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Pandemie Eine Doppelstunde Corona im Magdeburger Stadtrat

Zwei Stunden lang besprach der Magdeburger Stadtrat am 27. Januar 2022 kontrovers und emotional den Umgang mit der Pandemie. Eine Zusammenfassung.

Von Katja Tessnow Aktualisiert: 28.01.2022, 18:44
Dass die aktuell gültige 2G-Regel nur Geimpften und Genesenen Zutritt zu Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen erlaubt, macht aus Sicht von Oberbürgermeister Lutz Trümper unter heutigen Bedingungen „keinen Sinn mehr“. „3G mit Test ist ausreichend. Das muss diskutiert werden.“
Dass die aktuell gültige 2G-Regel nur Geimpften und Genesenen Zutritt zu Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen erlaubt, macht aus Sicht von Oberbürgermeister Lutz Trümper unter heutigen Bedingungen „keinen Sinn mehr“. „3G mit Test ist ausreichend. Das muss diskutiert werden.“ Foto: Ivar Lüthe

Magdeburg - Die AfD spuckt Gift und Galle auf alle Corona-Politik. Im Detail wühlt sie viele Magdeburger Stadträte auf, Kritik inklusive. Dann erinnert der Oberbürgermeister an Leichenberge in Bergamo und New York und auch an ein Magdeburger Opfer, in dessen Traueranzeige die Hinterbliebenen zum Impfen aufrufen.

Am Ende schließen sich 37 Magdeburger Stadträte samt Oberbürgermeister einer Resolution pro Aufklärung und Impfung an und wenden sich deutlich gegen „alle Versuche, durch Desinformation und Wissenschaftsleugnung unsere Demokratie zu destabilisieren und unsere Gesellschaft zu spalten“. Nur die fünf anwesenden Stadträte der AfD und das Duo der Gartenpartei lehnen den Aufruf ab.

Vor der Verabschiedung der Resolution diskutiert der Magdeburger Stadtrat zwei Stunden lang seine verschiedenen Sichten auf den Umgang mit der Pandemie. Die AfD hat eine Aktuelle Debatte zur Lage beantragt. Fraktionschef Frank Pasemann hält einen Abgesang auf alle Versuche zur Pandemie-Bekämpfung. „Die Politik ist kläglich gescheitert.“ Pasemann stellt sich an die Seite der „Spaziergänger“ – viel Bewegung an frischer Luft sei schließlich ein guter Virenkiller – und fordert daneben die Abschaffung sämtlicher Corona-Schutzregeln, die Wirtschaft Kultur und vor allem Kinder und Jugendliche über alle Maßen strapazierten. Die lauter werdende Kritik eben an den spazierenden Kritikern der Maßnahmen nennt Pasemann eine „Diskriminierung Andersdenkender“.

Die Schweigemauer bricht

Der Versuch einer ratsinternen Verständigung aller anderen Fraktionen, auf die erwartbare AfD-Generalabrechnung mit der Corona-Politik mit Schweigen zu entgegnen, scheitert. Neben dem Gartenpartei-Rat Roland Zander erachtet auch Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) eine Schweigemauer als falsche Reaktion auf den Anstoß zur Debatte über ein Thema, zu dem der Rat zwar so gut wie nichts zu entscheiden habe, das aber alle Menschen umtreibe wie aktuell wohl kein zweites. Gartenparteiler Zander bekennt sich zur eigenen Dreifachimpfung und zugleich zu einiger Verzweiflung. Zander zieht zu normalen Zeiten als DJ Feuerstuhl durch die Lande und gibt vor allem auf privaten Festen den musikalischen Unterhalter – als Solounternehmer. Den Job wurde er mit der Pandemie los. „Seit zwei Jahren fahre ich nicht mehr los als DJ zur Arbeit“, so Zander, der froh ist, sich parallel mit einem Hausmeisterservice über Wasser halten zu können. Die „Montagsspaziergänger“ nimmt Zander in Schutz. „Ein paar Chaoten laufen immer mit, aber das sind nicht alles Nazis da auf der Straße.“ Die Kritik an Corona-Regeln oder Impfpflicht sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, so Zander. „Dafür sind wir 1989 auf die Straße gegangen.“

Impfappell an Magdeburg über 60

Trümper versucht den Ausgleich und eröffnet seine Rede mit Erinnerungen an den März 2020. „Damals war meine erste Anordnung, dass der FCM ohne Zuschauer spielt.“ In Magdeburg bleiben die Infektionszahlen zunächst niedrig. „Aber dann haben wir die Bilder aus Bergamo gesehen und aus New York.“ Trümper erinnert an Leichenberge, die dort mit Lkw abtransportiert wurden, an in Plastiksäcken gestapelte Leichname in New Yorker Sammelstellen. „Wir hatten alle Angst. Wer wollte solche Szenarien auch bei uns verantworten?“ Maßnahmen, die heute manchem überzogen vorkämen, seien damals in bester Absicht zum Schutz der Bevölkerung ergriffen worden, so Trümper. Er sei überzeugt, das Impfen habe „dramatisch geholfen“, solche Entwicklungen bei uns abzuwenden. „Ja, man kann auch mit drei Impfungen an der Infektion sterben, aber statistisch ist das eine absolute Seltenheit“, so Trümper. Mindestens allen über 60-Jährigen sage er: „Seid ihr wahnsinnig, euch nicht impfen zu lassen?“ Trümper erzählt von einen gut 60-jährigen SPD-Genossen, der ohne Impfung wenige Wochen nach einer Infektion verstarb. „Die Hinterbliebenen haben einen Impfaufruf in die Traueranzeige geschrieben.“

Trümper pro Öffnung

Was Impfpflicht und Auflagen heute betrifft, plädiert Trümper für Abwarten und vorsichtige Öffnung. „Mit Omikron hat sich die Lage geändert. Die Inzidenzzahlen schüren nur noch Panik, sagen aber nicht mehr viel aus. Wichtig ist die Todesrate und die ist stark gesunken.“ Trümper verweist nach Dänemark, wo G-Regeln trotz 5000er Inzidenz fallen. „Es wird keine vier Monate dauern und wir machen’s wie Dänemark“, glaubt Trümper und rät zu einer schnellen Abkehr von der 2G-Regel für Handel und Gastronomie. 3G und Tests für alle reichten vollständig aus.

„Alle Seiten müssen verbal abrüsten“, fordert die Liberale Carola Schumann. Sie habe Verständnis für Impfskeptiker und Kritik an der Corona-Politik, aber jeder Demonstrant habe auch Verantwortung dafür, mit wem er da „spazieren geht“. Die AfD könne sich ihre Empörung sparen, so Schumann und zur Fraktion gerichtet: „Wenn Sie Ihre Demonstrationen ordentlich anmelden würden, könnten Sie mit Polizeischutz marschieren. Dass Sie es nicht tun, zeigt Ihre wahren Absichten.“

Zwischen Skepsis und Ignoranz

Der Ratsvorsitzende Alexander Pott (Grüne), selbst Mathematik-Professor an der hiesigen Universität, ruft zum Vertrauen in die Wissenschaft auf. Auch Skepsis sei Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit, „aber nicht, einfach alle Erkenntnisse in die Tonne zu kloppen“. Ohne Maske und Impfung in eine Pandemie zu rennen, widerspreche jeder Intelligenz.

„Wir sind alle genervt, getroffen und betroffen“, räumt CDU-Fraktionschef Wigbert Schwenke ein. Er habe Verständnis für Verunsicherung. „Aber ich habe kein Verständnis für die, die das ausnutzen und zum Spalten missbrauchen.“ Ebenso fehle ihm jegliches Verständnis für Menschen, die Corona als bloße Atemwegserkrankung bezeichneten. Auch Schwenke kennt aus dem eigenen Bekanntenkreis schwerste Covid-Verläufe, die in dauerhafte Einschränkungen und bis zum Tode führten. „Mit der Resolution wollen wir ein Zeichen zur Versachlichung setzen.“ Jens Rösler für die SPD und René Hempel für Die Linke schließen sich dem an und bekräftigten, dass der Weg aus der Pandemie nur gemeinsam gelingen könne.

Zum Finale der Debatte tritt noch einmal der AfD-Fraktionschef ans Mikrofon. Pasemann tadelt Demo-Auflagen, lobt die „Spaziergänge“ und verweist auf Impfschäden. Eine Annäherung ist nicht Ziel der von der AfD beantragten Aussprache. Die Ratsmehrheit hält an Vorsorge mit Impfung und Hygiene fest – und manche Regel für diskutabel. „Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung, dass vergleichsweise gut bezahlte Hochschullehrer eine Corona-Prämie brauchen. Die brauchen andere mehr“, sagt der Magdebuger Ratsvorsitzende und Hochschullehrer Alexander Pott.