Museumswohnung Unten rechts wohnt die DDR
Von Kittelschürze bis Kachelofen - alles ist original in der Magdeburger Museumswohnung.
Magdeburg l Das hatten wir auch.“ „Ach ja, die Kittelschürze – die hattest du doch immer an, wenn du die große Hausordnung gemacht hast!“ Ausrufe wie diese sind Alltag in der DDR-Museumswohnung der Magdeburger Wohnungsgenossenschaft MWG. Wer erst einmal einen Fuß in Erinnerungsstätten wie diese gesetzt hat, der entgeht den Spuren seiner eigenen Geschichte nicht. Immer vorausgesetzt, er ist „gelernter DDR-Bürger“.
DDR-Ausstellungen, -museen, -sammlungen und Begegnungsstätten sind nach wie vor beliebt. Ob in Tangermünde oder Osterweddingen, in Oschersleben oder Thale, Staßfurt oder Beuster – vielerorts kann man dem ostdeutschen Alltag begegnen. In der DDR-Museumswohnung in Magdeburg scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Alles original, alles authentisch, alles im Wohnambiente der DDR. Inklusive all der Geschmacksverirrungen der 1960er und 1970er Jahre. Zeitgeist auf 54 Quadratmetern. Nicht vollgestopft, sondern wohnlich.
Eva und Wolfgang Rocher wohnen seit 1959 im Magdeburger Stadtteil Alte Neustadt, in dem Haus mit der heutigen Museumswohnung. Das Paar lernte sich 1954 kennen - und am ersten Abend lieben. „Auf Dauer war das aber nichts mit dem Wohnen bei den Eltern“, erinnert sich Eva. Doch Wohnungen waren knapp in der zerbombten Stadt.
Wer für seine Familie ein Dach über dem Kopf wollte, der musste selbst mit anpacken. Wolfgang Rocher: „Ich war Modelltischler im Georgij-Dimitroff-Werk und habe mich gleich 1957 bei der Arbeiterwohnungsgenossenschaft angemeldet. Die hatte versprochen, dass man binnen zwei Jahren eine Wohnung bekommt – wenn man sich beim Bau selbst nicht schont.“
Also radelte das Paar monatelang nach der Schicht zur Baustelle in die Hohepfortestraße, um anzupacken: „Wir haben das Fundament noch mit dem Spaten ausgehoben, haben Steine geschleppt und Treppengeländer gebaut. Knochenarbeit, aber wir wollten unser eigenes Heim.“
Um die 2 ½-Raum-Wohnung wirklich zu bekommen, musste das Paar heiraten. Vier Monate vor dem Einzug am 6. Dezember 1959 läuteten die Glocken. Noch heute wohnen Eva und Wolfgang im Haus, in dem sie ihren Sohn großgezogen und so manches Fest gefeiert haben.
Als Wolfgang Rocher 2010 schwer erkrankte, bekam die Lebenssicht des Paares eine ganz neue Perspektive: „Wir haben in schweren Tagen gemerkt, wie wichtig nachbarschaftliche Hilfe ist. Deshalb sind wir später im Nachbarschaftsverein eingetreten. Seitdem helfen wir, wofür die Kraft noch reicht.“
Als die Genossenschaft vor zwei Jahren auf die Idee kam, zum 60. Geburtstag eine Museumswohnung einzurichten, haben sich die Rochers dafür begeistert. Erst recht, als die Wahl auf ihr Haus fiel. Vom ersten Tag an hat sich das Paar um die Wohnung gekümmert, hat Schlüsselgewalt und die Aufsicht für alle Topfpflanzen.
Die MWG ließ sich bei der Einrichtung der Wohnung nicht lumpen. „Wenn, dann richtig,“ so Vorstandssprecher Thomas Fischbeck 2014, „wir wollen authentisch sein, alles andere ist Disneyland.“ Und so wurde die Parterrewohnung wieder so hergerichtet, wie sie beim Erstbezug 1959 war. Selbst einen originalen Kachelofen baute man andernorts ab und hier wieder auf. Tapeten mit 1950er-Jahre-Muster kamen an die Wände, Retro-Kipp-Lichtschalter und Steckdosen wurden verbaut, Bohnerwachs-Linoleum verlegt ...
Größte Herausforderung: das Badezimmer. Bis auf einen Kohle-Badeofen, der nirgends mehr aufzutreiben war, haben es die MWG-Geschichtsbewahrer geschafft: Beinahe alles kommt original daher: Wand-Spülkasten mit Plastikkette, Spiegelschrank, PVC-Wasserhahn, Sandmännchen-Zahnputzbecher-Set, Klopapierhalter. Kein einziges Möbelstück, kein einziges Accessoire wurde gekauft. Alles haben MWG-Mitglieder zur Verfügung gestellt. Zeitweise waren vier Garagen mit DDR-Utensilien vollgestellt.
Die Rochers waren stets mittendrin. Sie übernehmen abwechselnd mit anderen Vereinsmitgliedern die Sonntags-Öffnungszeit von 14 bis 16 Uhr: „Das macht uns Spaß, denn wir spüren ja, wie die Menschen reagieren, wenn sie ihrer eigenen Kindheit oder Jugend begegnen.“
Andere Gleichgesinnte wie Angelika Spandau sind dankbar, sich im Rentenstand um so etwas Verrücktes wie die wohl ungewöhnlichste Wohnung Magdeburgs kümmern zu können. Denn nun sind es nicht mehr hauptamtliche MWG-Mitarbeiter, die für die Wohnung verantwortlich sind, sondern Vereinsmitglieder im Ehrenamt.
Zu ihnen gehört auch Hans Kuchenbäcker, Jahrgang 1945: „Ich habe oft bereut, nach der Wende nahezu alles entsorgt zu haben. Jedes Mal, wenn ich in unsere Museumswohnung komme, bedaure ich das. Nicht falsch verstehen: Ich will die Zeit nicht zurück, aber so manchen liebgewordenen Gegenstand hätte ich doch besser aufgehoben.“
Auch Siegmund Gülle (1946 geboren) führt Besucher durch das DDR-Wohnreich: „Der alte Fernseher, das Spielzeug und der Plattenspieler haben es den Menschen besonders angetan.“ Und Marlies Koppmeier (Jahrgang 1941): „Oft muss man über die Gegenstände schmunzeln, die man früher so richtig schick fand. Kunstgewerbe, Bilder mit Motiven aus Stroh oder diese Bierhumpen aus Wäscheklammern.“
Auf 56 Quadratmetern erkennt man mit einem breiten Grinsen wieder, was viele vor 26 Jahren nicht mehr sehen konnten: Frösi und ABC-Zeitung, Hausbuch und selbstgehäkelte Topflappen, Sammeltassen und Plastikgeschirr, Pionierhalstuch und ferngesteuertes VP-Auto, Rumänenwein und Karo-Zigaretten. Nur das Fernsehgerät kennen die meisten nicht. Es ist ein Staßfurter Exportgerät aus den letzten DDR-Jahren und das einzige, auf dem man eine DVD abspielen kann.
Inzwischen haben fast 6000 Menschen die Museumswohnung besucht. Jeden Sonntag kommen zwischen zehn und 60 Besucher zu den Öffnungszeiten (14 bis 16 Uhr). Das Gästebuch ist voll mit begeisterten Einträgen. Mit DDR-Verklärung hat das nichts zu tun. Eva Rocher: „Wir möchten die Alltagsgegenstände und Produkte bewahren, die uns begleitet haben. Die Älteren haben den Aha-Effekt, die Jüngeren das große Staunen.“
Sonntag ab 14 Uhr (N)Ostalgienachmittag u. a. mit Herricht- und Preil-Programm, Bormann-Modenschau, DDR-Kantine und Clubbar, (Eintritt frei, MWG-Musemswohnung, Hohepfortestraße 61, Magdeburg).