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Verkehrsbetriebe Inspektion: Wenn die Bahn zum Puzzle wird

In der Hauptwerkstatt der Magdeburger Verkehrsbetriebe werden Straßenbahnen auseinandergebaut. Ein Blick hinter die Kulisse:

09.08.2019, 16:09

Magdeburg l Spätestens alle acht Jahre oder wenn sie 500.000  Kilometer auf den Rädern haben, müssen die Straßenbahnen der Magdeburger Verkehrsbetriebe zur Inspektion. In der 1907 errichteten Hauptwerkstatt an der Herrenkrugstraße steht im Verlauf dieser Hauptuntersuchung nur noch das Gerippe der Bahnen.

Vom Fußbodenbelag bis zur Elektronik wird alles abmontiert, was sich abbauen lässt, und in den vier Montagehallen einer Runderneuerung unterzogen. Zwar gibt es auch zwischendurch in festgelegten Rhythmen Durchsichten, erklärt Alexander Pohlemann als Bereichsleiter für die Straßenbahninstandhaltung, doch bei diesen Untersuchungen werde im Wesentlichen „angeguckt, nicht angefasst“.

Drei Monate dauert so eine Hauptuntersuchung und kann je nach Reparaturbedarf auch mal um die 100.000  Euro kosten. Insgesamt investieren die Magdeburger Verkehrsbetriebe jährlich rund 1,8  Millionen Euro in die Instandhaltung ihrer Bahnen. Langfristig wird die Hauptwerkstatt in den Norden der Stadt umziehen. „Die Neufahrzeuge, die in Planung sind, könnten wir hier nicht mehr reparieren“, begründet Pohlemann. Zur Reparatur stehen in der fast schon nostalgisch wirkenden Werkstatt an der Herrenkrugstraße 30 Meter zur Verfügung. Die neuen Bahnen werden jedoch eine Länge von 38 Metern haben.

In vier Werkstätten ist der Bereich unterteilt – die Drehgestellwerkstatt, die Werkstatt für die Karosserie und den Innenausbau, die Lackierwerkstatt und die Elektrowerkstatt. Und in ebenjener Reihenfolge durchlaufen die Bahnen die einzelnen Werkstätten. Im ersten Teil werden die Dachbauten abmontiert, die sich als komplette Module abbauen lassen, und an die jeweiligen Fachbereiche verteilt. Anschließend werden die Drehgestelle gelöst. Mit einem Wagenheber werden die Bahnen dafür angehoben. Auf einer Art Abschleppbahn werden sie im Verlauf der Untersuchung in die einzelnen Bereiche gebracht.

An einem blitzblank polierten Drehgestell arbeitet gerade Paul Pein und schraubt Muttern fest. Im Vergleich mit den noch zur Reparatur ausstehenden Rädern ist zu sehen, wie stark das Material beansprucht wird, wenn es Tausende Kilometer durch die Stadt rollt. Immer schmaler wird das Metall.

Ob Paul Pein nur für jene Arbeit zuständig ist? „Nein, in den einzelnen Montagehallen sollte jeder so viel wie möglich können“, erklärt Pohlemann. Aber die Straßenbahn sei komplex – und so gibt es unterschiedliche Berufsgruppen, in denen die Mitarbeiter eingesetzt sind. Pein ist einer von insgesamt 32 Mitarbeitern, die in der Hauptwerkstatt tätig sind. Hinzu kommen die Auszubildenden, die gezielt auch als Nachfolger für Kollegen angelernt werden, die in den Ruhestand wechseln. Die Werkstätten sind männlich dominiert – drei Frauen arbeiten dort, drei weitere sind im Büro der Hauptwerkstatt angestellt. Mit den Außenwerkstätten sind insgesamt 90  Mitarbeiter im Werkstattbereich der Magdeburger Verkehrsbetriebe tätig.

Pohlemann selbst ist die Schnittstelle zwischen Lager und Werkstätten. Er muss dafür sorgen, dass immer ausreichend Material zur Verfügung steht. Wie viele Teile an den Straßenbahnen verbaut werden, „das haben wir mal versucht zu zählen, aber aufgegeben“, sagt er schmunzelnd. Aus 5000 Baugruppen besteht jede Straßenbahn – und die wiederum aus weiteren Einzelteilen. Die Lieferzeit für einige Bauteile kann bis zu 54 Wochen dauern. Da ist es wichtig, immer ausreichend vorbereitet zu sein.

Ausgebaut werden auch sämtliche Sitze. „Man muss sich mal vorstellen, welchen Belastungen das Material ausgesetzt ist“, sagt Pohlemann, wenn Menschen sich setzen und wieder aufstehen und das während des Bremsens und Anfahrens der Bahnen. Und so werden auch die Gestelle, auf denen die Sitze befestigt sind, kontrolliert und gegebenenfalls erneuert. Die Polster werden unter anderem von Michael Steinbrückner erneuert. Aufgeschlitzte oder mit Kaugummis beklebte Sitze sind für ihn keine Seltenheit. Ewa 12 mal 70  Sitze pro Jahr erneuert er.

Ob sich beim Auseinanderbauen auch kuriose Dinge anfinden? Eher selten, sagt Pohlemann. Einmal sei in einem Fahrersitz ein Personalausweis gefunden worden. Aber das war es dann im Wesentlichen auch, abgesehen von so manchen Kaugummis.

Da immer mehrere Bahnen in Arbeit sind, werden die Teile nummeriert. Zwar könnte man sie auch in unterschiedlichen Bahnen vom gleichen Typ wieder verbauen, doch das versuchen die Mitarbeiter zu vermeiden. Bohrlöcher zum Beispiel könnten um Millimeter versetzt sein – und dann hätten die Mitarbeiter unnötig Arbeit.

Die Bahnen werden in den Werkstätten auch neu lackiert. Graffiti-Attacken auf Straßenbahnen versuchen die Verkehrsbetriebe sofort zu entfernen, ebenso zerkratzte Scheiben. Denn aus Erfahrung weiß Pohlemann: Wo einmal angefangen wurde, wird gern auch weitergemacht.

Manchmal hat Pohlemann das Gefühl, in den Werkstätten gehe es schleppend voran. Doch es ist vor allem das Auseinandernehmen, was Zeit in Anspruch nimmt. Wenn erst alle Teile überholt und erneuert sind, und dazu gehört auch die Klingel, mit denen sich die Straßenbahnfahrer gegenseitig grüßen oder auch Passanten und Autofahrer warnen, dann geht alles ganz schnell, bis die Bahnen für die nächsten 500.000  Kilometer gerüstet sind.