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Jugendheim Junge Flüchtlinge in Magdeburg: Ringen um Bildung und Integration

17 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben im Jugendheim in Magdeburg-Olvenstedt. Wie sie dort auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden.

Von Nadia Aronov 14.10.2023, 05:40
Im Jugendheim in Magdeburg-Olvenstedt sind 17 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Farhad (links) ist seit Dezember in Deutschland. Auf dem Foto ist er mit seinem Zimmernachbarn Waliullah Safi, beide 17 Jahre alt, zu sehen.
Im Jugendheim in Magdeburg-Olvenstedt sind 17 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Farhad (links) ist seit Dezember in Deutschland. Auf dem Foto ist er mit seinem Zimmernachbarn Waliullah Safi, beide 17 Jahre alt, zu sehen. Foto: Nadia Aronov

Magdeburg - 17 Jungen, die Kicker spielen, zur Schule gehen, Deutsch lernen und ein schweres Schicksal erlitten haben. Das Jugendheim in Magdeburg-Olvenstedt ist ihr neues Zuhause. Wie sie dort auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden und was den Neuanfang für sie schwer macht.

Wo wäre Farhad Shinwari wohl jetzt, wenn er vor einem Jahr bei seiner Flucht aus Afghanistan nicht in Deutschland gelandet wäre? Hier vermitteln Jugendämter die unbegleiteten Minderjährigen im ganzen Land an Jugendheime. Eines davon befindet sich seit 2016 im Bruno-Taut-Ring. Es beherbergt 17 männliche Flüchtlinge zwischen zwölf und 18 Jahren, die ohne Begleitung nach Deutschland kamen. Im Jugendheim sind sie in drei Wohngemeinschaften in Einzel-, Zwei- und Dreibettzimmern untergebracht.

Wenn die Jugendlichen ankommen, ist der erste Schritt, die deutsche Sprache zu erlernen und eine schulische Ausbildung zu bekommen. Da fangen aber schon die Schwierigkeiten an. Aktuell seien alle Schulen so voll wie nie zuvor, erzählt der Leiter des Jugendheims Taoufiq Elmourabiti. Manchmal müssten die Kinder vier bis fünf Monate warten, nachdem beim Schulamt ein Antrag gestellt wurde. Dann habe das Jugendheim in den ersten Monaten für den Deutschunterricht und andere Wissensgrundlagen zu sorgen. Diese Aufgabe übernehmen oftmals Ehrenamtliche.

Auf Bildung kommt es an

Häufig kommen jüngere Flüchtlinge, die in ihrem Heimatland keine Schule besucht haben und weder lesen noch schreiben können. Der Jugendheim-Leiter wünscht sich, dass die Kinder sofort in die Schule kommen, was in der Realität nicht immer möglich ist. „Bildung ist das A und O. Bis zu fünf Monate nicht zur Schule gehen zu können, belastet die Psyche sehr“, erklärt er. Die Jugendlichen seien dann fast 24 Stunden im Heim. Wenn sie Glück haben, und die Awo zu dem Zeitpunkt einen Deutsch-Kurs anbietet, überbrücken sie damit die Wartezeit.

Die Wartezeit sei aber keine böse Absicht, erklärt Tobias Schütz, Pressesprecher des Landesschulamtes Sachsen-Anhalt. Den Mitarbeitern liege es am Herzen, die Jugendlichen nicht nur schnellstmöglich einer Schule zuzuweisen, sondern auch die zu ihnen am besten passende Schulform zu finden. Dass der Prozess manchmal länger dauert, habe mit den Voraussetzungen für eine zügige Schulzuweisung zu tun.

Ein Nachweis über die ärztliche Erstuntersuchung, eine Meldebescheinigung und Zeugnisse oder Ähnliches, die den Schulbesuch im Herkunftsland dokumentieren – diese drei Dokumente beeinflussen die Wartezeit maßgeblich. Gerade der letzte Punkt vereinfache die Zuweisung, da es eine Orientierung für die Wahl der Klasse und Schulform gibt. Ein anderer Grund für eine lange Wartezeit können auch fehlende Impfungen sein. Flüchtlingswellen ziehen den Prozess auch in die Länge. Die Sprachkenntnisse dagegen beeinflussen die Chancen nicht, erklärt Tobias Schütz.

Mit 18 raus aus dem Heim

Um die Dokumente kümmert sich das Jugendheim. Taoufiq Elmourabiti sieht die Einrichtung als eine Brücke zur Integration und zum eigenständigen Leben. Ab dem ersten Tag wird den Jungen Selbstständigkeit beigebracht. Neuankömmlinge, die 17, also fast erwachsen, sind, machen dann einen Selbstständigkeits-Crashkurs durch. Arztbesuche, Einkäufe, Behördengänge – mit Betreuern gehen die Jungen all diese Wege einmal durch, um später alleine ihre Angelegenheiten klären zu können. Denn mit 18 müssen sie das Heim verlassen.

Wenn ihr Bleibestatus noch nicht geklärt ist, dürften sie auch nach der Volljährigkeit für einige Zeit im Jugendheim bleiben, erklärt Eileen Gummert, stellvertretende Leiterin des Jugendheims. Sie sieht in der Freizeitgestaltung einen weiteren wichtigen Integrationsaspekt. Es werden Ausflüge und Ferienlager organisiert. Die Flüchtlinge seien meist sehr einsam und würden sich so untereinander kennenlernen. Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe werden auch jeden Nachmittag angeboten. Trotz der vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten kann die größte Sorge der Jungen nicht gelöst werden. Sie vermissen ihre zurückgebliebenen Familien. „Das wichtigste Gerät für die Jugendlichen ist ihr Handy. Es ist die einzige Möglichkeit, mit der Familie zu kommunizieren“, stellt Eileen Gummert fest.

Kein Familienkontakt

Farhad Shinwari hat auch seine Eltern und Geschwister in Afghanistan zurückgelassen. Mit einer Gruppe brach er in Afghanistan zu Fuß auf. Vier Monate lang lief er, bis er in Deutschland ankam. „Ich war sehr traurig die ersten zwei Monate, weil niemand von meiner Familie ans Handy ging“, erinnert er sich. Aktuell haben sie Kontakt, und er hofft, sie irgendwann in Deutschland zu sehen, aber leider hat sein Vater keinen Pass.

Farhad fällt es noch schwer, sich auf Deutsch mitzuteilen, er besucht aber bereits die Berufsbildende Schule Hermann Beims. Der 17-Jährige wird dieses Jahr seinen Hauptschulabschluss machen und möchte danach einen Beruf im Bereich Elektronik erlernen.

Für viele junge Flüchtlinge ist die Ungewissheit ein großes Problem. Sowohl das Warten auf eine Meldebescheinigung oder einen Schulplatz als auch der ungeklärte Asylstatus. „Die Ämter sind überlastet, Wartezeiten waren schon immer lang, aber jetzt werden sie noch länger“, berichtet Eileen Gummert.

Beim Sommerfest jüngsten besuchten viele ehemalige Betreute das Heim, viele von ihnen sind in Ausbildung, studieren oder arbeiten. Sie auf eigenen Beinen stehen zu sehen, motiviert die Leiter in ihrer Arbeit am meisten.

Situation minderjähriger Flüchtlinge

2022 gab es laut Bundesregierung 17.657 unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) in Deutschland. Davon war der Großteil über 16 Jahre und männlich, vor allem aus Afghanistan und Syrien. Die Hauptgründe für die Flucht seien Krieg, Gewalterleben, Perspektivlosigkeit. Die Versorgung dieser Flüchtlingsgruppe ist im Sozialgesetzbuch VII geregelt.

Inobhutnahme: Das Jugendamt ist für die unbegleiteten Minderjährigen verantwortlich und stellt das Kindeswohl sicher. Es veranlasst Erstuntersuchungen des Gesundheitszustandes und des Alters und prüft, ob Verwandte in Deutschland vorhanden sind.

Unterbringung: Dann werden die Kinder in einem bundesweiten Verteilungsverfahren an Pflegefamilien, Wohnheime oder Wohngruppen geschickt.

Vormund: Für rechtliche Belange, wie die Asyl-Antragstellung oder ärztliche Angelegenheiten, bestellt das Familiengericht einen Vormund. Das sind beispielsweise ehrenamtliche, möglichst fachkundige Personen oder Mitarbeiter des Jugendamts.

Schulpflicht: Nachdem sie einen Erstausweis von der Ausländerbehörde erhalten haben, werden sie beim Schulamt angemeldet. Dieses weist ihnen dann einen Schulplatz zu.

Asylstatus: Ob Asyl gewährt wird, hängt vom Fluchtgrund, der aktuellen Situation in der Heimat und dem Gesundheitszustand ab. Bis zur Volljährigkeit sind sie vor der Abschiebung geschützt. nr