1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Neues Demenzprojekt in Magdeburg

Uniklinikum Neues Demenzprojekt in Magdeburg

Oft taucht im Krankenhaus die Nebendiagnose Demenz auf. Ein Projekt am Magdeburger Uniklinikum widmet sich dem Thema.

Von Franziska Ellrich 19.07.2017, 01:01

Magdeburg l Eine 80-Jährige kommt in regelmäßigen Abständen in die Magdeburger Notaufnahme. Mal ist ein Bruch der Auslöser dafür, mal Flüssigkeitsmangel. Nach ihrer Behandlung möchte die Patientin, selbst Ärztin, jedes Mal wieder zurück nach Hause. Eines Tages kommt der Rettungsdienst zu ihr nach Hause und die 80-Jährige erklärt vehement: „Ich will nach Hause.“ Dabei ist sie genau dort. Es folgt die Diagnose Demenz. Die Patientin zieht um in ein Pflegeheim und ihre regelmäßigen Behandlungen in der Notaufnahme haben ein Ende.

„Weil sie von da an nicht mehr aus ihrem viel zu hohen Bett zu Hause stürzt, weil jetzt jemand darauf achtet, dass sie auch genügend trinkt“, erklärt Professor Notger Müller vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen am Standort Magdeburg. Notger Müller schildert den Fall der 80-Jährigen symbolisch für unzählige andere Fälle, die sich derzeit in deutschen Krankenhäusern abspielen. 40 Prozent aller über 65-jährigen Patienten in Allgemeinkrankenhäusern weisen aktuellen Studien zufolge kognitive Störungen auf. Das bedeutet: Ihre Denkleistung ist beeinträchtigt. Fast jeder Fünfte leidet dabei sogar an Demenz.

Was nicht immer sofort zu erkennen ist. „Die Demenzkranken bauen sich eine Fassade auf, entwickeln Strategien, damit niemand etwas merkt“, spricht Notger Müller aus Erfahrung. Und gerade das führe bei der Entlassung der Patienten mit Nebendiagnose Demenz zu großen Problemen. Denn sind sie eigentlich wegen eines Bruchs eingeliefert, die Operation ist erfolgreich verlaufen und der Arzt entscheidet, der Patient kann entlassen werden, müssen plötzlich essenzielle Fragen geklärt werden: Kann der Patient zurück in sein Zuhause, braucht er eine Betreuung, ist der Umzug ins Pflegeheim die beste Lösung?

Um diese Entscheidung besser planen und vorbereiten zu können, gibt es jetzt ein neues Projekt unter dem Titel „Wohin“ am Universitätsklinkum Magdeburg. Projektleiter Notger Müller zum Ziel: Ein Entscheidungspfad soll eine fundierte Einschätzung möglich machen, wo der Patient nach der Entlassung am besten aufgehoben sein könnte. „Bei einer stationären Behandlung lernen Ärzte und Pflegekräfte den Patienten über einen längeren Zeitraum kennen und haben die Chance, sich mit der Situation besser auseinanderzusetzen, als es zum Beispiel bei einem kurzen Hausarztbesuch der Fall ist“, erklärt Müller.

Um so einen Pfad für die Behandlungsteams zu entwickeln, der später im Krankenhausalltag auch einfach und effektiv angewandt werden kann, wird jetzt Rehabilitationspsychologin Katrin Jahns jede Menge Interviews führen. Zuerst will sie dabei herausfinden, wie aktuell in puncto Entlassung entschieden wird. Katrin Jahns wird in den kommenden Monaten Ärzte, Pflegekräfte, Patienten und Angehörige befragen. Wenn der Entscheidungspfad entsteht, sollen „unbedingt die Ideen und Vorschläge der Menschen einfließen, die tagtäglich damit zu tun haben“, erklärt Katrin Jahns, die extra für das Projekt an die Uniklinik gekommen ist.

Gefördert wird das Projekt „Wohin“ von der Robert Bosch Stiftung und das vorerst drei Jahre lang. 2020 soll der Pfad stehen. Und bestenfalls nicht nur im Magdeburger Universitätsklinikum umgesetzt werden. Sondern geht es nach Projektleiter Professor Notger Müller, könne der Pfad bundesweit angewandt werden.

Wie wichtig neue Ansätze in Sachen Demenz sind, weiß Rick Pieger. Er ist Pflegedirektor an der Uniklinik und macht deutlich, welche Herausforderung Demenzpatienten darstellen: „Sie brauchen oft besonders viel Aufmerksamkeit, eigentlich einen strukturierten Tagesablauf, manchmal auch Mahlzeiten entgegen dem üblichen Rhythmus.“ Zudem sei für Demenzkranke ein Krankenhausaufenthalt eine besonders stressige und anstrengende Ausnahmesituation.

Rick Pieger zufolge bilde der Pflegeschlüssel auf normalen Krankenhausstationen, die sich nicht speziell mit Demenz beschäftigen, in keinem Fall den Aufwand ab, der mit der Betreuung von Demenzkranken einhergehe. Nur punktuell seien die Pflegekräfte bisher in diesem Bereich geschult. Zudem macht der Pflegedirektor deutlich, dass es hierzulande große Defizite in Sachen Anschlussversorgung gibt. Was passiert nach der Entlassung aus dem Krankenhaus? Ansprechpartner für diese Entscheidung gebe es in Magdeburg bereits beim Netzwerk Gute Pflege, sagt Rick Pieger. Dort arbeiten die lokalen Akteure im Bereich der Pflege zusammen.

Genau solche Kontakte wollen die Mitarbeiter des neuen Projektes nutzen, „Netzwerke aufbauen und vertiefen“, erklärt Notger Müller. Damit im besten Fall schon eine Weile vor der Entlassung klar ist, was kommt beziehungsweise was könnte kommen. Denn der Professor legt Wert darauf, dass die Patienten auch mit dem neuen Pfad in die Entscheidung einbezogen werden sollen. Müller: „Die Entscheidungsfähigkeit muss natürlich berücksichtigt werden, aber wir werden nach möglichen Kommunikationswegen suchen.“

Mit dem Entscheidungspfad soll das Projekt allerdings nicht abgeschlossen sein. Geht es nach dem Projektleiter, wird es im Anschluss eine Auswertung geben. Hunderte Patienten und ihre Angehörigen sollen nach der Entlassung begleitet und befragt werden. Immer vor dem Hintergrund: Wie geht es dem Demenzpatienten danach? Hat sich die Entscheidung, die im Krankenhaus getroffen wurde, positiv ausgewirkt?