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Marienborn Neustart am Grenzübergang

Marienborn war der größte Kontrollpunkt an der innerdeutschen Grenze. Eine neue Dauerausstellung erinnert an die Geschichte des Ortes.

Von Grit Warnat 15.07.2020, 01:01

Marienborn l Achim Walther war Sperrgebietsbewohner in Hötensleben. Er erzählt von einer Begebenheit, als er 1973, 1974, ganz genau kann er sich nicht erinnern, unterwegs war und von einem Grenzer kontrolliert wurde. Walther hatte seinen Ausweis nicht dabei und wurde in die Kaserne gefahren. Dort wartete er und hat geschmort, sagt er, bis ihn nach Stunden ein Genosse zurückfuhr und an der Haustür absetzte. Den Ausweis wollte niemand mehr sehen.

Festgehalten ist diese Erinnerung von Achim Walther an einer der Hörstationen. Anwohner des Grenzgebietes kommen dort zu Wort, auch Wehrdienstleistende bei den DDR-Grenztruppen, eine Frau, die versucht hatte zu fliehen, Transitreisende. Es sind etliche Zeitzeugen, die in der neuen Dauerausstellung von einst berichten, als Jahrzehnte eine streng bewachte Mauer das Land durchzog und es vor allem für Westdeutsche einen Durchlass gab zwischen Helmstedt (West) und Marienborn (Ost). Unterschiedliche Biografien geben unterschiedliche Sichten auf die großen Themen Teilung, Kontrolle, DDR-Regime, Flucht, Heimat.

Am 30. Juni 1990 wurden in Marienborn die Kontrollen eingestellt. 30 Jahre ist das her. Seit 1990 steht alles unter Denkmalschutz. Erhalten blieb somit ein Großteil des riesigen Areals mit den einstigen Abfertigungsbereichen, Wachtürmen, gewaltigen Lichtmasten und Dienstgebäuden. Minen und die sogenannte Selbstschussanlage SM 70 sind Exponate in der Ausstellung.

Dort, wo einst die Fahndungsabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und die Zollverwaltung saßen, erzählte schon zwei Jahrzehnte lang eine Ausstellung von diesem Grenzort. Sie bedurfte einer Erneuerung. „Wir haben sie thematisch erweitert und neue Erkenntnisse einfließen lassen“, sagt Sven Sachenbacher, der amtierende Leiter der Gedenkstätte. Auch räumlich wurde aufgestockt. 100 Quadratmeter sind jetzt zusätzlich da, um mehr Informationen an die Besucher zu bringen. Erstmals werden auch Helmstedt als Kontrollstelle und das Zonenrandgebiet beleuchtet. In Königslutter hatte sich mit Zuschüssen Anfang der 1960er Jahre die Zigarettenfabrik André angesiedelt. Viele der damals neuen Betriebe blieben nicht auf Dauer. In Ost wie West hat die Grenze Spuren hinterlassen.

Ein Aschenbecher von André gehört zu den Exponaten wie auch ein an dieser Stelle nicht vermuteter Bierkrug, der an das Kultur- und Sportfest 1976 in Wefensleben erinnert. Der Sportverein wurde vom MfS gefördert. Stasi-Bedienstete waren stark vertreten in der Grenzübergangsstelle.

Es gibt keine lineare, chronologische Erzählweise. Starten sollte man mit dem fünfminütigen multimedialen Intro, der Einführung in Ort und Thema. Sachenbacher spricht vom „Herzstück“. Der Besucher erfährt die historische Einordnung: von Besatzungszeit, Sperranlagenbau über Transitabkommen bis hin zum Ausbau des gewaltigen Areals. Neun Kapitel berichten vom Grenzregime der DDR, vom Transitverkehr nach West-Berlin, vom Dienstalltag. Die Gestaltungsfirma Kocmoc aus Leipzig hat für das Thema Fluchten eine Art Tunnel gebaut, in dem von geglückten und misslungenen Fluchtversuchen erzählt wird. 1989 dann die friedlichen Revolution und die Grenzöffnung

Ein Blick geht auch zum Rasthof Börde in der Nähe von Magdeburg, einer der von den DDR-Mächtigen unerwünschten Begegnungsorte von Liebenden, Verwandten, Bekannten aus Ost und West. Die Staatssicherheit hatte Beobachtungsstützpunkte eingerichtet. Wer wen wann küsste, wurde mit Akribie notiert. Der Besucher kann in einer Abschlussarbeit zweier Offiziere an der Fachhochschule des MfS blättern. Minutiös ist ein Treffen festgehalten: Beobachtungsbericht, Einschätzung, Personenbeschreibung, Fotodokumentation.

Mehr als 500 zum Teil bisher unveröffentlichte Fotos und Dokumente sind in die Ausstellung eingeflossen. Originale Exponate sind zu sehen wie der Autoschlüssel eines Fluchtfahrzeugs und ein Spiegelwagen zur Kontrolle der Fahrzeugböden. Auch das riesige DDR-Emblem ist integriert. Es hing einst in der Betonstele direkt an der A 2 – dort, wo heute der Verkehr ununterbrochen Tag und Nacht dreispurig in jede Richtung rollt. Ohne Passkontrollen, ohne Repressalien.

Das Areal bleibt ein Erinnerungsort. „Das ist wichtig. Wir haben immer mehr Besucher, die diese Grenzstelle und die Teilung nicht mehr kennengelernt haben“, sagt Sachenbacher.