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Stadtbibliothek Raubkunst: Was aus den Magdeburger Büchern aus Georgien wurde

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind Tausende Bücher aus Magdeburg in die Sowjetunion gebracht worden. Ein Teil von ihnen gelangte nach Georgien.

Von Martin Rieß 18.11.2023, 05:20
Bereits restauriert und gebunden wurde die erste Ausgabe des Jahres 1919 der „Magdeburger Illustrierten Woche“.
Bereits restauriert und gebunden wurde die erste Ausgabe des Jahres 1919 der „Magdeburger Illustrierten Woche“. Foto: Stadtbibliothek Magdeburg

Magdeburg - Ein wahrer Krimi spielte sich Mitte der 90er Jahre rund um Altbestände der Magdeburger Stadtbibliothek ab: Nachdem nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vielzahl von Kunst- und Kulturgütern in die Sowjetunion gebracht wurden, waren nach Jahren der Geheimhaltung einige Nachfolgestaaten bereit, Objekte wieder zurückzugeben. Unter anderem kehrten – in einem guten Zustand – Bücher aus Armenien nach Magdeburg zurück.

Gänzlich anders sah dies bei Büchern aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Georgien gebracht worden waren. Sie waren dank des Eigentumsstempels der Stadtbibliothek Magdeburg eindeutig zu erkennen und kehrten in den Jahren 1995 und 1996 aus der Kaukasusrepublik zurück. Nur: Einfach in den Bestand einsortieren konnte man diese Bücher nicht.

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„Die restituierten Bücher waren offensichtlich nicht sachgerecht gelagert worden und wiesen nach der Rückgabe unter anderem teilweise starke Verschmutzungen, Beschädigungen am Bucheinband und Schimmelpilzbefall auf“, erinnert Bibliothekssprecher Maik Hattenhorst an den Zustand der Bücher. Über Jahre geschah erst einmal nichts, denn die Instandsetzung von Büchern ist ein aufwendiges Unterfangen. In der Folge eines Stadtratsbeschlusses war es dank Fördermitteln der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts im Jahr 2021 dann aber möglich, die Bücher von einer Spezialfirma mechanisch reinigen zu lassen.

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Grober Schmutz, Staub und Schimmelpilzbefall sind von den äußeren Flächen der Bücher und innen an den Vorsatzblättern vorn und hinten entfernt worden. In einem begleitenden Projekt wurden die schließlich gesäuberten Bücher von September 2020 bis Juni 2022 systematisch wissenschaftlich gesichtet, dokumentiert und erfasst. Ziel ist es, insbesondere „Magdeburgica“ – dabei handelt es sich um Druck-Erzeugnisse mit einem Bezug zu Stadt oder Region – und besonders seltene Bücher dem Magdeburger Publikum wieder zugänglich zu machen und Lücken im historischen Bestand zu schließen, erläutert Maik Hattenhorst.

Schimmel bleibt ein Problem

Gereinigt und erfasst wurden etwa 11.000 Exemplare. „Von Schimmelpilzbefall allerdings sind auch nach der Trockenreinigung nicht wenige dieser Bücher weiterhin betroffen“, berichtet Maik Hattenhorst.

Bei etwas mehr als 1.000 Exemplaren handelt es sich um alte Drucke bis zum Erscheinungsjahr 1800 sowie um regionalkundliche Bücher vor und nach 1800. Der Löwenanteil von mehr als 9.000 Büchern stammt aus der Zeit nach 1800, doch auch mit diesen Exemplaren lassen sich Lücken im historischen Bestand schließen; hinzu kommen Doubletten. Immerhin annähernd 8.000 Exemplare der Georgien-Bücher befinden sich in einem guten oder hinreichend guten Zustand, der es erlaubt, sie nach einer Katalogisierung wieder in ein Bibliotheksregal zu stellen. Die restlichen Bände benötigen weitere erhaltende Maßnahmen, wobei insbesondere 329 von ihnen als unbedingt erhaltenswert eingeschätzt werden. „90 Prozent des Georgien-Bestands sind in deutscher Sprache verfasst, in den übrigen Ausgaben sind allerdings mehr als 20 Sprachen vertreten, worin sich nicht zuletzt die thematische und inhaltliche Bandbreite des Bestands der Stadtbibliothek bis 1945 widerspiegelt“, erläutert Maik Hattenhorst den Stand der Dinge.

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Zu den ältesten Exemplaren im Georgien-Bestand der Magdeburger Bibliothek zählt die lateinisch abgefasste juristische Doktorarbeit „Dissertatio Inauguralis Juridica, De Juribus Peculii Militaris“ von Christoph Conrad Baumgärtner und Nicolaus Christoph von Lyncker, die 1697 in der Universitätsstadt Jena beim Buchdrucker und Verleger Johann David Werther erschien.

Geschichte der Region Magdeburg

Einer der interessantesten Funde ist ein Band von Johann Michael Roth, der 1756 in Augsburg erschien. Das großformatige opulent illustrierte Werk der Druckkunst berichtet mit dem Erdbeben von Lissabon über eine der großen Naturkatastrophen der europäischen Neuzeit und ist sowohl sehr selten als auch antiquarisch wertvoll. Bei einigen der zurückgekehrten Bücher handelt es sich um inzwischen nahezu unbekannte Werke wie Friedrich Wilhelm Hildebrandts „Moses im Zuchthause. Drama in fünf Acten“, um 1878 im Magdeburger Druckhaus Friese erschienen.

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„Hervorzuheben ist auch der Fund von einigen wenigen Exemplaren der ,Mitteldeutsche Frauen-Zeitung für Frauenarbeit und Frauenwirken‘, des damaligen ,Frauen-Verbandes der Provinz Sachsen‘ aus dem Jahr 1930, da auch in anderen Bibliotheken nur wenige Ausgaben eines solchen Zeugnisses politisch-gesellschaftlichen Wirkens in unserer Region vorhanden sind“, berichtet Maik Hattenhorst.

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Der Wert der einzelnen Exemplare für die Stadtbibliothek Magdeburg ermisst sich aus ihrem jeweiligen Stellenwert als Kulturgut für das historische und kulturelle Erbe von Stadt und Region, etwa wenn sich Reihen nun durch bisher fehlende Exemplare schließen lassen. Der Zuwachs an sogenannten „Magdeburgica“ bemisst sich auf etwa 700 Exemplare mit konkreten Bezügen zu Stadt und Region.

Suche nach Paten zur Restaurierung der Magdeburger Georgien-Bücher

Auch aus Anlass ihres 500-jährigen Bestehens im Jahr 2025 lädt die Magdeburger Stadtbibliothek Interessierte ein, sich in Form von Buchpatenschaften zu engagieren. „Mit den jeweiligen Spenderinnen und Spendern versuchen wir, an die Öffentlichkeit zu treten und planen auch eine dauerhaft sichtbare, ehrende Erwähnung in unserem Haus“, erläutert der Magdeburger Bibliothekssprecher Maik Hattenhorst.

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Verschiedentlich haben auch schon Vereine und Institutionen ihr Interesse erklärt, so wird etwa bei Führungen und Veranstaltungen gesondert auf diese Möglichkeit des Engagements hingewiesen. Die Bibliothek hofft, bis zum Höhepunkt des Jubiläums im November 2025 weitere Spender gewinnen zu können und hält hierfür eine Auswahl an „Magdeburgica“ aus unterschiedlichen Epochen bereit, in deren Fällen eine Restaurierung wünschenswert ist.

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Im Falle der auf dem Foto abgebildeten „Magdeburger Illustrierten Woche“ macht Maik Hattenhorst deutlich: „Ohne die Restaurierung hätte auch die Ausgangsqualität des Papiers der Ausgaben der Zeitschrift in absehbarer Zeit ein Ende gesetzt.“