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Rentenrecht Geschieden und benachteiligt

Frauen, die sich zu DDR-Zeiten haben scheiden lassen, müssen heute von weniger Rente leben. Eine Magdeburger Initiative kämpft dagegen.

Von Franziska Ellrich 22.11.2017, 00:01

Magdeburg l Ungeduldig warten die mehr als 20 Frauen an der großen Kaffeetafel in der Beratungsstelle der Caritas am Hasselbachplatz. Die Frauen gehören zum Verein der in der DDR geschiedenen Frauen. Es ist der letzte Dienstagnachmittag des Monats und für die Frauen damit wieder Zeit für „den Kampf um Gleichberechtigung“. Die Initiativgruppe Magdeburg leitet Hanna Kirchner. Die 79-Jährige fasst in wenigen Worten zusammen, worum es den Frauen geht: „Wir kämpfen darum, dass endlich unsere Lebensleistung anerkannt wird.“

Hanna Kirchner spricht von Vereinsmitgliedern, die 45 Jahre ihres Lebens gearbeitet haben und jetzt als Rentnerinnen eine Grundversorgung beim Amt beantragen müssten. Es gehörten mal viel mehr Frauen zu der Magdeburger Gruppe, doch ein Großteil ist bei den monatlichen Treffen des Vereins nicht mehr dabei. Hanna Kirchner kennt die Gründe: „Einige glauben nicht mehr, dass wir unser Ziel erreichen und andere sind bereits verstorben.“ Der Rest der Mitglieder bleibt „optimistisch und kämpferisch“. Das Alter der Frauen liegt zwischen 60 und 89 Jahren.

Offensichtlich warte die Regierung auf eine „biologische Lösung“. Die Frauen ziehen ihre Schlüsse aus der „jahrelangen Hinhaltetaktik der Politik“. Hanna Kirchner nennt erschreckende Zahlen: Von den einst 800.000 betroffenen Frauen seien nur noch rund 300.000 am Leben. Doch zumindest diese Frauen können jetzt neuen Mut schöpfen. Die Vereinten Nationen haben sich zu dem Problem geäußert. Auf einer Sitzung im Frühjahr dieses Jahres in Genf forderte der UN-Frauenrechtsausschuss CEDAW Deutschland dazu auf, das verbliebene Unrechtsverhältnis aus der Wiedervereinigung gutzumachen. Bis Ende 2018 soll sich das Land positionieren. Dem Verein der in der DDR geschiedenen Frauen zufolge könnte das Unrecht zum Beispiel mit steuerfinanzierten Mitteln außerhalb des Rentensystems wiedergutgemacht werden.

Um das zu erreichen, sollten jetzt alle Parteien noch einmal angeschrieben und verschiedene Bundespolitiker eingeladen werden, schlägt Gerlinde Scheer auf der jüngsten Versammlung der Initiativgruppe vor. Sie hat sofort die Mitglieder auf ihrer Seite. „Wir müssen um unser Recht kämpfen, das wir uns zu DDR-Zeiten erarbeitet haben“, sagt Helga Scheide. Sie betont: „Wir wollen endlich ernst genommen werden, wir haben nicht unendlich Zeit.“

Wie viel Rente die Frauen genau ausgezahlt bekommen, die Jahrzehnte lang als Lehrerin, technische Zeichnerin, Krankenschwester oder Verkäuferin gearbeitet haben, darüber wollen sie nicht sprechen. Doch Hanna Kirchner macht deutlich: Den meisten Frauen würden nur rund 200 bis 300 Euro am Ende des Monats zum Überleben bleiben, der größte Teil bekomme einen Betrag weit unter der Armutsgrenze von rund 960 Euro überwiesen. Woran das unter anderem liegt: Die in der DDR geschiedenen Frauen, die wegen der Kindererziehung oder Pflege ihrer Angehörigen, zeitweise weniger arbeiteten, konnten mit einem monatlichen Betrag von drei Mark ihre spätere volle Rente nach DDR-Recht absichern. Jedes Beitragsjahr entsprach einem Arbeitsjahr. Doch mit dem Westrentenrecht wurden auch diese Jahre als Verdienst gewertet. Das bedeutet: Zwölf mal drei Mark zählen nur als 36 Mark Rentenbeitrag pro Jahr.

Fragt man die Magdeburger Frauen, woher sie nach all den Jahren noch die Kraft für ihren Kampf nehmen, wird sogleich Bertolt Brecht zitiert. Mit seinem Ausspruch: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“