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Politik Warum Magdeburgs Oberbürgermeisterin keinen Hochschulabschluss braucht

Magdeburg sucht neue Köpfe zur Führung der Dezernate für Ordnung und Soziales. Der Rat stritt über die Bewerber-Qualifikation - auch am Beispiel von Simone Borris.

Von Katja Tessnow 14.06.2022, 06:00
Simone Borris (parteilos), seit 2014 Chefin des Dezernats für  Soziales, Jugend und Gesundheit, ist ab dem 1. Juli 2022 neue Magdeburger Oberbürgermeisterin. Ihr altes Amt – ein Großressort mit rund 780 Beschäftigten - braucht zügige Neubesetzung.
Simone Borris (parteilos), seit 2014 Chefin des Dezernats für Soziales, Jugend und Gesundheit, ist ab dem 1. Juli 2022 neue Magdeburger Oberbürgermeisterin. Ihr altes Amt – ein Großressort mit rund 780 Beschäftigten - braucht zügige Neubesetzung. Foto: Heiko Rebsch/dpa

Magdeburg - Welchen Abschluss muss haben, wer an der Seite der künftigen Magdeburger Oberbürgermeisterin Simone Borris ein Großressort im Rathaus führen will? Darüber stritt der Stadtrat vor der Neuausschreibung zweier wichtiger Posten.

Fast so lange wie die Ära Lutz Trümper dauert auch die Amtszeit von Holger Platz als Ordnungsbeigeordneter im Magdeburger Rathaus an. 2002, nur ein Jahr nach Trümpers Amtsantritt, wurde Platz im Stadtrat für die ersten sieben Dienstjahre bestellt, danach zwei weitere Male in Folge. Der Schluss von Platz’ sonst untadliger Amtszeit wurde von einem tiefen und von Trümper Ende 2020 öffentlich gemachten Zerwürfnis überschattet. Trümper warf Platz vor, ihn übergangen zu haben, als er ohne sein Wissen prüfen ließ, ob er – Trümper selbst – hätte 2022 noch einmal zur OB-Wahl antreten dürfen oder mit 66 Jahren unwählbar sei. In der Folge siezen sich zwei vormalige Duzfreunde; Trümper drohte mit Rücktritt und blieb dann doch. Platz bleibt am Ende länger. Seine Amtszeit läuft am Jahresende aus – Ruhestand Anfang 2023.

Nur Volljuristen sind erwünscht

Der Stadtrat hat die Neuausschreibung der Stelle des Beigeordneten für Personal, Bürgerservice und Ordnung beschlossen. Wer Platz beerben will, muss – wie er selbst – Volljurist sein, verlangt wird die Befähigung zum Richteramt. Die Grünen kämpften vergeblich ums Abschmelzen der hohen Hürde im Sinne einer größeren Bewerbervielfalt. „Ich habe Holger Platz jetzt seit mehr als 20 Jahren an meiner Seite und es macht schon Sinn, dass dieser Beigeordnete Jurist ist“, sagte Oberbürgermeister Lutz Trümper in einem Tonfall vorsichtiger Wiederannäherung. Platz’ juristische Fachkunde im von juristischen Fragen nur so geprägten Ordnungsdezernat wusste Trümper zu schätzen. Eine Ratsmehrheit folgte dem und beließ es beim Volljuristen als Bedingung zur Bewerbung.

Ein ganz anderes Beispiel für gute Fach- und Führungsqualitäten an einer Magdeburger Dezernatsspitze gibt seit neun Jahren Simone Borris (parteilos) ab. Die jüngst zur neuen Oberbürgermeisterin gewählte 59-Jährige ist Kauffrau ohne Diplom und erwarb in zweijähriger berufsbegleitender Fortbildung die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst. Das kommt formal einem Hochschulabschluss gleich, aber keinem wissenschaftlichen, wozu es den Master braucht. Ebendieses „abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulstudium“ wird nun aber in der Neuausschreibung von Borris’ Stelle als Sozialbeigeordnete verlangt. Ein Teil des Magdeburger Rates quer durch die Fraktionen zeigte sich irritiert. CDU-Mann Manuel Rupsch, Gartenparteiler Roland Zander und Mirko Stage von future! fragten sinngemäß gleichlautend nach, ob Borris selbst nicht das beste Beispiel sei, dass der höchstmögliche Abschluss in ihrem Fachgebiet nicht zwingend Voraussetzung für hohe Leistung bei der Dezernatsführung sein müsse.

Ausnahmefrau Borris

„Frau Borris hat sich ihre Qualifikation durch Erfahrung in 30-jähriger Verwaltungsarbeit erworben“, so Trümper. Sie sei ein Ausnahmefall und die Ausschreibung 2014 ausnahmsweise auf sie zugeschrieben worden. Dass es bei dieser Ausnahme bleibt und Borris’ Nachfolger oder Nachfolgerin ein höherer wissenschaftlicher Abschluss abverlangt wird – die Abstimmung darüber ging am 9. Juni 2022 im Stadtrat denkbar knapp aus – 21 Ja-Stimmen, 21-mal Nein, eine Enthaltung. Stimmengleichheit heißt Ablehnung. Der oder die neue Magdeburger Sozialbeigeordnete braucht also wissenschaftlich höhere Qualifikation als die erste Frau an der Stadtspitze.

Für die Kür zum Stadtoberhaupt spielt ein Abschluss ohnedies keinerlei Rolle. Darauf verwies der scheidende Oberbürgermeister Lutz Trümper am Rande der Sitzung und meinte es – obwohl formal richtig – wohl doch eher ironisch: „Oberbürgermeister kann eh jeder.“