1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Oschersleben
  6. >
  7. Oschersleber Torwächter in Plauderlaune

Stadtführung Oschersleber Torwächter in Plauderlaune

Seit gut zwei Jahren bietet die Stadt Oschersleben Führungen mit dem Stadttorwächter an. Einmal im Monat geht Jochen Lübbecke los.

Von Yvonne Heyer 20.07.2019, 01:01

Oschersleben l Es ist ein heißer Sonnabendabend. Stadttorwächter Jochen Lübbecke hat seine „Sommerbekleidung“ angelegt. Das bringt ihm schon mal die Frage ein, ob er der Henker sei, denn deren Gewand lässt die Arme frei, nackt. Nein, Jochen Lübbecke ist nicht der Henker. Ihm ist das langärmlige Gewand des Stadttorwächters einfach zu warm, deshalb das Sommergewand.

Am Kreisverkehr in der Hornhäuser Straße haben sich die Teilnehmer des Stadtrundganges mit dem Stadttorwächter ein schattiges Plätzchen gesucht. „Wir wollen hier und da schauen, wo es etwas zu schauen gibt“, begrüßt Jochen Lübbecke die Runde. Das Gros der Frauen und Männer sind Oschersleber, die im Jahr des Stadtjubiläums mehr aus der Historie ihrer Heimatstadt erfahren möchten. Seit gut zwei Jahren bietet die Tourist-Information der Bodestadt die Führungen mit dem Stadttorwächter immer am letzten Sonnabend eines Monats zwischen April und Oktober an.

Jochen Lübbecke beginnt bewusst am Kreisverkehr in der Hornhäuser Straße die Führung. Er weist auf die Reste der Stadtbefestigung am Hackelberg, zeigt in Richtung des alten Dorfes und auf die Burg. Diese wurde schon im 9. Jahrhundert als Niederungsburg erwähnt. Sie war umgeben von Sumpf und Moor des Großes Bruches, aber auch von fruchtbaren Weiden und Ackerland. Oschersleben wurde bereits 814 in den Stiftungsbriefen des Kaisers Ludwig, des Frommen, unter dem Namen Oscheresleve im Harzgau genannt. Am 23. November 994 wurde Oschersleben dann erstmalig als Oscherslevo nachweislich in einer Urkunde von Kaiser Otto, III., in der er Quedlinburg das Marktrecht verlieh, als eine der Befestigungen seines Reiches erwähnt. Die Geburtsstunde Oscherslebens hat geschlagen.

Von der Burg aus wird mit der fortschreitenden Entwicklung des alten Dorfes die Erweiterung der Stadtmauer erforderlich. „Eine nächste Mauer wird im 12. Jahrhundert gebaut. Die Reste finden wir am Hackelberg. Die Mauer wurden größer und größer und mit inneren Befestigungsanlagen versehen. Die Stadtmauer zog sich über den Hackelberg, Obere Mauerstraße, Pienestraße, Untere Mauerstraße, Nickelkulk, Seilerweg“, berichtet der Stadttorwächter. Wir machen uns auf den Weg zu seiner einstigen Wirkungsstätte - dem Stadtwehrturm am Hackelberg, der sich hier noch immer entlang der alten Stadtmauer erhebt. „Was hat sich nicht alles auf dem Hackelberg zugetragen. Hier, in einem der Türme habe ich gearbeitet. Und schon damals verfügten wir Stadttorwächter mit unseren Helfern über ein ‚Frühwarnsystem‘, wenn sich Feinde näherten“, erzählt der Stadttorwächter. Und zu diesem „Frühwarnsystem“ gehören die Feldwarten in der Umgebung oder die Sturmglocke von St. Nicolais. Ja, und als ob die Kirche vernommen hätte, dass sie in der Führung mit dem Stadttorwächter eine Rolle spielt, beginnen die Glocken um 18 Uhr zu läuten.

Über den Hackelberg berichtet der Stadttorwächter weiterhin, dass es hier einst ein Zisterzensier-Kloster gab, dieses im 13. Jahrhundert abgerissen wurde und später ein Rittergut entstand. Der landwirtschaftliche Betrieb des Rittergutes stellte die Altvorderen vor die Frage: Wohin mit dem Mist? Eine Furth wurde gebaut. So entstanden die heutige Gartenstraße und die Petersilienstraße. „Diese wurde auch „Kattenköttelpup“-Straße genannt. Und weil sie immer mit Gras oder vielleicht so gar mit Petersilie bewachsen war, entstand der spätere Name daraus“, weiß Jochen Lübbecke zu berichten. Während er Interessantes aus der Stadtgeschichte im Plauderton erzählt, ziehen wir weiter. Zuvor aber weist Jochen Lübbecke noch auf den jüdischen Friedhof am Hackelberg hin. Bis zu 100 Juden lebten einst in der Stadt. Um überhaupt innerhalb der Stadtmauern leben zu dürfen, zahlten die Juden erhebliche Kautionssummen für ihre Familien. Mit Blick auf den Turm von St. Marien im alten Dorf weiß der Stadttorwächter zu berichten, dass die katholische Kirche 1868 hier entstand, 1900 4000 katholische Bürger in Oschersleben wohnten.

Wir bummeln in Richtung Halberstädter Straße. Dabei erfahren die Teilnehmer, dass es im 16./17. Jahrhundert nur zwei gepflasterte Straßen gab, den Magdeburger und den Halberstädter „Steenweg“. Natürlich waren die Straßen längst nicht so gepflastert wie heute, Feld- oder Bruchsteine sorgten eher für ein Provisorium.

Wir blicken die Steintreppe hinunter. Sie hatte schon immer ein ordentliches Gefälle, das schmutzige Wasser floss hier hinab, aus der Stadt heraus.

Für viele andere Straßennamen gibt es eine historisch belegte Erklärung. Nehmen wir die Pienestraße. Piene (Pein), hier lebte der Henker und seine Gesellen, gab es, wie auch im Rathaus, ein Gefängnis. Der Oesenweg kommt von Ödland, in der Barbierstraße preisten Barbiere vielseitige Dienstleistungen an, so auch die Stoven, die Badestuben. Von allerlei Unzucht wird berichtet, wurde die Trennung von Männlein und Weiblein nicht eingehalten. Das kostete um 1574 3 Mark Strafe. Die Kornstraße erhielt ihren Namen, weil sich hier einst in ein Kornmarkt befand. Im Brauwinkel durfte das Bürgertum brauen.

Die Stadt an der Bode wurde von vielen Feuern, aber auch von etlichen Hochwassern der „Wilden Bude“ (Bode) heimgesucht. „Wir schreiben das Jahr 1659. Am 28. März, es ist ein Sonnabend, entsorgt ein Oschersleber Bürger Asche auf einem Mistberg. Dieser entzündet sich, ein verheerender Stadtbrand soll daraus entstehen. Die Leute flüchten in die Nicolai-Kirche. Auch diese soll durch das Feuer vernichtet werden. Zwölf Tote gibt es nach dem Feuer, 207 Gebäude, darunter die Kirche, die Schule, das Rathaus, die Apotheke, sind komplett abgebrannt, zum Glück konnte das Vieh gerettet werden“, erzählt der Stadttorwächter.

Die heutige Fußgängerzone in der Halberstädter Straße erinnert nur noch wenig an das einstige Oschersleben des Mittelalters. Die Straßen waren deutlich schmaler, die Fachwerkhäuser standen dicht an dicht. Auch deshalb konnte der Brand von 1659 so verheerende Schäden anrichten.

Vor dem Rathaus erfahren wir, dass 1396 hier ein Versammlungshaus errichtet wurde. Gleich mehrfach sind an dieser Stelle Gebäude abgebrannt. In einem Stein über der Eingangstür kann das nachgelesen werden. 1601 brannte es erstmals ab, 1671, war ein neues Gebäude fertig, dass aber schon 1688 wieder Opfer eines Brandes wurde. 1691 begann ein erneuter Aufbau in schlichter Schönheit des Barock. 1836 erfolgte ein Anbau.

Zu den ältesten Häusern der Innenstadt gehört ein Gebäude im niedersächsischen Fachwerkstil am Fuße der Nicolai-Kirche. Darin sich heute die Geschäftsstelle der IKK.

1799, die Stadt zählt etwa 2800 Einwohner, waren 121 Braurechte vergeben. Wasser, vor allem sauberes, war knapp. Gräben und die Bode waren sehr schmutzig. Stand ein Brautag an, gab der Stadtschreiber folgendes bekannt: „Hiermit wird bekannt gemacht, dass heute keiner in die Bode kackt, in drei Tagen ist Brautag.“ Wer sich nicht daran hielt, konnte an den Pranger mit Halseisen gebracht werden.

Die Silhouette von Oschersleben wird heute von den Doppeltürmen von St. Nicolai geprägt. Die Vorgänger-Kirche wurde 1150 als romanischer Bau geweiht. Nach den Bränden entstand eine dreischiffige Hallenkirche, die seit 1881 von den Doppeltürmen geprägt wird. Geschichtsträchtig ist gleichermaßen das Pfarrhaus, das ebenso zu den ältesten Gebäuden Oscherslebens gehört. Es brannte 1659 nieder. In einem Querbalken ist nachzulesen, dass es Pastor Gelhudius war, der das Haus 1661 wieder aufbauen ließ.

Viele Geschichten über Gebäude und Straßen, über die Menschen, die Oschersleben prägten, begleiten uns auf unserem Weg in Richtung Burg. Hier endet unser Rundgang mit dem Stadttorwächter. „Liebe Leute lasst euch sagen, St. Nicolai hat 8 geschlagen, schließt alle Fenster und Türen zu...“ Natürlich werden wir nicht ohne diesen Spruch des Stadttorwächters in den warmen Sommerabend entlassen. Herzlich bedanken sich die Stadtrundgang-Teilnehmer bei Jochen Lübbecke für diesen interessanten Abend mit vielen Geschichten aus der Historie einer 1025 Jahre alten Stadt. Wenn auch Sie Lust auf einen Rundgang mit dem Stadttorwächter bekommen haben, dann sei Ihnen der Sonnabend, 27. Juli, 19 Uhr ans Herz gelegt. Die Rundgänge können in der Tourist-Info gebucht werden.