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Schuldenfalle AWO rechnet mit mehr Problemfällen

Anja Walter von der AWO-Schuldnerberatung rechnet für 2021 mit einer starken Nachfrage von Ratsuchenden.

Von Josephine Schlüer 23.10.2020, 09:16

Oschersleben l Eine höhere Verschuldung im Zuge der Coronakrise sei bisher nicht erkennbar, sagt Anja Walter. Sie leitet die Schuldnerberatungsstelle des AWO-Kreisverbandes Börde. Allerdings geht Anja Walter von der Ruhe vor dem Sturm aus. „Sollten die staatlichen Hilfen 2021 wegfallen und die Arbeitslosenzahlen steigen, werden wir bald sehr viel zu tun haben“, sagt sie. Über die Landesarbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung Sachsen-Anhalt tauscht sich Walter mit Kollegen aus dem gesamten Bundesland aus: „Wir rechnen alle mit einem starken Anstieg der Nachfrage.“

Dass Menschen mit finanziellen Problemen erst sehr spät Hilfe annehmen, kennt Walter: „Oftmals suchen die Leute uns erst auf, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist.“ Personen in einer Verschuldungssituation versuchten für gewöhnlich zunächst, selbst einen Ausweg zu finden, über Umschuldungskredite etwa, bis es dann gar nicht mehr gehe.

Daraufhin würden Betroffene im Internet üblicherweise auf Anzeigen von gewerblichen Anbietern stoßen oder teuere Anwälte beauftragen, bevor sie auf die Arbeiterwohlfahrt (AWO) aufmerksam werden. „Das geht eine gewisse Zeit gut, bis die Schuldner merken, dass sie das Geld für diese Angebote gar nicht aufbringen können“, bedauert Walter und ergänzt: „Viele wissen leider nicht, dass wir hier gemeinnützig arbeiten, also einen kostenfreien Zugang zu Lösungen bieten.“

„Wir merken, dass die Leute mit sehr großen Ängsten und Beklemmungen hierher kommen“, beschreibt Anja Walter den Beginn eines Beratungsprozesses. Sie und ihre Mitarbeiterin Christin Schwarz würden versuchen, den Menschen diese Ängste zu nehmen. „Wir verurteilen niemals jemanden dafür, dass Schulden entstanden sind“, sagt sie. Die Gründe dafür seien sehr vielfältig. Es handele sich vorrangig um Menschen aus dem „mittleren Lebensstandard“, die das Angebot in Anspruch nehmen, die etwa durch Trennungen oder einen längeren Bezug von Krankengeld beispielsweise ihre Miete nicht mehr zahlen konnten. „Dann geht der Haushalt schnell schief“, sagt Walter. Sie betrachtet die Hauptaufgabe der Beratung als eine möglichst nachhaltige. Natürlich solle der Weg in die Schuldenfreiheit bereitet werden. „Die Leute sollen aber möglichst auch schuldenfrei bleiben“, so Anja Walter.

Dementsprechend setzen sich die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle mit den Hilfesuchenden zusammen und geben unter anderem Tipps für die Haushaltsplanung. Im Vordergrund stehen aber die Verhandlungen mit den Gläubigern. „Wenn uns die Schuldner erst sehr spät aufsuchen, sind die Fronten zwischen den Parteien meistens schon verhärtet und die Gespräche schwierig,“ weiß Anja Walter. Vergleiche seien dann kaum noch zu erreichen.

Oftmals hätten die Schuldner gar nicht das Hintergrundwissen, um zu erkennen, „was die Gläubiger mit ihnen machen oder wem sie überhaupt Geld schulden.“ Sie nennt ein Beispiel: „Ich bestelle in einem Versandhaus und vereinbare eine Ratenzahlung. Die Raten kann ich irgendwann nicht mehr tilgen. Was macht das Versandhaus? Es verkauft diese Forderung an ein Inkassounternehmen. Dieses erhebt zusätzliche Kosten und beauftragt wiederum ein anderes Inkassounternehmen, das wieder Kosten aufschlägt. So entsteht ein Teufelskreis.“ Laufe es wie im genannten Beispiel, zahlen die Schuldner über Zinsen und Aufschläge manchmal doppelt so viel wie die ursprüngliche Forderung. Das Nichtwissen werde teilweise vorsätzlich ausgenutzt, vermutet die Schuldnerberaterin und erklärt: „Wir überprüfen, was gerechtfertigte und nicht gerechtfertigte Kosten sind, wie zum Beispiel verjährte Zinsen.“

Um Szenarien wie diesem vorzubeugen, rät Walter, möglichst früh Hilfe zu suchen. Sollte sich schließlich die Prognose von Anja Walter und ihren Kollegen für das nächste Jahr bewahrheiten, könnte die Beratung ein Hilfeangebot für Betroffene darstellen. Auch zu den Themen der Existenzsicherung und Haushaltsführung wird in der Schuldnerberatung präventiv informiert.

Anja Walter und Christin Schwarz vom Kreisverband Börde der Arbeiterwohlfahrt beraten circa 800 Menschen jährlich im Landkreis. „Wir versuchen immer, auf das Wohlwollen des Schuldners hinzuarbeiten“, sagt Anja Walter. Unter der Telefonnummer 03949/993 79 können Hilfesuchende einen Termin vereinbaren. Alternativ ist das auch per Email an schuldnerberatung@awoboerde.de möglich. Die Beratungsstelle befindet sich in der Wilhelm-Heine-Straße 11.