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Freizeit Bläser aus dem Kreis Stendal treten in Venedig auf

Volkslieder aus der Altmark vor der Rialtobrücke: Wie ein musikalischer Pastor die Pfarrstelle in Gladigau rettet und ein Zufall beim Tierarzt dem Posaunenchor zu einer Konzertreise nach Italien verhilft.

Von Astrid Mathis Aktualisiert: 25.09.2024, 09:42
Letzte Probe für die Konzertreise nach Venedig. Auf dem Hof der alten Schule macht der Posaunenchor Gladigau kurz Pause.
Letzte Probe für die Konzertreise nach Venedig. Auf dem Hof der alten Schule macht der Posaunenchor Gladigau kurz Pause. Foto: Astrid Mathis

Gladigau/Venedig. - Die gute Nachricht vorneweg: Pfarrer Norbert Lazay leitet den Posaunenchor Gladigau weiter, auch wenn er im Oktober nach knapp 40 Dienstjahren in den Ruhestand wechselt. In dieser Woche gehen die Musiker erstmals auf Konzertreise nach Venedig. Eine Institution ist der Chor schon lange.

„Der Posaunenchor wurde 1931 von Ortspfarrer Gerhard Müller gegründet“, erzählt Norbert Lazay und fügt voller Stolz hinzu: „Nichts konnte ihm etwas anhaben. Er ist weit und breit der einzige Bläserchor in der Altmark, der seit 93 Jahren unentwegt aktiv ist und sich aus sich selbst rekrutiert.“ Wie er dazu kam, den Posaunenchor zu leiten, ist eine Geschichte, die er immer wieder gern auspackt – so unglaublich ist sie. „Ich spielte unter Manfred Schlenker im Posaunenchor des Domes zu Stendal schon bis 1975 die erste Stimme Trompete“, beginnt der heutige Bariton, „und habe unter anderem an der Musikschule in Stendal im Hauptfach Querflöte meinen Oberstufenabschluss gemacht.“ Von Hause aus beherrschte Lazay, Jahrgang 1958, zu jener Zeit sieben Instrumente, als er zum Studium nach Greifswald kam, „aber die Bläserei ruhte“.

Norbert Lazay leitet seit 1985 den Posaunenchor Gladigau.
Norbert Lazay leitet seit 1985 den Posaunenchor Gladigau.
Foto: Astrid Mathis

Nach dem Theologiestudium von 1980 bis 1985 kam er mit dem Landesposaunenwart OKR Kobold ins Gespräch. Und er erfuhr nebenbei, die Pfarrstelle in Gladigau sollte aufgelöst werden, es sei denn, es würde ein Pfarrer kommen, der den Posaunenchor übernehmen könnte. Lazay horchte auf. „Kann ich“, so sein Reden. „Na, dann gehen Sie doch dahin!“, hatte Kobold erwidert. Als Norbert Lazay vor dem Pfarrhaus stand, war die Sehnsucht nach dem allseits beliebten Harz vergessen.

Volkslieder und Choräle

Im Juni 1985 zog er in das Altmarkdorf. Nachts am Ufer der Biese traf Lazay gam ersten Abend Männer, die unter seinem Vorgänger Hellmut Müller im Posaunenchor gespielt hatten. Keine 24 Stunden später fand die erste Probe statt. Sonntagnachmittag um vier wollten die Alteingesessenen zeigen, was sie können, und kamen mit ihren abgewetzten Kästen unter dem Arm hochmotiviert zu ihm.

Im Hefter mit abgezogenen Kopien fanden sich Choräle und Volkslieder. Die Besonderheit: Ein umfangreicher Teil stammte aus der Zeit der Heilsarmee. Mit einigen Volksliedern hatte Müller außerdem an die Flüchtlinge aus Ostpreußen erinnert. Heute sind Titel wie „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, „Im Wald und auf der Heide“, „Es waren 2 Königskinder“ und „Die Gedanken sind frei“ festes Repertoire. Das wurde unter dem neuen Pfarrer kräftig erweitert. Werke von Mozart, Mendelssohn-Bartholdy, Franz Schubert und Friedrich Reichardt sind inzwischen dazugekommen.

Besonderen Aufwind erfuhr der Posaunenchor mit der Wende. „Es ergaben sich neue Auftrittsmöglichkeiten“, so Norbert Lazay. Im Mai 1990 ging es zum Partnerchor nach Münster/Westfalen und am 3. Oktober 1990 in die Lüneburger Heide zur Hermannsburg. Unvergessen ist auch der Kirchentag in München und der damit verbundene Auftritt im olympischen Dorf 1994.

Die Reise nach Ostpreußen und der Besuch auf der Veste Coburg anlässlich des 70. Geburtstages von Pastor Hellmut Müller waren weitere Stationen, an die sich die Mitglieder gern erinnern. Zuletzt reiste der Chor 2012 nach Prag. Ganz oben auf der Liste der Auftritte steht zudem der Besuch der Grünen Woche in Berlin im Januar 2017, der mit der Verleihung der Goldmedaille an Gladigau im Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ verbunden war.

Wahl fällt auf Italien

„Eine große Reise müssen wir noch machen“, waren sich die Chormitglieder einig, als ob mit Labans Ruhestand auch das Ende des Posaunenchores nahen würde. Die Wahl fiel schnell auf Venedig. Wieder kam der Zufall zu Hilfe. „Meine Tochter Josepha arbeitet in einer Tierklinik in Berlin-Hennigsdorf. Das Herrchen eines Hundes von ihr ist Reiseleiter in Venedig, Udo Buchholz.“ Dieser war früher sogar stellvertretender Bürgermeister von Hennigsdorf. Mit ihm unternahm Norbert Lazay im Juli die Vorbereitungen – und zwar direkt in Venedig. Die Plakate verteilten sie eigenhändig. Vier Auftrittsorte sollen es werden. Vorneweg die hiesige evangelische Kirche. Die zählt übrigens nur 60 Gemeindeglieder, denn in Venedig sind Katholiken in der Überzahl. Natürlich wird auch vor dem Hotel gespielt und vor dem Geburtshaus von Marco Polo. Ein Konzert am Sonnabend an der Rialtobrücke zum Abschluss soll spontane Zuhörer anlocken.

Für die Reise des Posaunenchores legte Pfarrer und Chorleiter Norbert Lazay extra einen Hefter dran.
Für die Reise des Posaunenchores legte Pfarrer und Chorleiter Norbert Lazay extra einen Hefter dran.
Foto: Astrid Mathis

„Fliegen kam nicht infrage. Allein schon wegen der Instrumente! Wir reisen mit der Eisenbahn“, verkündet Norbert Lazay voller Vorfreude. Von Osterburg geht es heute in aller Herrgottsfrühe nach Halle, weiter nach München und dann direkt nach Venedig, wo die Altmärker gegen Mittag von ihrem Reiseführer erwartet werden. Fünf Tage Landeskunde und Konzerte stehen den 13 Mitgliedern und Ehepartnern bevor. Zu ihnen gehört auch Christine Neumann aus Osterburg, die 1993 die Männerdomäne durchbrach und seitdem mit ihrem Kuhlohorn die zweite Stimme spielt.

Malin Lazay erhielt ihre Ausbildung für die Posaune von ihrem Papa persönlich. Bei den Proben des Posaunenchores Gladigau darf sie natürlich nicht fehlen.
Malin Lazay erhielt ihre Ausbildung für die Posaune von ihrem Papa persönlich. Bei den Proben des Posaunenchores Gladigau darf sie natürlich nicht fehlen.
Foto: Astrid Mathis

Lazays 31-jährige Tochter Malin – von Papa persönlich ausgebildet – spielt als einzige Posaune. Anika Jüstel aus Bretsch machte die „Frauensleut'“, wie Christine Neumann schmunzelnd ergänzt, 2003 mit der Trompete komplett. War Urgestein Herbert Kühne noch zum 90-jährigen Jubiläum dabei, sind heute mit 70 Lenzen Winnie Holz und Herbert Brun die Ältesten. Brun kommt seit zehn Jahren extra aus Potsdam angereist und stellt für die Weihnachtskonzerte in Brandenburgs Hauptstadt die Weichen. Heinz-Jürgen – besser bekannt als Hannes – Rohbeck war schon 1970 als Jungbläser dabei. Und selbst Gladigaus Bürgermeister Matthias Müller greift zum Waldhorn und hat die Koffer für Italien gepackt.

Nach dem Besuch der Insel Burano und des Markusplatzes in Venedig wird in Gladigau wieder fürs Weihnachtsprogramm geprobt. 20 Auftritte im Jahr sind für den beliebten altmärkischen Posaunenchor keine Seltenheit. Gleichzeitig setzt Norbert Lazay die Leitung des Gladigauer Kirchenchores fort, den er ebenfalls 1985 übernahm.