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Ärzte Eine Kinderärztin in Oschersleben weniger: So geht es in der Börde weiter.

Nach 95 Jahren schließt eine Arztpraxis in Oschersleben. Patienten müssen neue Wege gehen. Augenscheinlich schwierig, aber ist es wirklich so? Was sagen die Zahlen?

Von Constanze Arendt-Nowak Aktualisiert: 07.07.2022, 09:56
So manche Blume, aber auch viele selbstgestaltete Geschenke gab es, als sich das Ärzte-Ehepaar Sabine und Klaus Gummert dieser Tage in den Ruhestand verabschiedete.
So manche Blume, aber auch viele selbstgestaltete Geschenke gab es, als sich das Ärzte-Ehepaar Sabine und Klaus Gummert dieser Tage in den Ruhestand verabschiedete. Foto: Constanze Arendt-Nowak

Oschersleben - Seit ein paar Tagen sind die Türen der Gemeinschaftspraxis von Dr. Sabine Gummert und Dr. Klaus Gummert in Oschersleben verschlossen. Auch wenn das Praktizieren für die Kinderärztin und den Allgemeinmediziner ein Leben lang Berufung war, treten beide jetzt den Ruhestand an – wohlverdient, denn er hat bereits das 86., sie das 80. Lebensjahr vollendet. Mit der Schließung der Arztpraxis geht eine Ära zu Ende, aber eigentlich ist es nicht nur die des Ärzte-Ehepaars.

Die Geschichte, dass sich in Oschersleben jemand aus dem Hause Gummert um die Gesundheit der Mitmenschen kümmerte, beginnt eigentlich schon vor 95 Jahren mit Dr. Werner Gummert, dem Vater von Klaus Gummert. Er wurde in Oschersleben als Sohn eines Mühlenbesitzers geboren, entschied sich aber, Medizin zu studieren und als praktischer Arzt und Geburtshelfer tätig zu werden. „Bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter fuhr er, anfangs mit dem Fahrrad, mit dem Geburtshilfekoffer zu Krankenbesuchen und Entbindungen“, weiß Sabine Gummert zu berichten.

Praxis in zweiter Generation seit 1972

1972, also auch bereits vor 50 Jahren, begann Klaus Gummert nach seiner Fachausbildung dann die medizinische Familiengeschichte fortzuschreiben. Er übernahm die väterliche Praxis in eigener Niederlassung. „Mein Mann saß im Haus an der gleichen Stelle wie sein Vater“, beschreibt Sabine Gummert das Bild.

Sie, die 1967 gemeinsam mit ihrem Mann aus Thüringen nach Oschersleben gekommen war und zunächst als Kinderärztin im Schulärztlichen Dienst arbeitete, stieg nach der Wiedervereinigung Deutschlands mit in die Praxis ein. „Unsere ärztliche Tätigkeit war immer Berufung und erfüllt vom Dienen in Ehrfurcht vor dem Leben“, fasst Sabine Gummert zusammen.

Dass die Beiden in Oschersleben eine Institution waren, beweisen auch zahlreiche Geschenke und Basteleien, die zum Schluss neben den eigenen gemalten Bildern von Sabine Gummert die Praxis schmückten. „Sie glauben gar nicht, wie viel Hingabe, Tränen und liebe Worte wir in den vergangenen Tagen erlebt haben“, sagt die Ärztin und zeigt liebevoll gemalte Bilder. Manchen der kleinen Künstler hat sie schon als Säugling behandelt, hat sie aufwachsen sehen und so manche Familiengeschichte und -tragödie von ihnen erfahren. Auch behinderte Menschen aus dem Matthias-Claudius-Haus gehörten zum langjährigen Patientenstamm.

Wird sich ein Nachfolger für die Arztpraxis finden?

Ob die Arztpraxis in der Breitscheidstraße auch zukünftig eine Adresse für Menschen sein wird, die ärztlichen Rat und Hilfe suchen, steht derzeit noch in den Sternen. Die Kassenärztliche Vereinigung sucht derzeit einen Nachfolger. „Dabei handelt es sich um eine volle hausärztliche sowie um eine halbe kinderärztliche Stelle. Im Jahr 2017 wurde schon der andere halbe Teil der kinderärztlichen Stelle an eine Nachfolgerin vergeben“, teilt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt auf Nachfrage der Volksstimme mit. Da die Bewerbungsfrist noch läuft, gibt es zum Stand des laufenden Verfahrens derzeit keine weitere Auskunft seitens der KV.

Fakt ist, dass sich die Patienten, die Sabine und Klaus Gummert teils über Jahrzehnte betreut haben, mit der Schließung der Praxis neu orientieren, sich einen neuen betreuenden Arzt suchen müssen. Doch scheint es, dass auch in vielen anderen Praxen in der Stadt der Zulauf die Ärzte bereits an die Belastungsgrenze bringt – auch ohne die bisherigen Patienten des Ärzte-Ehepaars Gummert. An mancher Praxis werden Patienten schon vor Betreten der Praxisräume via Zettel an der Tür oder am Fenster darauf aufmerksam gemacht, dass Neupatienten nicht aufgenommen werden. Für Sabine Gummert spricht das gegen den Berufsethos.

Nicht zu wenig Ärzte in Oschersleben

Die Kassenärztliche Vereinigung sieht das ein wenig anders und belegt das mit Zahlen: In Oschersleben, einschließlich der Ortsteile, sind noch 22,75 Hausarztstellen besetzt. Bei den Kinderärzten wird die Versorgung durch die zwei weiteren Kinderarztpraxen abgesichert, wovon sich eine im Ortsteil Hadmersleben befindet.

Und weiter heißt es: „Im relevanten Planungsbereich ’Mittelbereich Oschersleben’, welcher die Gemeinden Oschersleben, Am Großen Bruch, Ausleben, Eilsleben, Gröningen, Harbke, Hötensleben, Kroppenstedt, Sommersdorf, Ummendorf, Völpke und Wefensleben umfasst, könnten gegenwärtig 0,5 Hausarztstellen besetzt werden, bevor die Sperrgrenze für neue Zulassungen gemäß der bundesweit gültigen Bedarfsplanungsvorgaben erreicht werden. In der Arztgruppe der Kinder- und Jugendärzte sind gegenwärtig keine Neuzulassungen möglich - die Sperrgrenze wird derzeit also überschritten.“

Kapazitäten reichen für eine sichere Versorgung aus

Was die Suche nach einem neuen behandelnden Arzt oder einer Ärztin anbelangt, zeigt man sich bei der KV optimistisch. Demnach sollten sich die Patienten an die weiteren Arztpraxen vor Ort wenden. „Wir gehen davon aus, das ausreichend Kapazitäten bestehen, um die Versorgung auch zukünftig sicherzustellen.“

Da bei einem Wegfall einer Praxis aber oftmals viele Patienten gleichzeitig nach einem neuen Hausarzt suchen, entstünde der Eindruck, dass nicht genügend Kapazitäten vorhanden seien. „In der Vergangenheit konnten wir aber immer wieder beobachten, dass sich diese Situation durch die sich auf verschiedene Arztpraxen aufteilenden Patienten beilegt. Dies gilt besonders für Bereiche, in denen die Versorgungslage noch als relativ gut bezeichnet werden kann“, so die Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung.

Über Neuaufnahmen bestimmen Praxen selbst

Auf den Aufnahmestopp, den sich Praxen auferlegen, hat die Kassenärztliche Vereinigung nach eigener Aussage keinen Einfluss. Die Praxen würden den Praxisablauf selbstständig organisieren und daher auch abwägen, ob noch Kapazitäten für eine Neuaufnahme bestehen. „Aufgrund der demografischen Entwicklung und der erhöhten Morbidität in Sachsen-Anhalt behandeln unsere Hausärzte durchschnittlich 25 Prozent mehr Patienten als im bundesweiten Durchschnitt“, nennt die KV eine weitere Zahl.

Oscherslebens Bürgermeister Benjamin Kanngießer, der dem Ärzte-Paar an dessen letzten Arbeitstag alles Gute für den Ruhestand wünschte, ist sich dennoch sicher, dass die Praxisschließung für die Gesundheitsversorgung in Oschersleben „nicht gerade förderlich“ ist.