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Emotionale Debatte Neue Unterkunft für Obdachlose in Salzwedel

Wohnungslose bekommen in Salzwedel eine neue Anlaufstelle. Ein bitterer Beigeschmack bleibt.

Von Alexander Rekow 19.03.2021, 01:00

Salzwedel l Wo werden künftig Obdachlose in Salzwedel untergebracht? Nach dem Willen der Linksfraktion zumindest nicht im Wohnblock Uelzener Straße 39a. Die Genossen sehen dort Konfliktpotenzial, weshalb die Fraktion noch vor der Stadtratssitzung am Mittwoch einen entsprechenden Änderungsantrag einreichten. Und wie Marco Heide (Die Linke) in der Sitzung noch einmal bekräftigte, wünsche sich die Fraktion Alternativen von der Stadtverwaltung. Man solle dahingehend nicht nur finanzielle Aspekte betrachten, sondern vielmehr soziale. Fortan entwickelte sich eine teils emotionale Debatte.
Christiane Lahne (SPD) könne mit der Begründung der Linken nicht mitgehen, wie sie sagte. Denn dass nach Auffassung der Linken Anwohner belästigt werden könnten, gehe ihr gegen die Würde der Menschen. „Wollen wir sie (Obdachlose) möglichst an einem Waldrand ansiedeln?“ Wolfgang Kappler (Stadt bis Land) pflichtete ihr bei: „Es geht um Integration.“ Auch Holger Lahne (SPD) konnte sich für den Änderungsantrag nicht erwärmen. Er plädierte dafür, man müsse von der maroden Obdachlosenunterkunft am Martinskamp loslassen. Doch auch er sehe die Uelzener Straße 39a, wie die Linken, nicht vorteilhaft: „Da möchte ich auch ungern wohnen.“
Sabine Danicke (Freie Fraktion) warb indes für den alten Standort am Martinskamp. Dort sei es nicht so schlimm, wie sie es sich vorgestellt habe. Denn kürzlich waren mehrere Stadträte vor Ort, um das Areal zu besichtigen. Für Danicke sei das Objekt mit kleinen Reparaturarbeiten wieder zu nutzen. CDU und AfD hingegen sehen keine Zukunft für die marode Unterkunft.
Wer die Zukunft aber ausschließlich am Martinskamp sieht, ist Christa Rietzschel (CDU), die sich seit rund 30 Jahren ehrenamtlich für Obdachlose in Salzwedel engagiert. Sie wandte sich in einem Brandbrief an die Stadträte, um noch ein Umdenken zu erwirken. „Ich stehe auch weiter für die Armen und Schwachen, werde auch weiterhin für sie sammeln“, schreibt sie, „Aber die Arbeit innerhalb eines Wohnblocks mache ich nicht mit.“ Dort sei schnelles Eskalieren von sozialem Zündstoff absehbar.
„Mit dem Vorhalten zweier einfacher Wohnungen in dem Block (Uelzener Straße 39a) für so aktuell verletzliche Menschen, wie es unfreiwillig Obdachlose nun einmal sind, hätten wir das wirkliche soziale Problem kaum noch im Auge.“ Sie gibt in ihrem Schreiben zu bedenken, dass die Finanzierung zweier Wohnungen und die der Unterkunft keinen Unterschied mache. Dann spricht Christa Rietzschel die Räte direkt an: „Kann man als gewählter Abgeordneter mit seinem Gewissen vereinbaren, einfach zu sagen, die weitere Unterhaltung des Obdachlosenheims sei zu teuer?“ Das wäre aus ihrer Sicht ein „schlechter, ein beschämend billiger Eindruck“. Das bisherige Domizil sei gut und förderlich für einen Neustart. Die Christdemokratin mahnte in ihren Worten noch einmal, wie schnell Menschen in die Obdachlosigkeit rutschen können. „Sanktionen des Jobcenters, Schulden, gekündigtes Mietverhältnis, Scheidung, Arbeitslosigkeit, fehlende Schul- und Ausbildung, listet sie unter anderem auf.
Die Stadträte seien gut beraten, auf die Erfahrungen von Christa Rietzschel zu hören, riet Alke Seibt (Die Linke) und erinnerte eindringlich daran, dass die Ehrenamtliche sonst nicht mehr zur Verfügung stehe. Außerdem könnten es künftig aufgrund der pandemischen Lage mehr Obdachlose geben.
Nachdem der Brief verlesen und etliche Minuten zum Thema debattiert wurde, ließ Bürgermeisterin Sabine Blümel die Katze aus dem Sack: Die Stadt werde anstatt an den Uelzener Straße 39a an der Hansestraße zwei Wohnungen anmieten. Perspektivisch eine Dritte. „Ab morgen werden wir einrichten", versichert Blümel: „Das Martinskamp ist finanziell nicht zu halten, da ist nicht mal fließend Wasser.“
Warum die Bürgermeisterin erst nach einer lang geführten Debatte den Plan der Verwaltung offenbarte, bleibt ihr Geheimnis. Zu befürchten bleibt nun indes, dass Christa Rietzschel ihr Ehrenamt für Obdachlose in Salzwedel deshalb einstellen wird. Es wäre ein herber Verlust.