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Für Behinderte Ungleiche Chancen in Magdeburg

Magdeburgs Behindertenbeauftragter Peter Pischner zeichnet ein unschönes Bild von der Lebenswirklichkeit behinderter Menschen.

Von Katja Tessnow 03.12.2017, 09:30

Magdeburg l 1993 riefen die Vereinten Nationen den 3. Dezember als Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen aus. Fünf Jahre später, anno 1998, tritt Hans-Peter Pischner sein Amt als Magdeburger Behindertenbeauftragter an. Nach fast 20 Dienstjahren zieht der selbst erblindete Mann ein frustriertes Fazit und beklagt eine zwischen Theorie und Praxis weit geöffnete Schere in Sachen Behindertenrechte. Vor allem die sich verschärfenden sozialen Notlagen Behinderter in Magdeburg und ganz Sachsen-Anhalt bereiten ihm große Sorgen. Pischner gibt der Politik mindestens eine Mitschuld an der Lage. „Es gibt wenig Grund zum Feiern“, überschreibt er sein aktuelles Statement zum Behindertentag.

Die Gruppe, deren Interessen Pischner im Hauptamt vertritt, ist groß: 18.300 Magdeburger sind als Schwerbehinderte anerkannt; das sind 7,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Sachsen-Anhalt leben rund 193.700 Schwerbehinderte; 8,6 Prozent der Bevölkerung – der Bundesschnitt liegt bei 9,5 Prozent. Pischner glaubt nicht, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt durchschnittlich gesünder sind als der Rest der Deutschen, „zumal das Land bundesweit den höchsten Altersdurchschnitt und eine der höchsten Quoten an Pflegebedürftigen hat“. Für Pischner liegt auf der Hand, dass hiesige Behörden eine „restriktive Anerkennungspraxis“ pflegen, heißt: In Sachsen-Anhalt ist die mit einer Reihe von Vergünstigungen und Ansprüchen verbundene Anerkennung als Schwerbeschädigter offenbar schwerer zu bekommen als in anderen Landesteilen.

Habe ein Betroffener diese Hürde genommen, müsse er „mit einer ausgedünnten ÖPNV-Infrastruktur und eingeschränkter gesundheitlicher Versorgung leben“, was auch Magdeburg, aber in erster Linie das flache Land betreffe. Pischner zählt systematisch auftretende Missstände auf: „Das Risiko für Krebs, Herzinfarkt oder Schlaganfall ist in Sachsen-Anhalt am höchsten. Ansprüche auf einen speziellen Behindertentransportdienst oder andere Leistungen hat man hierzulande nicht. Das Blindengeld ist so weit gekürzt worden, dass es den Bedarf der Betroffenen kaum noch deckt.“ Damit nicht genug: Die Arbeitsmarktchancen für Schwerbehinderte seien in Sachsen-Anhalt besonders schlecht, wie die Bundesagentur für Arbeit wiederholt festgestellt habe, so Pischner. Der Anteil behinderter Menschen in Werkstätten, Heimen und Förderschulen liege in der Region höher als anderswo. Allein in Magdeburg arbeiten knapp 1100 Menschen in Behindertenwerkstätten – bei geringer Entlohnung und staatlicher Hilfe zum Überleben (Grundsicherung). Weitere 1000 Bedarfsgemeinschaften mit behinderten Angehörigen leben von Hartz IV.

Barrierefreier und bezahlbarer Wohnraum sei Mangelware und dieser Missstand auch eine Folge verfehlter Landespolitik (keine spezielle Förderung für barrierefreies Bauen).

Es fehle an pädagogischen Mitarbeitern und Sonderpädagogen an den Schulen – kaum Zeit für Inklusion. Von 1500 Magdeburger Schülern mit Förderbedarf geht nur ein Drittel in normale Schulen. Der Bedarf an Förderschulplätzen wächst derweil. Immerhin sei Magdeburg in Sachen Frühförderung und Hortbetreuung für Kinder mit Behinderungen wirklich gut aufgestellt – ein Lichtblick.

Insgesamt aber zieht Pischner ein ernüchterndes Fazit: „Die Gesamtsituation von Menschen mit Behinderungen in Sachsen-Anhalt ist eher kritisch zu sehen.“

Pischner attestiert „erhebliche Einschränkungen der Teilhabechancen“ vor allem auf dem Arbeitsmarkt und bei der sozialen Absicherung und blickt mit Sorge in die Zukunft.