1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Über die Großfahndung nach einem Briefschreiber und die Angst des TV-Agitators vor Magdeburg

Ausstellung und Vortrag zum Thema "Postgeheimnis" in der Stadt bis 1989 / Briefe als Informationsquelle Über die Großfahndung nach einem Briefschreiber und die Angst des TV-Agitators vor Magdeburg

Von Birgit Ahlert 11.04.2012, 03:18

Liebesbriefe, "Bettelbriefe", Fanpost und "Spione" - wie die Magdeburger Post im Visier der Stasi stand, beschreibt eine aktuelle Ausstellung. Zur Eröffnung gibt es einen Vortrag zu dem Thema, mit ganz konkreten Fällen und Hintergründen.

Magdeburg l "Nichts ist so gut zerstört wie die Unterlagen der Postkontrolle in Magdeburg", sagt Rüdiger Sielaff. Das sei in Magdeburg so wie in Brandenburg, so der Leiter der BStU-Außenstelle Frankfurt/Oder. "Hier war die Stasi bei der Vernichtung 1989 sehr gründlich." Viel konsequenter als Halle zum Beispiel. Die noch bestehenden Dokumente wurden aus handzerrissenen Unterlagen wiederhergestellt oder stammen aus den Unterlagen Betroffener. Ein Thema, was Sielaff zu nachhaltigen Forschungen reizte.

Darüber spricht er am Donnerstag in der Gedenkstätte am Moritzplatz. Eine Ausstellung mit dem Titel "Postgeheimnis?" wird bis zum 24. Mai gezeigt.

Das Postgeheimnis wurde in den Verfassungen der DDR von 1949 und 1968 zwar ausdrücklich anerkannt, in der Praxis aber permanent durch das Ministerium für Staatssicherheit verletzt.

Anhand von Beispielen aus dem Bezirk Magdeburg spricht Rüdiger Sielaff über die Arbeit der Abteilung M. Welche Technik kam beim Öffnen und Wiederverschließen der Post zum Einsatz? Welche Briefe, Karten oder Pakete wurden "umgeleitet"? Was war so interessant an den Briefen von Kindern und Jugendlichen?

In ganz Magdeburg wurde der "Rücktritt"-Schreiber gesucht

Ein Beispiel aus dem Jahr 1988: Im Juni fanden die Postkontrolleure der Stasi-Abteilung M in Magdeburg einen Brief an den Generalsekretär der SED des ZK Herrn Honecker. Eingeworfen "in der Zeit von 14:00 - 19:00 Uhr im Stadtkern von Magdeburg in einen Postkasten" enthielt er u.a. die Bitte an Honecker, am 17. Juni zurückzutreten.

Das MfS besorgte sich Schreibmaschinenschriftproben aus allen Arbeits- und Freizeitbereichen potenzieller "Täter". Übersiedlungsanträge wurden verglichen mit dem vorliegenden Schriftmaterial, eine linguistische Analyse angefertigt. Die Stasi stellt fest, dass der Urheber des Schreibens augenscheinlich Schreibmaschine schreiben kann, dass sich "ausgesprochene intellektuelle Anteile in der Lexik" befinden und der Autor ein hohes Bildungsniveau aufweist. Daher sei der Autor "wahrscheinlich nicht im Produktionsbereich tätig und ist wahrscheinlich über 40 Jahre alt." Die Stasi nahm Fingerabdrücke, untersuchte Speichelreste von einer Person "wahrscheinlich männlichen Geschlechts".

Zuständig für die Postkontrolle war die Abteilung M des MfS, u.a. in der Bezirksverwaltung Magdeburg. Sie gehörte zu den frühesten Strukturen des MfS und wurde 1950 als Abteilung VI a gegründet, 1984 mit der Abteilung Postzollfahndung (Paketkontrolle) zusammengelegt und dem Leiter der Spionageabwehr unterstellt.

Während von Beginn an Briefe, Telegramme, Pakete im Auslandspostverkehr kontrolliert und ausgewertet wurden, kommt ab den 70er Jahren die systematische Überwachung des Postverkehrs innerhalb der DDR hinzu. Die Abt. M selbst führte zusätzlich zu ihren hauptamtlichen Mitarbeitern nach Aktenlage 1989 vier Inoffizielle Mitarbeiter. Der letzte Leiter der Abteilung war in Magdeburg Oberstleutnant Wolfgang Theile.

Post-Belege aus der Puschkin- und der Körnerstraße

Die Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter der Abt. M war in Magdeburg um 50 Prozent höher als z. B. in Cottbus: 149 Mitarbeiter, davon 37 Frauen. Im Bezirk waren etwa 3700 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter beschäftigt.

Die Briefe wurden nicht einbehalten, erklärt Rüdiger Sielaff, sie waren als "Informationsgewinn bedeutend". Bereits 1965 fotografierte die Stasi Briefe und Postkarten von und an Magdeburger, z. B. aus der Körnerstraße und der Puschkinstraße, diese Negative wurden den schriftlichen Vermerken zur Post angehängt.

Die von der Verwandtschaft mitgeschickten Fotos erweckten regelmäßig das Interesse des MfS. Häufig sind diese noch einmal abfotografiert worden und befinden sich in den Unterlagen.

Postsendungen wurden durchleuchtet, geöffnet, gelesen, nach Geheimschrift (GS) und geheimen Botschaften durchsucht. In großem Umfang wurde Geld entnommen, obwohl die Absender mit Alufolie und Blaupapier ein Durchleuchten der Briefe verhindern wollten.

Schriften wurden analysiert und gespeichert, Adressen und Personen zehntausendfach überprüft. Das MfS verfügt für diese Arbeit über eine hoch-technische Ausstattung mit automatisierten Brieföffnungsgeräten, Durchleuchtungstischen, Schließmaschinen, UV-Untersuchungsgeräten und (teils mobilen) Röntgengeräten ...

Wie überall in der DDR interessierte sich die Stasi für Liebesverhältnisse mit Partnern aus dem "NSA" und las Liebesbriefe besonders intensiv. Manche Briefe erreichen die Liebenden nicht.

Fahndungsaufträge: Brecht-, Baer-, Grundigstr., Alter Markt ...

Bürger des Bezirkes Magdeburg waren offensichtlich begeisterte Schreiber von Briefen an Westdeutsche Radio- und TV-Sender. Musikwünsche, Bitten um Übermittlung von Grüßen bzw. Glückwünschen, Autogrammwünsche und Rätselauflösungen wurden von der Stasi notiert.

Fahndungsaufträge galten aus diesem Grund im Jahr 1982 für den Alten Markt, die Daub-, Bertolt-Brecht-Straße, Otto-Baer-, Beyendorfer Straße, Helene-Weigel-, Wedringer, Richard-Sorge-, Karl-Schurz-, Hans-Grundig-Straße und die Hängelsbreite.

Auch ein Briefwechsel der Kreisleitung der FDJ-Organisation der TU Magdeburg "Pablo Neruda" mit Karl Eduard von Schnitzler ist dokumentiert. In der für ihn typischen Art teilte Karl-Eduard von Schnitzler der Kreisleitung der FDJ mit, dass er bezweifle, "ob man in Magdeburg (einem, d.V.) Argumentationswettstreit gewachsen sei". Schnitzler lehnte eine gewünschte öffentliche Diskussion auch ab, weil er befürchtete, dass "wir uns damit selbst auf die Anklagebank setzen" würden.

Generalmajor Strobel, Leiter der Abteilung M im Ministerium in Berlin teilte am 9. November 1989 mit, dass die "politisch-operative Tätigkeit der Abteilung M vorläufig eingestellt werden muss. ... die Außenstellen (sind) so zu räumen, dass nichts auf Charakter und Umfang der Tätigkeit der Abteilung M hinweist. ... Damit sollen alle Hinweise ... beseitigt werden."

Vortrag: 12. 4., 18 Uhr, Dokumentationszentrum Moritzplatz