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Bilanz / Ausblick Lutz Trümper sieht kein Baustellenchaos

Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) über Baustellenbelastungen, die Pläne für den Stadtmarsch und das neue Domviertel in Magdeburg:

Von Rainer Schweingel 31.12.2019, 00:01

Volksstimme: Alles redet hier über das Baustellenchaos. Wann ist mit einer spürbaren Verbesserung zu rechnen?

Lutz Trümper: Ich würde nicht von Chaos sprechen.

Ich schon.

Ein paar Entlastungen gab es schon oder treten in Kürze ein. Der Breite Weg am Domviertel ist wieder frei. Der Fernwärmebau auf der Albert-Vater-Straße ist demnächst zu Ende. Die Baumaßnahme in der Schönebecker Straße wird uns allerdings noch das ganze Jahr 2020 beschäftigen, 2021 zum Teil auch noch. Da wollen wir, wie schon gesagt, noch bessere Lösungen finden. Der Tunnelbau soll 2022 fertig sein. Das ist ganz wichtig, weil wir erst dann die Straßenbahn über die B1 bauen können. Dann kommt 2022 der Brückenbau über die Elbe ins Rollen, wo man fast ein Jahr nicht über die Brücken fahren kann. Zusammenfassend kann man sagen: Eine deutliche Entlastung der Baustellensituation wird es nicht vor 2023 geben.

Und bis dahin sollen sich die Magdeburger einfach in Geduld üben?

Nein. Wir müssen uns Gedanken machen, wie man das alles besser kommuniziert, dass man nicht alle drei Tage die Umleitungen ändert und dass die Bauzeiten eingehalten werden. Und wir müssen auch mal die eine oder andere Baumaßnahme weglassen oder sie ins nächste Jahr verschieben.

Stichwort Strombrückenverlängerung. Wird nach dem Gerichtsstreit nun alles noch teurer als die veranschlagten 93 Millionen Euro?

Das ist möglich. Nach dem Gerichtsentscheid haben wir mit der Baufirma Aufklärungsgespräche geführt. Die Firma erarbeitet jetzt einen Plan über die zusätzlichen Kosten durch den Bauverzug. Dieser Plan wird dann von Experten geprüft, ob der Nachtrag berechtigt ist. Wenn das alles vorliegt, muss man über den Nachtrag reden und mit den Fördermittelgebern sprechen, ob sie sich daran beteiligen. Im Moment kann ich noch nichts Konkretes sagen, weil ich nicht weiß, was in dem Nachtrag stehen wird. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es bei der jetzigen Summe bleibt.

Und die Stadt muss zahlen?

Das ist das große Drama, das ich hier sehe. Hier muss gesetzlich etwas geändert werden. Es muss festgelegt werden, dass sich der Preis auch während eines langen Gerichtsverfahrens nicht ändern darf, wenn zwei große Firmen vor Gericht um die Auftragsvergabe streiten. Ich will nichts unterstellen, aber so, wie es jetzt ist, könnten sich Firmen ja auch absprechen und nur deshalb gegeneinander klagen, um am Ende einen höheren Preis erzielen zu können.

Also Finger weg von weiteren großen Investitionen?

Wir haben mit weiteren Schulsanierungen für rund 100 Millionen Euro, der Hyparschale und der Stadthalle bereits weitere große Maßnahmen auf den Weg gebracht. Im Moment aber ist der Markt viel zu überteuert. Derzeit bekommen wir nicht eine Maßnahme im geplanten Kostenrahmen umgesetzt. Alles wird teuer. Das war von zehn Jahren noch anders. Eine weitere Steigerung von Investitionsmaßnahmen ist aus meiner Sicht deshalb nicht umsetzbar und sinnvoll. Ein Beispiel: Wir haben das Siemensgymnasium einst für circa 16 Millionen Euro gebaut bzw. saniert. Dafür bauen wir jetzt eine Grundschule. Eine Grundschule kostet jetzt genauso viel wie früher ein Gymnasium, das zeigt die Relationen der Preisentwicklung.

Bei allem Respekt: Sind bei Streitigkeiten Bauverwaltungen wie die Ihre den Großkonzernen mit einer Armada von Anwälten nicht hoffnungslos ausgeliefert?

Man muss einfach wissen: Ein Tiefbauamtsleiter baut in seinem Berufsleben vielleicht einmal ein solch großes Projekt wie den Tunnel. Die Konzerne aber machen das zeitgleich 20 Mal in Deutschland. Da sind wir einfach unterlegen, übrigens auch die Landesbauverwaltung. Wir können nur dagegenhalten, indem wir noch genauer und noch detaillierter planen und unser Baumanagement noch intensiver vorbereiten und alle begleiten. Das haben wir bei einigen Großbauprojekten vielleicht unterschätzt, auch, weil wir sie in dieser Dimension lange nicht hatten. Kleine Firmen gehen mit uns auch anders um. Sie sind vor Ort und haben auch an weiteren Aufträgen Interesse, also anders, als ein Konzern, der hier nur mal alle 20 Jahre baut.

Stichwort Großkonzern. Magdeburg hat gerade mit dem Enercon-Rückzug einen schweren Schlag zu verkraften. Was können Stadtpolitik und Verwaltung leisten, um die Auswirkungen zu lindern?

Im Moment laufen die Gespräche über den Sozialplan. Darüberhinaus melden sich viele Firmen bei Enercon, die Mitarbeiter bei sich einstellen wollen. Viele werden keine großen Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden. Ob der in der gleichen Qualität und der gleichen Bezahlung sein wird, ist allerdings eine andere Frage. Aber viele Beschäftigte werden Arbeit finden. Trotzdem ist das für den Industriestandort Magdeburg ein schwerer Schlag. Enercon war unser Flagschiff im Maschinenbau. Wir als Verwaltung begleiten den Prozess, sprechen auch mit Arbeitsagentur und Jobcenter, schauen auch, wen können wir vielleicht sogar im kommunalen Bereich einstellen. Es wird Termine der Arbeitsagentur direkt bei Enercon geben, wo sich andere Unternehmen vorstellen können. Ansonsten ist das eine schwerer Schlag. Und ich weiß auch nicht wie es weitergeht. Beispiel ist die Rotorblattfertigung, die war nie infrage gestellt. Jetzt brechen die Aufträge ein, weil es weniger Nachfrage gibt und weil Rotorblätter aus China importiert werden, weil sie dort billiger hergestellt werden können.

Auch vor dem Hintergrund von Enercon. Sie waren vor einem Jahr nicht sonderlich begeistert über die Ansiedlung von Amazon als Konkurrenz zum stationären Handel. Hat sich Ihre Meinung jetzt geändert?

Ich weiß, dass ich da vielleicht ein altertümlicher Mensch bin, weil ich im Netz nichts einkaufe. Ich mache das einfach nicht. Wenn ich etwas kaufe, dann gehe ich in die Stadt, will es anfassen und mich dann entscheiden. Dieses Auspacken und wieder Einpacken und wieder Wegschicken ist nicht meine Sache.

Aber die vieler Magdeburger.

Dass die jungen Leute das trotzdem machen, weiß ich auch, weil es eben auch ein Kostenfaktor ist. Als Stadtverantwortlicher habe ich aber abzuwägen, wie die Innenstadtentwicklung weitergeht und was am Rande der Stadt passiert. Und da ist mir eben die Innenstadtentwicklung wichtiger als der Paketdienst. Aber ich weiß, ich kann ihn nicht verhindern. Wir müssen die Frage beantworten, wie sollen Innenstädte in zehn bis 15 Jahren aussehen. Was passieren kann, sieht man in den kleinen Städten, während die großen noch durchhalten.

Mitte 2020 bekommen Sie einen neuen Wirtschaftsbeigeordneten. Der bisherige scheidet aus Altersgründen aus. Was geben Sie dem Neuen mit auf den Weg?

Wir müssen uns den Themen Digitalisierung und Smart City widmen und uns ebenso um Produktionsfirmen bemühen. Und wir müssen uns um die Wirtschaft kümmern, die schon da ist und hier gewachsen ist und deren Probleme frühzeitig erkennen ...

Was bei Enercon aber nicht geklappt hat.

Ja, aber man konnte es ahnen. Die Umschläge im Hafen sind zurückgegangen und die Lagerflächen waren voller Windräder und Rotorblätter.

Das Gewerbegebiet Rothensee ist voll belegt. Eigentlich, eine gute Nachricht. Was aber machen Sie, wenn noch mal ein großer Investor kommt?

Darauf reagieren wir. Im Moment gibt es erste Prüfungen, ob das früher mal für die BMW-Ansiedlung geplante Gelände am Eulenberg bei Ottersleben als Gewerbegebiet ausgewiesen werden kann. Wir stehen da aber noch ganz am Anfang. Wir verfolgen das aber nur weiter, wenn sichtbar ist, dass sich größere Unternehmen niederlassen wollen. Kleinere Firmen bekommen wir auch anderswo noch unter.

Blicken wir in die Stadt. Das Domviertel ist fast fertig. Die einen sagen, es ist nicht schlecht, die anderen gut, ist es aber auch nicht. Was sagen Sie zur Architektur?

Ich sehe eine ganze Palette und Vielfalt. Wir haben im Vorfeld mit angeschoben, dass die drei Bauherren verschiedene Architekten einsetzen, damit eine unterschiedliche Fassadengestaltung entsteht und nicht alles einheitlich aussieht. Was ich jetzt sehe, gefällt mir. Ich kenne aber auch die Meinung der Magdeburger, die sagt, warum denn nicht alles wieder so aufgebaut wird wie in den 1920er Jahren. Da kann ich nur immer wieder sagen: Das macht kein Architekt. Keiner baut was nach, was vor 100 Jahren gebaut wurde.

Im polnischen Danzig oder am Dresdner Neumarkt aber schon.

Ja, aber als Architekt macht man das normalerweise nicht, weil man seine eigene Kreativität umsetzen will. In unserem Fall ist es eben nicht die ganz große Glasfassade mit Betonriegeln, sondern schon eine Abwechslung. Ich glaube, dass die Architektur das Viertel aufwerten wird. Mir gefällt es jedenfalls hundertmal besser als das, was da vorher stand.

Nun muss es vielleicht nicht die Fassade von 1920 sein, aber etwas Unverwechselbares wäre schön gewesen.

In der Kombination aller neuen Fassaden dort ist das schon etwas Einzigartiges. Am Ende muss ja alles auch von denen, die es bauen, finanziert werden können.

Sie sind auch ein erklärter Verfechter der umstrittenen Stadtmarschbebauung am Stadtpark. Warum?

Diese Fläche war bis zur Zerstörung im Krieg ja schon mal bebaut. Jetzt hat sich die Chance ergeben, dass die Wohnungsgenossenschaft die Fläche aus privater Hand erwerben konnte und dort ein altes Stück Magdeburg in moderner Art und Weise wieder neu entstehen kann. Von dort hat man einen einmaligen Blick auf die Stadt sowie die Abendsonne. Wohnen, Kleingewerbe und neue Aufenthaltsmöglichkeiten sind da möglich. Und deshalb ist das eine gute Sache. Zum Stadtpark gehört die Fläche übrigens nicht. Vorher stand da eine Kleingartenanlage, die von der Öffentlichkeit übrigens nie genutzt werden konnte.

Bei mir waren mehrere Investoren, die die Fläche haben wollten. Ich habe das immer abgelehnt, weil ich gesagt habe, wir machen es selbst, weil wir dann alles in eigener Regie haben mit einer vernünftigen Mischung. Wohnungen könnten Investoren da für eine Million Euro verkaufen. Das wollen wir eben gerade nicht, sondern planen ein Areal ,Leben im Grünen‘ in Kooperation mit dem Umfeld und der Messe und mit Blick auf Verkehr und Hochwasserschutz. Natürlich kann man da nicht für fünf Euro bauen. Das geht heute nirgendwo, auch nicht in Olvenstedt. Von daher sehe ich überhaupt keinen Grund, dagegen zu sein.

Was glauben Sie, wie die Magdeburger über das Vorhaben denken?

Ich denke, die Mehrheit findet es gut. Weil wir auch all dies in eigener Regie haben und alles steuern können.

Mit einer Umfrage könnte man das repräsentativ herausfinden.

Wenn man Pläne hat, unter denen sich die Leute was vorstellen können, kann man das machen. Allerdings hat das Ergebnis keine Auswirkung auf das Verfahren, weil darin ohnehin Bürgerbeteiligung vorgesehen ist.

Kritiker sagen schon jetzt: Magdeburg will klimafreundlicher werden, holzt als Erstes aber Bäume ab, um einen Wohnkomplex in eine Grünfläche zu setzen. Was sagen Sie denen?

Das ist ein Widerspruch, den man bei vielen Bauvorhaben hat. Deshalb muss man den Ausgleich schaffen. Das ist ja eine Bedingung für eine Baugenehmigung. Hier handelt es sich ja nicht um einen gewachsenen Park, sondern um eine Kleingartenanlage mit viel Wildwuchs. Das Ziel ist, weiträumig zu bauen mit viel Grün. Für die Kaltluftschneisen-Diskussion ist der Bau nicht so relevant, weil der Wind meist aus Westen kommt und von dort die Frischluft in die Stadtmitte getragen wird.