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Kleingarten Von Sehnsucht und Abstand

Die Lust nach dem Schrebergarten und wie Corona das Gärtnern in den Parzellen beeinflusst.

Von Nico Esche 16.04.2020, 23:01

Magdeburg | Sehnsucht … nach Ruhe, raus aus den eigenen vier Wänden. Die Natur genießen, das Summen von Bienen in den Ohren und den Blick über das geschaffene Werk schweifen lassen. Nicht jeder hat das Glück einen eigenen Garten vor der Haustür zu haben, umso beliebter sind Kleingärten, die sich in den Anlagen Magdeburgs Zaun an Zaun reihen.

Während Bekannte und Freunde Erdbeeren auf ihren Äckern anpflanzen und Buxbäume fit für den Sommer machen, blicke ich neidisch aus meinem 45 Quadratmeter-Apartment auf Gründerzeit-Fassaden. Auch wenn mir der oft zitierte “grüne Daumen” scheinbar nicht in die Wiege gelegt wurde, zieht es mich in jeder denkbaren Minute ins Freie. Besser: Dorthin, wo es nach frisch gemähtem Rasen und Rindenmulch duftet und ich gezogene Gurken abknipsen und Rüben aus dem Boden zupfen kann.

Das geht in Magdeburg vielen so, wie mir Ilka Heinemann vom Verband der Gartenfreunde Magdeburg e.V. erzählt. Rund 640 Hektar Pachtland - mehr als dreimal die Fläche des Rothehornparks - werden unter dem Dach des Verbandes bewirtschaftet. Insgesamt knapp 14.000 Gärten, 225 Mitglieder, 38.000 Gärtner und Gärtnerinnen.

Die Freude an der eigenen kleinen Oase inmitten des Magdeburger Großstadt-Dschungels bricht nicht ab. Das hat einen historischen Hintergrund, erzählt Heinemann weiter. “Die Gartenparzelle bot für vieles einen Ersatz, letztendlich war es ein Rückzugsort für den Einzelnen, für die Familie”. Was vor vielen Jahrzehnten geschätzt wurde, bietet heute eine willkommene Abwechslung des von Corona manipulierten Alltags. “Eine Kleingartenanlage wurde und wird heute noch durch die Gemeinschaft geprägt. Das Vereinsleben, die Gemeinschaft, die gegenseitige Hilfe waren und sind ein großes Plus.”

Nicole Angerstein, Geschäftsführerin der Fraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz, ergänzt: “Zu Zeiten der DDR gab es reichlich Lieferengpässe von Lebensmitteln, wie Erdbeeren oder Trauben. Also sorgte man schlicht selber dafür.”

Ob das auch ein Grund ist, warum es so wahnsinnig viele Schrebergärten in den neuen Bundesländern gebe? “Nicht auszuschließen”, schmunzelt die Politikerin. Blickt man auf die Top 10 an Kleingartenvereinen in Deutschland, befinden sich rund 70 Prozent davon in östlichen Gestaden.

Früh seien Magdeburger Kleingärtner über die Auflagen wegen der Corona-Krise informiert, erzählt Heinemann. Mitgliederversammlungen wurden verschoben, Vorstandssitzungen vertagt. Die wichtigste Information sei jedoch, dass den Pächtern keinerlei Einschränkungen unterlegen waren. Einzig private Osterfeuer wurden untersagt. Auch die von der Regierung bereits bekannten Maßnahmen gelten ebenso für die Nutzung in der Parzelle, wie den Abstand einzuhalten und Gruppenbildung zu unterlassen.

Und das ist auch gut so. So sehr ein jeder Vorkehrungen und Regelungen zur Eindämmung von Corona einhalten sollte, so unmittelbar ist eine Gefährdung der psychischen Situation eines jeden. Frische Luft und das bisschen Alltag genießen? Unabdingbar. 

Ja, wenn nicht jetzt, wann dann? Denn selbst in Zeiten von Corona finden sich noch freie Kleingarten-Parzellen in Magdeburg, die nur darauf warten in Schönheit zu erstrahlen. Vor allem Studierende erkennen die Lust am Ackern und Bepflanzen. “Das Bewusstsein vieler junger Leute hat sich verändert, vor allem, was die Ernährung betrifft,” sagt Nicole Angerstein. Bio fetzt, das wissen die jungen Magdeburger und Magdeburgerinnen. Und wo bekommt man sein Obst und Gemüse noch natürlicher, als aus dem eigenhändig umgepflügten Börde-Boden.

Doch auch unserer intellektuellen Elite ist bereits zu Ohren gekommen, wie entspannt es sein kann die Mittagspause mal nicht im Büro in der Hegelstraße oder den Gemeinschaftsräumen von Uni und Hochschule zu verbringen. Nicole Angerstein dazu: “Die Nachfrage von Doktoren und Professoren steigt stetig weiter an. Sie nutzen die Anlage um den Kopf freizubekommen, eine schöne Entwicklung.”

Allerdings sollte man sich als künftiger Gärtner in Magdeburg beeilen - die Anfrage ist groß. Anlagen wie die in Ottersleben? “Schwer reinzukommen”, so Angerstein. Einen Schrebergarten in der Lerchenwuhne? Stark sein, hier gibt es Wartelisten. Einige wenige stünden laut Verband der Gartenfreunde jedoch noch zur freien Verfügung. Über den Daumen waren zu Beginn des Jahres weniger als 1500 Gärten ohne Pächter.

“Gegärtnert wird wie immer,” sagt Heinemann und weist auf Informationsblätter hin, die über den Verband erhältlich sind. “Der gegen Coronaviren immune Dr. Google ist auch immer ansprechbereit. Das Wissen der vielen Fachberater in den Vereinen kann ebenfalls abgefragt werden. Mit genügend Abstand gibt es auch das Gespräch über den Gartenzaun.”

Bleibt mir noch eine Frage: kann mir noch ein grüner Daumen wachsen oder ist der Kohl schon lange fett? Naja, ich habe andere Stärken.

Gehört Ihr zu den glücklichen, die einen Schrebergarten in Magdeburg Ihr eigen nennen dürfen? Und aus welchen Gründen ackert Ihr euch den Buckel in der Parzelle krumm? Teilt Eure Erfahrungen in den Kommentaren.

Euer Nico Esche