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Obdachlos Leben in der Magdeburger Tiefgarage

Wie viele Menschen in Magdeburg obdachlos sind, ist unklar. Einige ziehen das Zelt im Grünen oder die Tiefgarage als Schlafplatz vor.

04.02.2019, 23:01

Magdeburg l Wenn Walter Oberhack in die Tiefgarage geht, nimmt er eine Eisenstange mit. Immer sonnabends, dann braucht er das Auto, um seine Mutter im Pflegeheim zu besuchen. Er wolle nicht wehrlos sein, sagt der 77-Jährige. Er habe Angst. Wenn alles geklappt hat und er mit seinem Auto aus der Tiefgarage fährt, sagt er das seiner Frau, damit sie beruhigt ist.

In Oberhacks Tiefgarage im Magdeburger Süden wohnt ein Mann. Olaf Machner (Name geändert) hat seinen Schlafplatz direkt neben dem Auto des Rentners. Gut auf ihn zu sprechen ist er nicht. Schon länger gibt es Streit. Oberhack sagt, Machner habe ihn schon einmal mit einer Schere bedroht. Eine Anzeige folgte. Einen Monat später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, begründet mit der „Schuldunfähigkeit“ des Beschuldigten. Dieser leide an einer ärztlich attestierten Erkrankung, heißt es im Schreiben der Staatsanwaltschaft.

„Der soll mich einfach in Ruhe lassen“, sagt Machner. Er hat sich eingerichtet in der Tiefgarage. Auf seinem Stellplatz steht ein silberner Mercedes, das Auto seiner Mutter, berichtet er. Die sei im Pflegeheim. Einen Schlüssel für das Auto hat Machner offenbar nicht, auf den Sitzen ist nichts abgelegt. Stattdessen hat Machner sein Leben um das Auto herum ausgebreitet.

Auf der Windschutzscheibe liegen Broschüren, auf der Heckscheibe Zahnpasta, Socken und Handtuch hängen am Seitenspiegel. Vor der rechten Hintertür ist sein Schlafplatz, am rechten Vorderrad liegen Utensilien für sein Fahrrad, mit dem er in Magdeburg herumfährt. Auf einem weiteren Stellplatz lagert er Dinge in zahlreichen Plastiktüten, dort befinden sich auch Nahrungsmittel.

Wie lange er schon im Parkhaus lebt? Wie er seine Wohnung verloren hat? Wie es weitergehen soll? Auch nach einem Gespräch mit Machner bleiben die meisten Fragen offen.

„Das geht schon fast ein Jahr“, sagt Wolfram Lehmann. Er ist Vermieter der Tiefgaragenstellplätze von Oberhack und Machner. Beide hätten die Parkplätze seit Jahren angemietet, auch Machner habe die Miete dafür immer bezahlt. Als er aber bemerkte habe, dass Machner auf seinem Stellplatz wohnt, habe er ihm nach vergeblichen Aufforderungen zur ordnungsgemäßen Nutzung gekündigt. Im Mai oder Juni 2018 sei das gewesen, sagt Lehmann. Wann der Gerichtsvollzieher eine Räumung veranlasse, sei derzeit unklar, berichtet der Vermieter.

Dass die Behörden noch nicht eingeschritten seien, versteht Lehmann nicht. „Da muss doch jemand eingreifen“, sagt er mit Verweis auf die von der Staatsanwaltschaft bestätigte Schuldunfähigkeit. Er fühle sich alleingelassen. Der Mann tue ihm leid, aber die Haus- und Garagenordnung müsse nun mal eingehalten werden. Er bekomme auch Druck von anderen Mietern und Eigentümern der Tiefgarage, sagt er.

Bei der Stadt Magdeburg kennt man den Fall. Sprecher Michael Reif berichtet, Machner habe zuvor ebenfalls in einer Garage gewohnt, die dann allerdings abgerissen worden sei. Damals hätten Sozialarbeiter vergeblich versucht, den Mann zu überzeugen, in die Buckauer Obdachloseneinrichtung zu kommen. In den Jahren zwischen 2014 und 2016 habe er dort bereits gewohnt. Reif sagt, die zuständigen Behörden gingen von einer „freiwilligen Obdachlosigkeit“ aus. „Ein zwangsweises Einschreiten gegen den Willen des Betroffenen, kommt im konkreten Fall derzeit nicht in Betracht.“

Ortswechsel. Ein Zelt im Grünen, unweit der Elbe, ebenfalls im Magdeburger Süden. Erna Gaber (Name geändert) kann aufs Wasser schauen, wenn sie ihr Zelt öffnet und hinaus lugt. „Ich will keine Wohnung“, sagt die 50-Jährige. Sie wolle überhaupt nichts mit Ämtern zu tun haben. „Machen Sie hier, machen Sie da, immer dasselbe.“ Einen Job mit Lacken und Farben habe man ihr angeboten. „Das ist doch keine Arbeit für ein Bauernkind“, sagt Gaber.

Vor fünf Jahren habe sie ihre Wohnung verlassen. „Ich bin dort vereinsamt, hatte keine Möbel und auch sonst nichts zu verlieren, da bin ich einfach weg“, berichtet Gaber. Seit dem vergangenen Frühjahr kampiere sie nun hier. Etwas Hilfe bekomme sie von Leuten vom Libertären Zentrum in Salbke. „Ich kann mich nicht beschweren“, sagt Gaber. Einst sei sie froh gewesen, eine Wohnung zu haben. Heute sei sie froh, dass sie keine hat.

Stadtsprecher Reif betont: „In Magdeburg muss niemand obdachlos sein.“ Fehlende Wohnungen seien nicht das Problem. Auch in der Obdachlosenunterkunft in der Basedowstraße seien Plätze frei. Auch bei länger anhaltenden Frosttemperaturen hätten die dortigen 88 Plätze immer ausgereicht, sagt er.

In der Magdeburger Bahnhofsmission: Es sei egal, wie kalt es diesen Winter werde, sagt Tino Mering (Name ebenfalls geändert). In die Obdachlosenunterkunft in der Basedowstraße gehe er nicht. Dort habe man keine Privatsphäre, sagt der 38-Jährige. Außerdem habe er Angst, dort von anderen attackiert zu werden.

Lieber schlafe er mit seiner Freundin im Zelt im Magdeburger Norden. Wenn es ihnen zu kalt werde, würden sie im Bahnhofsgebäude „pennen“. Oder vor der Bahnhofsmission. Oder im Vorraum einer Sparkasse. „Da schlafen viele“, sagt Mering.

Bei der Sparkasse wissen sie das. „Das ist ein schwieriges Thema“, sagt Mathias Geraldy, Sprecher der Sparkasse. Er betont: „Die SB-Zonen sind für unsere Kunden da.“ Durch Obdachlose komme es dort teilweise zu extremen Verunreinigungen, sagt Geraldy. Deshalb behalte man sich vor, SB-Zonen zu schließen.

Die nächtliche Schließungen der Räume am Alten Markt und am Hasselbachplatz seien allerdings auch auf Vandalismus zurückzuführen. Vorkommnisse habe es auch in den Filialen in Buckau und an der Halberstädter Straße gegeben, berichtet der Sparkassen-Sprecher. Obdachlose, die sich in Filialen aufhielten, würden darauf hingewiesen, dass es in der Stadt ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten gebe. Teilweise habe man auch Sozialarbeiter eingeschaltet, sagt Geraldy.

Wie viele Obdachlose es in Magdeburg gibt, weiß auch Florian Sosnowski nicht genau. Seit zweieinhalb Jahren ist er Leiter der Bahnhofsmission. Er sagt, die Gründe, wieso Menschen obdachlos werden, seien vielfältig. Oft spielten Suchtprobleme und psychische Probleme eine Rolle, aber auch Beziehungsprobleme und Schamgefühle. „Viele wären Leistungsempfänger, wenn sie sich drum kümmern würden“, sagt er.

Sosnowski betont, die Obdachlosenunterkunft in der Basedowstraße komme nicht für jeden in Frage. Er wünscht sich, dass die Stadt sich mal mit den sozialen Trägern zusammensetze, um über neue Angebote nachzudenken. Angebote, die niedrigschwelliger sind. Und dann gebe es noch ein Problem, ein ganz grundsätzliches: „Wir brauchen mehr Akzeptanz, dass es diese Menschen in Deutschland gibt.“