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Klima Magdeburg Kaltluftschneise behindert Eigenheimbau

Ein idyllisch gelegenes Grundstück in Magdeburg-Nordwest wird zum lokalen Klimaschutz-Präzedenzfall.

Von Katja Tessnow 21.08.2018, 01:01

Magdeburg l Eingebettet zwischen den Gartensparten „Wochenend“ und „Gartenglück“ in Magdeburg wohnt der Rentner Horst Krause am Rennetal in beschaulicher Lage. Nur wenige Meter hinter seinem Grundstück mit dem kleinen Einfamilienhaus im Bungalowstil ragen bis zu dreigeschossige Eigenheime auf und auch anderenorts in der Nachbarschaft wurde erst unlängst gebaut. „Alle oder keiner“, sagt Horst Krause und versteht nicht, warum er Teile seines Grundstücks nicht an andere Bauwillige verkaufen darf.

Der betagte Magdeburger erkrankte vor einigen Jahren schwer und kann sein Grundstück nicht mehr bewirtschaften. Interessenten, die hier weitere Bungalows – insgesamt wäre Platz für drei – errichten möchten, stehen vor der Türe. Die Stadtverwaltung Magdeburg lehnte den ersten Bauantrag schon 2015 ab. Zum Oberbürgermeister sei er nicht vorgelassen worden. „Warum gucken sich die Leute, die das zu entscheiden haben, das nicht mal vor Ort an?“, fragt Krause. Der Verwaltung geht es – das wurde im Stadtrat Magdeburg deutlich – in diesem Fall nicht ums Detail, sondern ums Prinzip.

Im Stadtrat ist Horst Krauses Grundstück (1500 Quadratmeter) länger als eine halbe Stunde Thema, denn es taugt zum Präzedenzfall. Erst im März 2018 hat der Stadtrat Magdeburg einen Stadtplan mit markierten Flächen verabschiedet – die sogenannten stadtklimatischen Baubeschränkungsbereiche. Sie wurden als die wichtigsten Magdeburger Kaltluftschneisen ausgemacht, heißt: In andere Siedlungsgebiete strömt durch ebenjene Zonen frische Luft.

Im Detail hat die Stadt Magdeburg die Schneisen noch einmal in Kern- und Randzonen unterteilt. In der Kernzone herrscht Bauverbot. In Randzonen können im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden – bei Auflagen (z. B. flache und weitläufige Bebauung).

Krauses Grundstück im Rennetal liegt überwiegend in der Kernzone einer Frischluftschneise, ein Teil aber auch am Rand. Die Verwaltung empfiehlt dem Rat, die Bebauung abzulehnen. „Wir haben die Baubeschränkungsbereiche eingeführt und müssen konsequent sein“, sagt der Umweltbeigeordnete Holger Platz (SPD). „Wenn wir gleich beim ersten Präzedenzfall einknicken, können wir gleich einpacken.“ Immerhin ginge die Stadt „maßvoll“ mit dem Thema um, in dem sie bestehenden Gebäuden Bestandsschutz gewähre.

Die CDU war schon im März vehement gegen die Einführung der Bauverbotszonen, wurde aber von SPD, Linken und Grünen überstimmt. CDU-Mann Hubert Salzborn erkennt nun zweierlei Maß beim Umgang der Stadt mit der dem konservativen Ratslager ohnehin verhassten Selbstbeschränkung.

Mit Blick auf neue Bauvorhaben im Bereich Lorenzweg/ Steinkuhle, der ebenfalls an einer Kaltluftschneise liegt, sagt Salzborn: „Manche sind eben gleicher als gleich, hier ist es die Stadt selbst. Wir bauen da eine Turnhalle hin und das ganze Baudezernat steht quer zur Kaltluftschneise.“ Vom Bauverbot Betroffenen wie Krause empfiehlt Salzborn den Rechtsweg. Für seinen Fraktionskollegen Michael Hoffmann kommt das Bebauungsverbot einer „kalten Enteignung“ gleich. Sogar Gartenparteiler Roland Zander bittet im konkreten Fall um Gnade: „Das ist ein Privatgrundstück, lasst die Familie da bauen!“

Der Baubeigeordnete Dieter Scheidemann (parteilos) rückt die Sache mit der „kalten Enteignung“ zurecht und erinnert daran, dass die Neuregelung im März viel mehr Lockerung als Verschärfung bedeutet: „Bis wir die Baubeschränkungsbereiche eingeführt haben, war Bauen an diesen Stellen ein absolutes Tabu. Jetzt lassen wir Ausnahmen in der Randzone zu.“

Aus den Reihen von SPD, Linke und Grünen dominieren bebauungskritische Töne. „Wir sind uneins in der Fraktion, aber ich befürchte noch viele Baubegehrlichkeiten, wenn wir das jetzt genehmigen“, sagt die Linke Andrea Nowotny. SPD-Fraktionsvize Falko Grube verweist aufs Wetter und dass es den Wert von Kaltluftschneisen deutlich genug mache.

Als sich die Abstimmung anbahnt, sind die Mehrheiten unklar. Der Umweltbeigeordnete merkt plötzlich an, dass ein Teil von Krauses Grundstück in der Randzone liege und durchaus bebaut werden könne: „Das eine Haus ist nicht das Problem.“ Jetzt haben die Grünen die Nase voll und ziehen die Reißleine: Antrag auf Vertagung; Entscheidung offen.

Rentner Horst Krause kann also womöglich doch noch ein Baugrundstück verkaufen. Die Frage ist, was von den Schneisen übrig bleibt, machen die Einzelfall-Bauten in den Randzonen rasant Schule.