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Wasserstoff: Energie- und Hoffnungsträger

Wasserstoff soll in den kommenden Jahrzehnten die Welt bewegen. Ein Megatrend, den Menschen in Sachsen-Anhalt nicht verschlafen wollen.

17.02.2021, 16:00
Eine undatierte grafische Darstellung zeigt ein Konzept für ein Flugzeug mit Wasserstoffantrieb für bis zu 200 Passagiere des Luftfahrtkonzerns Airbus. Der europäische Luftfahrtkonzern will in 15 Jahren ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb herstellen. Nötig seien dazu Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich. +++ dpa-Bildfunk +++
Eine undatierte grafische Darstellung zeigt ein Konzept für ein Flugzeug mit Wasserstoffantrieb für bis zu 200 Passagiere des Luftfahrtkonzerns Airbus. Der europäische Luftfahrtkonzern will in 15 Jahren ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb herstellen. Nötig seien dazu Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich. +++ dpa-Bildfunk +++ Airbus

Magdeburg l Wasserstoff ist nicht erst seit gestern Zukunftsmusik. Seit Jahren verbinden Menschen mit ihm Hoffnungen auf eine klimafreundlichere Welt. Zuletzt jedoch ist diese Zukunftsmusik deutlich lauter geworden. In Sachsen-Anhalt ist sie kaum zu überhören.
Das liegt auch am Wirtschaftsministerium in Magdeburg, das zuletzt immer wieder öffentlichkeitswirksam Millionen-Förderungen für Wasserstoff-Projekte ankündigte.
Landeswirtschaftsminister Armin Willingmann sieht es so: „Während andernorts noch sehr theoretisch über die Nutzung von grünem Wasserstoff diskutiert wird, machen wir uns in Sachsen-Anhalt bereits mit konkreten Projekten auf dem Weg, um ein führender Wirtschaftsstandort bei diesem Thema zu werden.“ Gemeint ist mit grünem Wasserstoff, dass er aus erneuerbaren Energien erzeugt ist. Um die von der Politik gesteckten Klimaziele zu erreichen, ist der Enegieträger damit als Ersatz für fossile Brennstoffe kaum wegzudenken.
Wieso sind die Erwartungen so groß? Klar ist, Wasserstoff ist ein Rohstoff der Möglichkeiten. In der chemischen Industrie und der Stahlindustrie könnte er die Klimabilanz erheblich verbessern. Ebenso in dr Luftfahrt. Der Flugzeugbauer Airbus will bis 2035 einen marktreifen Wasserstoff-Flieger präsentieren. Der Bahntechnik-Konzern Alstom will seine Züge damit fahren lassen. Dort, wo große Leistung gefordert ist, sehen Experten sein größtes Einsatzpotenzial.
Ein Problem: Für die Herstellung ist viel Strom nötig. Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, sieht einen massiver Einsatz von Wasserstoff deshalb skeptisch. „Das würde eine Vervielfachung des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland bedeuten“, sagt sie. „Wasserstoff sollte dort eingesetzt werden, wo wir keine elektrische Alternative haben“, betont sie. „Wasserstoff ist der Champagner unter den Energieträgern“, sagt Kemfert.
Ein Zentrum der Wasserstoff-Aktivitäten in Sachsen-Anhalt ist Leuna. Der Industriekonzern Linde baut dort derzeit die weltweit größte Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff. Rund 60 Millionen Euro will das Unternehmen in den Standort investieren, etwa ein Viertel davon ist Fördergeld des Landes. Eine größere Zahl von Arbeitsplätzen entsteht damit vorerst nicht. „Für uns ist es eine Investition in die Zukunft des Standorts“, sagt Mathias Kranz, Leiter des Großkundengeschäfts bei Linde.
Der Konzern beschäftigt am Standort in Leuna rund 500 Mitarbeiter (weltweit etwa 80 000). Große Unternehmen im südlichen Sachsen-Anhalt bekommen von Linde Industriegase geliefert, auch mit Wasserstoff versorgt der Konzern seine Kunden. Dabei kann das Unternehmen auf ein Pipelinenetz aus DDR-Zeiten zurückgreifen.
Linde übernahm das Leitungsnetz nach der Wende. Heute produzieren in Leuna zwei Anlagen mit dem Verfahren der Dampfreformierung aus Erdgas Wasserstoff (auch „grauer“ Wasserstoff genannt), der dann über die rund 180 Kilometer lange Pipeline zu den Linde-Kunden nach Zeitz oder Bitterfeld gelangt. Auch auf der Straße transportiert das Unternehmen Wasserstoff in Hochdrucktanks. Mit einem neuen Wasserstoff-Verflüssiger soll der Transport einfacher werden. Laut Dietrich kann ein LKW etwa zehn Mal mehr Wasserstoff transportieren, wenn der Energieträger verflüssigt ist. Die beiden Elektrolyseure, die Strom aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff verwandeln sollen, werden den Plänen nach ab Mitte 2022 mit der Produktion beginnen.
Ein Elektrolyseur funktioniert wie eine Brennstoffzelle, nur umgekehrt. Bei der Elektrolyse wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, dafür ist elektrische Energie nötig. In Brennstoffzellen reagiert Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser, dabei entsteht elektrischer Strom.
Die beiden Elektrolyseure von Linde sollen einmal 3200 Tonnen grünen Wasserstoff jährlich herstellen. Das Unternehmen gibt für die Anlage eine Leistung von 24 Megawatt an. Das ist in etwa so viel wie die Leistung von fünf modernen Windrädern. Mehr als 15 000 Haushalte könnten damit theoretisch mit Strom versorgt werden. Energie, die dann teilweise im Wasserstoff gespeichert ist.
Zum Einsatz kommen könnte der Wasserstoff dann in Fahrzeugen mit Brennstoffzelle. Gängige Wasserstoff-Autos auf dem Markt verbrauchen in etwa einen Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer. Bei einer angenommenen Fahrleistung von 10 000 Kilometer im Jahr, könnten mit dem von Linde jährlich erzeugten Wasserstoff rund 32 000 Wasserstoff-Autos fahren. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass allein in Sachsen-Anhalt rund 1,2 Millionen Fahrzeuge zugelassen sind.
Inge Beneke befasst sich schon seit etwa zwei Jahrzehnten mit der Brennstoffzelle. Im Jahr 2001 gründete er mit seinem Partner Mathias Bode die Firma Fuelcon, 2018 übernahm der japanische Konzern Horiba das Unternehmen, dass auf Prüfstände für die Autoindustrie spezialisiert ist. Derzeit baut der Konzern in Barleben ein Kompetenzzentrum für Brennstoffzellen und Batterien für rund 30 Millionen Euro. Sachsen-Anhalt fördert das Projekt mit knapp drei Millionen Euro.
Beneke vergleicht die Entwicklungen von Wasserstoff-Autos und batterieelektrischen Fahrzeugen mit einem Wettlauf. „Zur Zeit hat die Batterie etwas die Nase vorn, weil sie kostengünstiger ist“, sagt er. „Aber das kann sich wieder ändern“, betont Beneke.