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Kämpfer wider die Politikverdrossenheit sind selbst mit großen Nachwuchssorgen konfrontiert Freie Wähler ringen um einen Neustart: "Wir sind kein elitärer Verein"

Von Katja Tessnow 22.08.2012, 05:13

Magere zehn Mitglieder zählt der Bund für Magdeburg, die Freie Wählergemeinschaft der Landeshauptstadt, dieser Tage. Immerhin verfügt er über ein Ratsmandat. Altmitglieder ringen über den Gräbern mancher Illusion um einen Neustart.

Magdeburg l Klaus Kutschmann sagt von sich selbst: "Ich bin Lokalpatriot bis zur Unsachlichkeit." Natürlich meine er das etwas scherzhaft, aber wer den bekannten Magdeburger Tierarzt - inzwischen 71 Lenze alt, aber noch immer praktizierend - aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Stadtrat kennt, der weiß wohl, dass ein gerüttelt Maß an Lokalpatriotismus die Basis seiner politischen Arbeit ist. Seit acht Jahren vertritt Kutschmann den Bund für Magdeburg (BfM) als Einzelkämpfer im Stadtrat. "Ich habe zu den Wahlen 2004 und 2009 gedacht, dass wir als Freie Wähler mehr erreichen können. Es hat leider nicht funktioniert." Er habe, sagt Kutschmann, die Illusion gehabt, dass sich in der Zusammensetzung des Stadtrates die Bevölkerung der Stadt Magdeburg widerspiegele und dass gerade die parteiunabhängigen Freien Wähler dazu beitragen könnten. Real verhalf die Aussicht auf ein Ratsmandat dem BfM zwar im Wahljahr zu mehr Mitgliedern, aber die warfen überwiegend flugs das Handtuch, als es nichts wurde mit einem Platz im Stadtparlament.

"Zu Spitzenzeiten waren wir 23", gibt Joachim Köhler zu Protokoll. Köhler - Verwaltungsdezernent an der Otto-von-Guericke-Universität a. D. - ist wie Kutschmann 71 Jahre alt, wie Kutschmann ein promovierter Mann mit Doktor-Titel, wie Kutschmann seit 2004 im BfM engagiert und jüngst zum Vereinsvorsitzenden bestimmt worden. Zwei unruhige Lokalpatrioten im Ruhestandsalter wollen\'s sozusagen noch mal reißen. Sie haben sich den Neustart auf die Fahnen geschrieben und rühren die Werbetrommel. Bisher mit mäßigem Erfolg.

Kutschmann: "Sie glauben nicht, wie schwierig es ist, Leute zum Mitmachen zu bewegen." Viele hätten offenbar schlicht keine Lust auf politisches Engagement, selbst außerhalb der Parteienlandschaft. Andere glaubten, sie könnten ad hoc die Welt verändern und sprängen schnell wieder ab, wenn sie erst die Mühen der Ebene kennengelernt hätten, die Beschwernisse im kommunalpolitischen Alltag, der in vielerlei Hinsicht von landes-, bundes- oder gar europapolitischen Entscheidungen abhängig ist.

Kutschmann und Köhler glauben nichtsdestotrotz an den Wert freier Wählerverbünde gerade fürs lokale Gemeinwohl. "Sachpolitik vor Parteipolitik", heißt einer der Leitsätze aus dem BfM-Programm. Das klingt gut, aber der Umstand, dass sich die Freien Wähler bewusst nicht parteiprogrammatisch bündeln, birgt auch die Gefahr einer Unvereinbarkeit allzu konträrer Ansichten. Anno 2002 bekamen die Freien Wähler das besonders schmerzlich zu spüren. Die Gruppe - damals noch ohne Kutschmann und Köhler - spaltete sich im Streit, woraus wenig später der Bund für Magdeburg hervorging, der in Sachen Wahlerfolge aber bis heute hinter der Freien Wählergemeinschaft der 1990er Jahre zurückbeibt. Köhler: "Freie Wähler müssen zum einen verschiedene Standpunkte aushalten können, sich zum anderen aber auch auf klare Aussagen zu lokalen Problemen einigen können."

Wie schwierig das generell ist, hat Klaus Kutschmann 2009 erfahren müssen, als er sich als BfM-Einzelkämpfer im Rat der CDU-Fraktion anschloss. Kutschmann: "Damit konnte nicht jeder im Verein gut leben und Einzelne verlangten von mir, ich solle, um unsere Unabhängigkeit auch nach außen zu demonstrieren, als fraktionsloser Einzelkämpfer im Stadtrat arbeiten." Das aber wollte sich Kutschmann nicht zumuten. Wiewohl: Er hofft auf die nächsten Kommunalwahlen 2014 und darauf, dass es dann - wie 1994 und 1999 - gelingt, dass Freie Wähler wieder mit eigener Fraktionsstärke (mindestens zwei Abgeordnete) in den Stadtrat einziehen.

Um neue Mitstreiter zu werben, will der BfM künftig regelmäßig zu öffentlichen Diskussionsrunden einladen. Der Auftakt der Reihe ist am 19. September geplant. Dann wird Kutschmann sich und seine Arbeit im Stadtrat gleichermaßen vor- wie auch zur Diskussion stellen. Folgen sollen Runden zur Ordnung und Sicherheit und zur Verkehrsentwicklung in Magdeburg. Zur aktuellen BfM-Programmatik gehören klare Bekenntnisse pro Tunnelbau am Damaschkeplatz und für den Ausbau des Strombrückenzuges.

Kutschmann und Köhler kämpfen weiter darum, dass die Idee von Freier Wählerschaft als einer zupackenden lokalen Alternative zur Parteienlandschaft auch in Magdeburg Realität wird. Köhler: "Wir sind kein elitärer Verein, sondern wollen ein Spiegelbild der Bevölkerung vom Unternehmer bis zum Hartz-IV-Empfänger werden." Kutschmann: "Können wir uns vorstellen, wie ein Hartz-IV-Empfänger heute lebt, welche Probleme ihm im Alltag begegnen?" Kutschmann würde zum Beispiel das gerne aus erster Hand wissen, um solche Erfahrungen gegebenenfalls auch im Stadtrat zum Thema machen zu können.

Kommunalpolitisch interessierte Magdeburger, die sich in keiner Partei wiederfinden, sind eingeladen, Kontakt zu den Freien Wählern aufzunehmen.