Über 1500 Teilnehmer ziehen im Umzug durch Ottersleben

Zum Jahresende sucht die Volksstimme traditionell den Magdeburger des Jahres. Zwölf Kandidaten stehen zur Wahl, die wir Ihnen näher vorstellen. Heute: Kurt Petzerling (61) und Roland Müller (68), die an der Spitze einer Gruppe stehen, die ein Festjahr für Ottersleben mit einem Festumzug mit über 1500 Mitwirkenden organisierte.
Ottersleben l Sprachlos gehen Roland Müller und Kurt Petzerling an diesem Sonntagmorgen des 16. September die Halberstädter Chaussee entlang. Ein Festwagen reiht sich an den nächsten, die Reihe der in Trachten und Kostümen gekleideten Menschen will nicht abreißen. Den fröhlichen Gesichtern der Wartenden am Wegesrand steht die Sonne in nichts nach, als sich der Tross in Bewegung setzt. Die Zuschauer bilden entlang der Königstraße links und rechts eine Gasse und blicken staunend auf den Festumzug. Jeder einzelne Aktive, ob als armer Bettler, Jungpionier oder Schmied gekleidet, erhält tosenden Applaus. Entlang der Schäferbreite, Alt Ottersleben, der Halberstädter Straße und Geschwister-Scholl-Straße werden dem Umzug Fahnen in den Ottersleber Farben Grün, Weiß und Blau entgegengeschwenkt, Anwohner legen spontan auf den Gehwegen ein Sektfrühstück ein, Fotoapparate blitzen auf. Jedes einzelne der 14 Bilder, die die 1075 Jahre währende Geschichte des ehemaligen Bördedorfes erzählen, wird mit lautem Beifall honoriert. Zu der Musik der Umzugswagen wird am Wegesrand getanzt. Das rauschende Fest mit mehr als 1500 Mitwirkenden erlebt nach über 90 Minuten und einer Strecke von 2,5 Kilometern am Eichplatz seinen Höhepunkt, als über 400 Luftballons von Jungen und Mädchen aus Ottersleben den Himmel kurzzeitig gelb färben. Erst dann begreifen die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe "1075 Jahre Ottersleben", was sie vollbracht haben.
Startschuss fällt im Jahr 2009
"Am 28. Oktober 2009 haben wir uns das erste Mal getroffen, um uns Gedanken zu machen, wie das 1075-jährige Bestehen gefeiert werden kann", sagt Kurt Petzerling. Der Vorsitzende des Heimatvereines Ottersleben (HVO) ist von seinem Amtskollegen Roland Müller, Vorsitzender des Vereines "Bürger für Ottersleben" (BfO) damals darauf aufmerksam gemacht worden, dass "bald das Jubiläum ansteht". Die Zahl derer, die sich mit einbringen und mitgestalten wollen, ist anfangs groß.
Auf einem weißen Din-A4-Blatt werden die Ideen festgehalten. "Vieles wurde wieder verworfen", sagt Roland Müller. "Die Idee, das gesamte Jahr 2012 zum Festjahr zu erklären und jeden Monat zwei bis vier Veranstaltungen für die Bewohner und Interessierte anzubieten, war sofort da", so Petzerling.
Schließlich bildet sich eine Gruppe von zehn Otterslebern heraus, die sich zunächst alle zwei Monate zum Austausch trifft, um das ambitionierte Vorhaben, "ein anspruchsvolles Programm auf die Beine zu stellen" mit einem überschaubaren Budget, in die Tat umzusetzen.
Dabei steht ein Festumzug weit oben auf der Wunschliste. "So etwas hat von uns aber noch nie jemand organisiert, wir sind ja nur Ehrenamtliche", verweist Müller. Zusätzlich arbeitet die Zeit gegen die Gruppe. "Bei zwölf Leuten gibt es zehn Vorschläge und 22 Meinungen", merkt Kurt Petzerling schmunzelnd an. Und: "Die Liste der Dinge, die zu organisieren waren, wurde immer länger und länger."
Mit Veranstaltern und Behörden telefonieren, Vereine und Unternehmen anschreiben, Preise mit Schaustellern verhandeln, Ablaufpläne erstellen, die Vorbereitungsgruppe wächst mit ihren Aufgaben. Sie schafft es, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Feuerwehr, Vereine und Gewerbetreibende von ihrer Idee des Festjahres zu begeistern und Veranstaltungen wie das Sommer-Open-Air von Henry Wilke unter das Motto "1075 Jahre Ottersleben" zu stellen. "Es sollte eine breite Palette an Veranstaltungen präsentiert werden, die für jeden etwas bereithält. Wir haben gemerkt, dass hier so etwas fehlt", so Müller.
Lesungen, Konzerte, Dia-Abende, Kirchenführungen, Kabarett - jedes der Angebote wird von den Otterslebern in diesem Jahr angenommen und soll nach Möglichkeit fortgesetzt werden. Auch Plattdeutsch wird "gesnackt". Ein Großteil der Veranstaltungen befasst sich ganz bewusst mit der Geschichte des 937 erstmals in einer Urkunde von Kaiser Otto I. erwähnten Ortes. "Wir hatten das Ziel, dass die Menschen etwas über Ottersleben und seine Historie erfahren und sich mit ihrem Ort identifizieren", sagt Kurt Petzerling.
Die Gruppe schafft es nicht nur, mit Jutta Spettmann, Gerlinde Ziehrer und Irmgard Strumpf die Ur-Enkelinnen des früheren Ottersleber Heimatforschers Christian Peicke, die in verschiedenen Regionen Deutschlands leben, zu einer Festveranstaltung zu begrüßen. Es gelingt ihr, dass die von Peicke erstellte Chronik wieder in den Druck gehen darf.
Geschichte wird dargestellt
Im Rahmen der Festwoche im September sollte am letzten Tag des 25. Volks- und Heimatfestes, zu dem ein Sonderstempel unter anderem der Biber Post erschienen ist, der Höhepunkt des Jahres folgen: der Festumzug. Der drohte zwischenzeitlich aufgrund eines fehlenden professionellen Organisators zu scheitern, weil dies den finanziellen Rahmen gesprengt hätte. So übernimmt Kurt Petzerling die Verantwortung. Unterstützt von Roland Müller und dem Team der Vorbereitungsgruppe gelingt es "halb Ottersleben auf die Straße zu holen", freut sich der 61-Jährige beim Rückblick.
Und nicht nur das: Vereine aus anderen Stadtteilen, Orten aus der Umgebung wie Hohendodeleben, Sülzetal, Beyendorf-Sohlen und Domersleben und Vertreter der Kirchen reihen sich in den Umzug mit ein und berichten mit Oldtimern, Kirchturmnachbauten, Modellen, Transparenten und Kostümen unter anderem von der Ersterwähnung, der Plünderung durch Herzog Alba und seinem Gefolge 1547, den Auswirkungen der Industrialisierung und der Eingemeindung Otterslebens. Roland Müller: "Es war ein unglaubliches Gefühl, in all die glücklichen Gesichter zu schauen. Einfach unbeschreiblich."
"Ich glaube, wir haben es geschafft, dass Alt- und Neu-Ottersleber aufeinander zugegangen sind und dass man Ottersleben wahrgenommen hat", schätzt Kurt Petzerling ein. Besonders stolz sei man, das Festjahr ohne "große finanzielle Zuwendungen der Stadt, es gab einen Zuschuss zu einem DVD-Projekt, für den wir sehr dankbar sind", auf die Beine gestellt zu haben. "Dazu haben zahlreiche Unterstützer und Sponsoren, die wir gewinnen konnten, und Spenden während der Veranstaltungen beigetragen", sagt Roland Müller.
Das Festjahr "1075 Jahre Ottersleben" klingt mit einem Auftritt des Chores am 21. Dezember aus.
Es bleibt die Frage, was Kurt Petzerling und Roland Müller in fünf Jahren machen. "So etwas wie dieses Jahr kann man nicht wiederholen", so Ronald Müller.