Kontroverse Schädlingsbekämpfung trifft auf Tierschutz: Haben die Magdeburger lieber die Taube auf dem Dach?
Einst leisteten sie dem Menschen treue Dienste, heute werden sie als Schädlinge vertrieben und vergrämt. Um die (Stadt-) Taube wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Ein Taubenhaus soll Abhilfe schaffen. Das Allee-Center bietet einen Stellplatz auf seinem Dach. Doch nun wird Nutzen und Notwendigkeit infrage gestellt.

Magdeburg - Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach? Von wegen!
Entgegen dem Rat zur Genügsamkeit bevorzugt so mancher die Taube auf dem Dach. Dort sei sie jedenfalls besser aufgehoben als auf dem Boden der Tatsachen, der insbesondere in der Innenstadt der Taube die Nahrung auf dem Silbertablett serviert. Schließlich lassen sich gedankenlose Fütterer vom Gurren und Gieren der Täubchen betören – die Tatsache ignorierend, dass das, was vorn reingeht, irgendwann auch hinten wieder rauskommt.
Taubendreck an öffentlichen Plätzen muss nicht erst venezianische Markusplatz-Dimensionen annehmen, um zum Problem zu werden. Längst haben sich auch Stadträte und Mitarbeiter der Magdeburger Stadtverwaltung des Tauben-Themas angenommen. Nach Drängen und Beharren der Tierschützer aus der Ratsgemeinde – sowohl 2016 von der Tierschutzpartei als auch aktuell von der Tierschutzallianz – wird nach einer Lösung gesucht. Konkret sollen die Tauben in ein Taubenhaus einziehen. Mit geiziger Hand soll dort gefüttert und mit diebischer das Ei gegen eine Attrappe ausgetauscht werden.
In der Theorie soll so die Population minimiert und die Taube aus der Innenstadt geholt werden. Dass sich solch ein betreuter Taubenschlag auch in über 60 Städten in der Praxis bewährt habe, darauf verweist die Gartenpartei/Tierschutzallianz in einem Ratsantrag, der die Standortsuche für ein solches Vogelheim zum Thema hat.
Die Stadtverwaltung präsentierte nun das Ergebnis der Suche, schickt jedoch Bedenken voraus. Es gebe keine empirischen Nachweise über eine nachhaltige Reduktion der Taubenpopulation. Vielmehr sei bekannt, so erklärt es Beigeordnete Sandra Yvonne Stieger, dass Taubenhäuser, in denen gefüttert wird und in denen die Eier ausgetauscht werden, aus verschiedenen Gründen letztlich zu einer Erhöhung der Populationsdichte führen. Durch die Erhöhung der zur Verfügung stehenden Gesamtfuttermenge durch gezieltes Füttern in Taubenschlägen werden die in anderen Schlägen standorttreu nistenden Tiere angelockt, erklärt Stieger. „Gleichzeitig sinkt die Tiergesundheit, weil die Tauben nach circa 19 Tagen die erfolglos bebrüteten Dummy-Eier verlassen und unverzüglich nachlegen, was zu Erschöpfung und Tod der weiblichen Tauben führen kann“, heißt es in der Stellungnahme.
Stadttauben haben einen angezüchteten Brutzwang. Das ist ein menschengemachtes Problem.
Dass das so nicht stimme, betont Susi Thomalla. Die Taubenexpertin leitet die Initiative „Stadttaubenhilfe Magdeburg“ und erklärt, dass diese Methode nicht tierschutzkonform sei, wenn es sich um Wildtauben handelt. Brief-, Zucht-, Zier- oder Stadttauben hingegen haben einen angezüchteten Brutzwang. „Das heißt, sie legen ihre zwei Eier. Wenn die nach 17 bis 20 Tagen merken, Mensch, da passiert nichts, verlassen sie das Nest, dann ist eine Woche Ruhe und dann geht’s von vorne los. Das ist ein menschengemachtes Problem, was ihnen angezüchtet wurde.“ Daher sollte ihrer Meinung nach einmal im Monat das Ei getauscht werden. „Sie brüten so lange, bis sie Erfolg haben. Und einen kontrollierten Bruterfolg sollte man ihnen auch lassen, weil sie nur dann an den Platz zurückkehren, wenn sie auch Erfolg haben.“
Dennoch steht die Stadtverwaltung den Taubenhäusern eher skeptisch gegenüber. Eine wirksamere Methode, um der Vergrößerung der Taubenpopulation Einhalt zu gebieten, sei aus Sicht der Verwaltung die konsequente Überwachung des Fütterungsverbotes, der Entzug der Nistmöglichkeiten und begleitende Vergrämungsmaßnahmen. Das habe zur Folge, dass sich die Tiere länger mit der Futtersuche beschäftigen müssen, und in Zeiten des Mangels die Brut einstellen. Dies wiederum führe zum einen zu einer Verringerung der Jungtiersterblichkeit und zum anderen zu einem besseren Gesundheitszustand der Population, da die Täubinnen nicht bis zur körperlichen Erschöpfung ein Gelege nach dem anderen produzieren, erklärt Stieger. Zudem gehe der Bruterfolg bei Nahrungsmangel zurück.
Und auch Magdeburgs Amtsarzt Dr. Eike Hennig steht einem Taubenhaus sehr skeptisch gegenüber. Die Errichtung eines Taubenhauses setze zunächst voraus, dass Magdeburg eine Taubenplage hat, sagt er. Das sei seiner Meinung nach nicht der Fall. Zudem bezweifelt er, dass es mit einem Taubenhaus gelingt, langfristig die Population zu verringern. „Tauben sind standorttreu. Sie dauerhaft ins Taubenhaus zu bekommen, wird schwierig. Erst die nächste Generation, jene die dort geboren wird, wird dort auch bleiben.“ Und dann habe man einen Taubenzoo auf dem Dach; möglicherweise einen riesigen Saustall.
Es kommt ja auch keiner auf die Idee, den Ratten ein Haus zu bauen.
Letztlich hole man sich aber Schädlinge aufs Dach. Denn: Die Schädlingsbekämpfungsverordnung des Landes besagt, dass Tauben, konkret verwilderte Haustauben, Schädlinge sind, die es zu bekämpfen gilt. Sie seien quasi gleichzusetzen mit Ratten. „Nun wird aber keiner in Magdeburg Tauben vom Dach schießen oder sie wie Ratten vergiften“, sagt Hennig. Obgleich auch keiner auf die Idee käme, Ratten ein Haus zu bauen. Denkbar und sinnvoll wäre für den Amtsarzt eine natürliche Senkung der Population. Und die ist entweder möglich durch die Ansiedlung natürlicher Feinde wie Falken oder aber - und das sei seiner Meinung nach die effektivere Methode - durch Nahrungsentzug.
Trotz der fachlichen Einschätzung durch die Stadtverwaltung und Magdeburgs Amtsarzt wurde die Errichtung von Taubenhäusern geprüft. Die Wobau steht der Errichtung von Taubenhäusern grundsätzlich positiv gegenüber, kann derzeit aber keine konkreten Standorte vorschlagen. Die Wohnungsbaugesellschaft halte die Errichtung von Taubenhäusern auf Wohngebäuden für bedenklich, da sie erfahrungsgemäß zu massiven Belästigungen der Bewohner und daraus folgend zu Beschwerden führen, so Geschäftsführer Peter Lackner in einem Schreiben an die Verwaltung. Die Gewerbeabteilung der Wobau prüfe jedoch die Errichtung eines Taubenhauses auf Gewerbeobjekten im Bereich Friedenshöhe, da es dort nicht zur Belästigung von Mietern kommen würde. Bedingung: Es sollte ein Konzept zur Bewirtschaftung und zum Bau des Hauses vorliegen.
Allee-Center-Managerin Petra Kann hingegen bietet zur Errichtung eines Taubenhauses kostenfrei Fläche auf dem Dach des Centers an. Sie sieht die Attraktivität der Innenstadt durch eine „sehr große Taubenpopulation“ insbesondere im Kreuzungsbereich Erst-Reuter-Allee/ Breiter Weg beeinträchtigt und begrüßt die Bestrebungen, der Taubenpopulation Einhalt zu gebieten. Doch auch sie knüpft das Angebot an die Bedingung, dass das Taubenhaus optimal betreut wird.
Tatsächlich hat die Stadtverwaltung in ihrer Stellungnahme bereits die Kosten für den Bau und die Betreuung des Taubenhauses geschätzt. Der Bau schlage einmalig mit 15.000 Euro zu Buche. Die laufenden Kosten werden mit 9000 Euro beziffert. Kalkuliert werden hier jährlich 1500 Euro Futterkosten für rund 100 Tiere und 2000 Euro Tierarztkosten. Ein Taubenwart soll 6500 Euro jährlich bekommen, was monatlich etwa 541 Euro sind. Eine Vergütung, bei deren Veranschlagung scheinbar die Prämisse galt: „Lieber den Spatz in der Hand ...
Tauben – einst gezüchtet, heute verjagt
- Stadttauben sind Nachkommen entflogener Haus- und Brieftauben, welche über Jahrhunderte zu vielerlei Zwecken (z. B. als Brieftauben) aus der wilden Felsentaube gezüchtet wurden. Als Felsenbrüter nutzen sie mit Vorliebe hochgelegene Balkone, Mauernischen und Simse zum Brüten. Ein Taubenpaar bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen.
- Erfüllten sie einst wichtige Aufgaben, gelten sie nun als „Ratten der Lüfte“. In der Schädlingsbekämpfungsverordnung in Sachsen-Anhalt werden sie als Schädlinge geführt.
- Der Mensch stört sich an den Hinterlassenschaften (Kot) der Taube und fürchtet Krankheiten. Doch Tauben übertragen laut Nabu nicht mehr Krankheiten als andere Vögel auch.
- Mit diversen Abwehrmaßnahmen (Spikes, Pasten/Gele, Netze, Greifvögel, Fang), Fütterungsverboten oder gar Tötungsmaßnahmen wird versucht, die Stadttaube zu vergrämen oder zu beseitigen.
- Derartige Maßnahmen sind aus tierschutzrechtlicher Perspektive jedoch inakzeptabel. Sie fügen nicht nur den Tauben Schmerzen und Leid zu, sondern schädigen auch andere Vögel und Tiere.
- Ein Modell zur Bestandsregulierung stellen Taubenhäuser/ -türme dar, wie es beispielsweise das Augsburger Stadttaubenkonzept vorgibt. Die Stadt betreibt mehrere Taubenhäuser/ -türme, die fachmännisch betreut und gereinigt werden. Die Tauben werden gefüttert und ihre Eier gegen Attrappen ausgetauscht. So soll die Taubenpopulation reguliert und langfristig reduziert werden.
- Auch das Augsburger Modell hat Kritiker. Einerseits, weil es keine empirische Grundlage zu Wirkung und Nachhaltigkeit gibt. Andererseits, weil Kritiker das Austauschen der Eier tierschutzrechtlich ebenso bedenklich sehen.
