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Barrierefreies Reisen wird einfacher In Magdeburg soll eine neue App demnächst Wege durch den Bahnhof ohne Hindernis aufzeigen

Die Verkehrsgesellschaft Nasa testet in Magdeburg ein Angebot, mit dem künftig hindernisfreie Reiserouten beim Nahverkehr abgerufen werden können. Das ist nicht nur für Menschen mit Handicap wichtig.

Von Petra Waschescio 26.09.2024, 06:30
Die Nahverkehrsgesellschaft in Sachsen-Anhalt, Nasa, testet eine App, die das barrierefreie Reisen leichter machen soll. Marcus Graubner (links) und seine Begleiterin Johanna Michelis geben René Apitzsch von der TU Chemnitz Hinweise zur Verbesserung der App.
Die Nahverkehrsgesellschaft in Sachsen-Anhalt, Nasa, testet eine App, die das barrierefreie Reisen leichter machen soll. Marcus Graubner (links) und seine Begleiterin Johanna Michelis geben René Apitzsch von der TU Chemnitz Hinweise zur Verbesserung der App. Foto: Peter Gercke

Magdeburg. - Hauptbahnhof. Zentraler Busbahnhof. Magdeburg wird zum Testfeld für ein Experiment, das deutschlandweit Bedeutung bekommen könnte. Elf Menschen stehen vor einer Aufgabe, die nur auf den ersten Blick leicht aussieht. Sie sollen sich vom ZOB zu den Gleisen bewegen.

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Auf den ersten Blick deshalb: Die elf Menschen sind in verschiedener Hinsicht in ihrer Mobilität eingeschränkt. Sie sind auf einen Rollstuhl angewiesen, sind sehbehindert oder aus Altersgründen eingeschränkt. Für sie ist die Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln oft ein Problem – Treppen, Bordsteine, holprige Wege sind nur die offensichtlichsten.

Das soll sich möglichst schnell ändern. Und der Test in Magdeburg war eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Ziel: Möglichst vollständig die Gegebenheiten an allen Haltestellen des öffentlichen Personenverkehrs zu erfassen und in die Apps der Verkehrsbetriebe einzuspeisen, so dass Menschen mit einem besonderen Profil die für sie beste Reiseroute abrufen können.

Barrierefrei mit Kinderwagen

Und das gilt nicht nur für Menschen mit einem körperlichen Handicap, sondern auch für Mütter und Väter, die mit Kinderwagen unterwegs sind. Für sie bedeutet das zum Beispiel, dass bei der Indoor-Navigation, Treppen und Rolltreppen ausgeschlossen werden, Stufen nicht höher als 30 Zentimeter sein dürfen und im Fahrzeug eine Multifunktionsfläche benötigt wird.

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Das ambitionierte Vorhaben mit dem offiziellen Namen „Opener next“ ist beheimatet an der Technischen Universität Chemnitz und wird vom Bund gefördert. Angeschlossen sind neun Partner. Einer davon ist die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt GmbH (Nasa) – die einzige Verkehrsgesellschaft in der Runde.

Das Engagement für barrierefreie Reiserouten kommt nicht aus heiterem Himmel. 2021 hatten sich Bundestag und Bundesrat ein hohes Ziel gesetzt. Bis zum 1. Januar 2022 sollte das Reisen in Deutschland mit Bussen und Bahnen barrierefrei sein. Und das wurde sogar im Personenbeförderungsgesetzes festgeschrieben. Vor Ort verantwortlich sind die Verkehrsverbünde.

Jetzt zwei Jahre später ist der öffentliche Verkehr weit davon entfernt, barrierefrei zu sein. Genau genommen stehen die Verantwortlichen gerade mal am Anfang – bei der Bestandsaufnahme.

Reisende sammeln Daten

Und die erscheint wie eine schier unlösbare Aufgabe. „Die Verkehrsverbünde und -betriebe wissen tatsächlich nicht, wie es um jede einzelne Haltestelle bestellt ist. Das zu erfassen, verursacht normalerweise hohen Aufwand und Kosten. Außerdem entsteht beim Begriff Barrierefreiheit oft der Eindruck, das sei nur ein Extra, und eben teuer dazu. Dabei geht es nicht nur um Menschen mit Behinderungen. Am Ende werden wir alle irgendwann alt und möchten uns trotzdem weiter frei bewegen können“, sagt René Apitzsch, Ansprechpartner für das Projekt am Institut für Informationstechnik der TU Chemnitz.

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Der Auftrag an ihn und seine Mitstreiter war deshalb: die Daten möglichst umfassend zu sammeln – und vor allem kostengünstig. Während der ersten knapp dreijährigen Etappe wurde vor dem Hintergrund eine App entwickelt, bei der die Reisenden selbst Eigenschaften einer Haltestelle auf der digitalen Karte „Open Street Map“ eintragen können. Crowd-Sourcing ist der Fachbegriff.

So können Menschen, die ohnehin an einer Haltestelle warten müssen, eingeben, was sie sehen beziehungsweise was fehlt: Gibt es Bordsteine? Sind Dreh- oder Schiebetüren eingebaut, existiert eine feste Plattform oder liegt Schotter, gibt es eine Möglichkeit, sich auf Knopfdruck die Informationen vorlesen zu lassen, wo befindet sich die nächste Tür mit elektrischem Öffner und gibt es Profilplatten für Sehbehinderte?

Inzwischen wurden nicht nur Daten gesammelt, sondern auch Lösungen gefunden wurden, wie die Informationen über die Haltestellen in die Auskunftssysteme der Verkehrsbetriebe importiert und für die Navigation verwertet werden können.

In Magdeburg gab es nun den Pilotversuch für das anspruchsvolle Vorhaben. Funktioniert der Abruf der Daten? Dazu kam eine noch nichtöffentliche Version der Insa-App zum ersten Einsatz. Die Tester traten, ausgerüstet mit einem entsprechend präparierten Smartphone und Fragebögen, ihren Weg vom ZOB zu den Gleisen an.

Positive Resonanz der Tester

René Apitzsch ist zufrieden, auch über die positive Resonanz der Tester. Es habe aber auch Wünsche gegeben, die bisher noch nicht berücksichtigt waren.

„Die Leute wünschen sich unter anderem Sprachausgaben bei der Nutzung der Navigation, damit sie nicht ständig aufs Smartphone schauen müssen“, sagt René Apitzsch. Er hofft, nicht nur diese konkreten Wünsche erfüllen zu können, sondern noch viel weiter zu kommen, zum Beispiel wichtige Informationen in Echtzeit zu übermitteln: Welches Fahrzeug hält an der Haltestelle? Ist ein ebenerdiger Einstieg möglich und ist in dem Fahrzeug noch Platz für einen Rollstuhl?

Bis es so weit ist, werden noch Jahre vergehen. Trotzdem ist auch Alexander Döring, Projektverantwortlicher bei der Nasa, zufrieden mit dem Ergebnis der ersten Projektetappe. „Es war absolut sinnvoll, uns zu beteiligen. Für uns war wichtig, die Bedürfnisse der Menschen erst mal zu verstehen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.“ Und das hat für Döring bei der Erfassung der Haltestellen und der Gegebenheiten über Open Street Map funktioniert.

Ziel sei es jetzt, dass die physischen Barrieren an Haltestellen weiter beseitigt werden. Direkten Einfluss kann die Nasa GmbH darauf nicht nehmen, denn für Haltestellen sind die Kommunen zuständig.

„Das braucht Zeit und Geld“, sagt Döring. „Aber bis es soweit ist, wollen wir wenigstens Informationen geben können, etwa ,hier kann ich barrierefrei umsteigen, hier nicht’.“