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Zweiter Weltkrieg Wie ein Magdeburger das Kriegsende erlebte

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Der heute 90-jährige Karl Heinz Schubert schildert seine Erinnerungen. Er lebte in Magdeburg:

Von Karl Heinz Schubert* 08.05.2020, 06:27

Magdeburg l Wir wohnten in einem Mietshaus in der Prälatenstraße, mitten in der Altstadt von Magdeburg, unweit vom Stadttheater und von der Ulrichskirche, in der ich 1944 konfirmiert wurde.

Trotz des Krieges hatte ich eine unbeschwerte Kindheit und Jugend. Wir hatten einen Garten in der Nähe des Marienstiftes, wo wir uns bei schönem Wetter gern aufhielten. Oft war ich auch bei einer befreundeten Familie, die eine Laube im Stadion „Neue Welt“ östlich der Elbe an der Berliner Chaussee hatte. Dort gab es ein sehr schönes Freibad, in dem ich mich gern tummelte. Eine weitere Freizeitbeschäftigung war für mich das Singen als Sopran im Domchor.

Mit 14 Jahren war ich gerade – wie alle anderen Jugendlichen auch – „automatisch“ vom „Jungvolk“ zur „HJ“ (Hitlerjugend) gewechselt. Weil ich gerne mit Pferden zu tun haben wollte, war ich zur Reiter-HJ gegangen. Wir hatten unseren „Dienst“ nach der Schule im Herrenkrug-Gelände, versorgten dort die Pferde und erwarben den „Reiterschein“.

Obwohl wir in Magdeburg häufig Fliegeralarm und auch schon kleinere Bombenangriffe hatten, war das Leben noch einigermaßen „normal“. Wir waren auch in der Brandbekämpfung und beim Aufsuchen von Verschütteten in den Luftschutzkellern aktiv.

Manchmal mussten wir nach solch einem Luftangriff gemeinsam mit Angehörigen der „Organisation Todt“ Tote aus zerbombten, eingestürzten Häusern bergen. Diese schrecklichen Bilder haben sich tief eingeprägt, und ich werde sie nie vergessen.

Durch extra aufgebrochene Kellerdurchbrüche zogen wir von Haus zu Haus und fanden Tote, die in den Kellern am ausströmenden Gas erstickt waren. Aber groß war die Freude, wenn wir, wie einmal in der Krummen-Ellenbogen-Gasse, eine Gruppe lebender Menschen fanden und retten konnten.

Als Schüler der Bismarckschule (heute Hegelgymnasium - d. Red.) gehörte ich zum Löschtrupp. Wir hatten in Trupps mit jeweils einem Lehrer Nachtwache. Uns wurde beigebracht, wie man die Stabbrandbomben bekämpfen konnte. Einmal wurde unsere Turnhalle von einer Bombe getroffen und zerstört. Wir konnten gar nichts dagegen tun.

Den schlimmsten Luftangriff auf die Stadt Magdeburg erlebte ich am Abend des 16. Januar 1945 hautnah mit. Mein Vater hatte Nachtwache im Betrieb, meine Mutter hatte sich mit mir im Bunker des Stadttheaters in Sicherheit gebracht. Über 350 Bomber griffen an. Die ganze Innenstadt war taghell erleuchtet. In Wellen kamen die Bombenflugzeuge, die viele Tonnen Luftminen, Spreng- und Brandbomben über der Innenstadt abwarfen. Ein Feuersturm toste durch die Straßen, selbst der Asphalt brannte.

Die Stadt fiel in Schutt und Asche, auch unser Haus mit all unserem Hab und Gut war betroffen. Wir hatten Glück im Unglück und haben überlebt. Uns wurde eine Wohnung in der Helmholtzstraße zugewiesen, die leer stand, weil deren Bewohner schon vorher vor den Bombenangriffen aufs Land gezogen waren. Holprig setzte trotz alledem mühsam und langsam wieder ein Leben in der Trümmerlandschaft ein. Durch häufige Fliegeralarme unterbrochen, gab es noch Schulunterricht im Schichtbetrieb, denn 23 Schulen waren zerstört. Von den 29 Kirchen waren 22 zerbombt, auch alle drei Theater waren dem Luftangriff zum Opfer gefallen.

Das Leben ging mit vielen Einschränkungen weiter. Die meisten Menschen glaubten nicht mehr an den „Endsieg“ durch irgendwelche Wunderwaffen. Man wollte nur noch überleben.

Als dann am 11. April 1945 die Sirenen den „Feindalarm“ verkündeten, zogen wir mit der wenigen Habe, die wir noch hatten, in einen Bunker an der Elbe, wo wir mit über tausend Menschen auf engstem Raum hausten. Die wenigen Männer, die dort waren, sorgten dafür, dass nur Zivilisten und keine Waffen im Bunker waren. Es waren warme Frühlingstage, die wir aber gar nicht als solche wahrnehmen konnten.

Magdeburg wurde nicht kampflos den anrückenden amerikanischen Truppen übergeben, wie es zum Beispiel in Halle der Fall war, sondern von fanatischen Nazis zur Festung erklärt. Deshalb wurden am 17. April erneut Luftangriffe zur Entlastung der Bodentruppen eingesetzt und damit die Zerstörung der Stadt fortgesetzt. Am 16. April trafen die ersten amerikanischen Panzer an unserem Bunker ein. Am 15. April hatte ich Geburtstag, ohne es bemerkt zu haben.

Wir Gymnasiasten wurden als Dolmetscher gebraucht, als die amerikanischen Soldaten den Bunker nach Wehrmachtsangehörigen und Waffen durchsuchten. Am 18. April war der westelbische Teil Magdeburgs befreit. Aber östlich der Elbe, wo auch viele Kasernen lagen, und auf der Flussinsel Werder/Rotehorn hatten sich Wehrmachts- und SS-Einheiten verschanzt, die nicht aufgeben wollten und von dort aus über die Elbe schossen. Vorher waren alle Elbbrücken von der Wehrmacht gesprengt und zerstört worden. Erst als die Rote Armee Anfang Mai den Ostteil der Stadt einnahm, schwiegen die Waffen. Eine Pontonbehelfsbrücke wurde errichtet, und am 5. Mai kam es zu einer kleinen Siegesfeier der Alliierten im endlich befreiten Magdeburg.

Anfang Juni 1945 trafen dann noch britische Truppen in Magdeburg ein, wir sahen zum Beispiel eine Militärkapelle im Schottenrock mit Dudelsack. Auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens zogen die westlichen Streitkräfte ab und die Rote Armee übernahm ganz Magdeburg als Besatzungsmacht.

Damit war der Krieg endgültig zu Ende. Viele Menschen hatten die Stadt schon während der Kriegsjahre wegen der häufigen Luftangriffe verlassen und waren auf die umliegenden Dörfer gezogen. Uns wurde dann in der Schillerstraße eine Wohnung zugewiesen, deren Bewohner in den Westen übergesiedelt waren. Wir hatten Glück und konnten die Wohnung behalten.

Mein Leben verlief nun unspektakulär. Ab Oktober 1945 ging ich weiter zur Schule, brach dann aber für ein Jahr ab, arbeitete in der Landwirtschaft, um nicht zu verhungern. Als die Versorgung wieder besser klappte, nahm ich den Schulbesuch am Domgymnasium in Magdeburg wieder auf, wo ich dann 1949 mit dem Abitur abschloss. Nun bin ich 90 Jahre alt geworden und froh und dankbar, dass wir schon 75 Jahre im Frieden leben. Das gab es noch nie in der deutschen Geschichte. Wir sollten alles dafür tun, dass uns der Frieden erhalten bleibt.

* Karl Heinz Schubert ist heute 90 Jahre alt und lebt jetzt in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Volksstimme schrieb der Zeitzeuge seine Erinnerungen an die letzten Kriegstage in Magdeburg auf. (Redaktion: Rainer Schweingel)