lebt.

„Ich habe mich riesig gefreut. Ich habe gedacht, Helmut sei schon tot. Ich war zu Tränen gerührt, als ich von ihm gelesen habe. Es waren Freudentränen“, sagte sie damals zum Redakteur der Volksstimme.

Wiedersehen in Sudenburg

Ein Kontakt zwischen den Geschwistern wurde hergestellt – nach Jahren der Trennung konnten sie die Stimme des anderen wieder am Telefon hören. Nun kam es zum Wiedersehen.

Mit ihrer Tochter reiste die 82-Jährige nach Magdeburg. Auf dem Hinweg trotzen sie Starkregen und Stau. Schließlich erreichten sie Sudenburg und die getrennten Geschwister konnten sich nach Jahrzehnten wieder wie früher in die Arme nehmen.

In diesem Sommer wollen sie sich noch einmal treffen. Anita Nickel (l.) mit Hannelore und Helmut Kumbier.
In diesem Sommer wollen sie sich noch einmal treffen. Anita Nickel (l.) mit Hannelore und Helmut Kumbier.
Foto: Konstantin Kraft

Bei Kaffee und Kuchen wurden Erinnerungen getauscht, alte Fotos begutachtet und neue, gemeinsame Momente erlebt. „Wir sind zusammen, das ist das Wichtigste“, sagte Anita Nickel.

Es soll nicht das letzte Treffen bleiben. In diesem Sommer will sie ein weiteres Mal anreisen. Um ihrem Bruder zum 102. Geburtstag zu gratulieren sowie zum 76. Hochzeitstag mit seiner Hannelore, die dann zudem ihren 95. Jubeltag feiern kann.