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Kaffeeplausch Die Bäckersfrau als „deutsche Oma“

Doris Bethke (65) ist Idener Bäckersfrau, möchte nicht in Rente gehen und hat durch die Flüchtlingskrise viele syrische Freunde gefunden.

Von Karina Hoppe 07.09.2017, 16:37

Iden l Wenn ein Kunde die Tür zum Laden öffnet, macht es laut „ring, ring“ und Bethkes kommen anmarschiert. Aus der Küche oder der Backstube – schwupps, steht jemand hinter dem Tresen, um Hefekuchen, Roggenbrot, Einback oder sonstige Mehlwaren an die Kunden zu bringen. Gestern morgen hat es oft „ring, ring“ gemacht. „Heute läuft es gut“, verriet Doris Bethke bei einer Tasse Kaffee, „dann kommen wieder andere Tage, wo es total ruhig ist, vor allem am Ende des Monats“, so die 65-Jährige, die ihren Kaffee immer schwarz trinkt.

65? Andere Menschen gehen da in Rente, Doris Bethke und ihr Mann Herbert, ebenfalls 65, ziehen jeden Tag weiter ihre weißen Sachen an. Das Konzept Rente geht an ihnen vorbei. „Wir machen weiter, so lange es geht.“ Weil die Rente nicht allzu üppig ist, aber auch aus Überzeugung. „Uns ist nicht nach Aufhören, außerdem werden manche faul, wenn sie in Rente gehen. Was sollten wir denn den ganzen Tag machen?“

Naja, manchmal hänge sich die frühe Aufsteherei schon an. Herbert Bethke, der Bäckermeister, steht an normalen Wochentagen zwischen 2 und 3 Uhr auf, Tochter Daniela Bethke (43) gegen 4 Uhr und Doris Bethkes Wecker klingelt meistens um 5.15 Uhr. „Um 6 Uhr bin ich dann im Laden.“ Und das hat Tradition: Doris Bethke, die aus Kleinau stammt, hat am 1. Juni 1971 in der Idener Bäckerei angefangen. Wegen der Liebe. Das Geschäft stammt aus der Familie ihres Mannes. „Die Bäckerei besteht seit 1926 an genau dieser Stelle.“ Zwar hatte Doris Bethke Friseurin gelernt, aber da sie schon immer gerne backte und auch kochte, vielleicht auch, weil sie pragmatisch ist, stieg sie mit ein. „Das passt, ich bin hier gut reingewachsen.“

Vieles blieb gleich in der Rohrbecker Straße, aber nicht alles. So hat zuletzt zum Beispiel die Ankunft der vor allem syrischen Flüchtlinge einige Bewegung in das Leben der Bethkes gebracht. Der Kontakt entstand quasi zwangsläufig. Auf dem Weg zum Deutschkurs im ehemaligen Gasthof „Zum Schmied“ kamen die Flüchtlinge – zwischenzeitlich mehr als 50 – regelmäßig an der Bäckerei vorbei. Sie kauften dort ein und wohnten schließlich in den Neubauten in der Lindenstraße – genau wie die Bethkes. Außerdem, und das vielleicht an erster Stelle, hatte die Familie das Bedürfnis, zu helfen. So lud sie alle Kinder, wirklich alle, nacheinander zum gemeinsamen Plätzchenbacken ein. „Wir wollten niemanden außen vor lassen, gemeinsam mit den Eltern haben wir dann immer Kaffee getrunken.“ Die Kinder zeigen den Bethkes heute noch Bilder vom Plätzchenbacken. Oder sprechen vom gemeinsamen Pilze sammeln, Baden fahren, Kindergeburtstag feiern oder Hausaufgaben machen. Denn auch jetzt, nachdem die Flüchtlinge Iden längst verlassen haben, besteht noch reger Kontakt zu vier Familien. „Wir sind wirklich richtige Freunde geworden. Sie sind so herzlich und dankbar, die Kinder nennen mich deutsche Oma“. Erst am Wochenende ist die deutsche Oma nach Stendal zum Besuch gefahren. Frischer Kuchen zum Mitnehmen ist ja immer da.