Einheitsfest Erst am Rand, jetzt in der Mitte
Landwirtschaftsgeschichte, Blasmusik, Gottesdienst: Gäste waren am Tag der Deutschen Einheit im Freilichtmuseum Diesdorf willkommen.
Diesdorf l Der Dreschtag hat schon seit vielen Jahren auf dem historischen Areal in Diesdorf Tradition. Die Heimatverbundenen der Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß 54 Dähre schlüpfen gern in die Kleidung der Vorfahren, um zu präsentieren, wie diese die Körner aus dem Getreide gewonnen haben.
Bei Älteren wecken sie Erinnerungen. Bei Jüngeren sorgt das Gezeigte für Erstaunen. Denn mit den modernen Mähdreschern heutzutage ist die Arbeit recht zügig erledigt.
Vor etwa 100 Jahren bedeutete das noch recht viel Handarbeit, schildert Torsten Barthel, der erstmals die Moderation übernommen hat. Er erklärt die Arbeit mit den Dreschflegeln, die „älteste Form des Dreschens“. Dabei musste synchron gearbeitet werden. „Morgens ab 4 Uhr bis gegen 7 wurde gedroschen. Dann gab es eine Suppe. Das Vieh wurde versorgt. Anschließend ging es mit dem Dreschen weiter“, erzählt er über die sehr kraftraubende Tätigkeit. Kein Wunder, dass oft vom „Hunger wie ein Scheunendrescher“ berichtet werde.
Aber auch die Funktionsweise von Breitdrescher, Dreschmaschine und Windfege erklärt Torsten Barthel genau. Die Besucher bleiben gern stehen, kommen mit den Machern ins Gespräch. „Was das Diesdorfer Museum bietet, ist unübertroffen“, schwärmt Werner Seitschek aus Uelzen, der erstmals das Dreschfest miterlebt. Interessiert schaut er zudem Kathrin Kratschke-Lyga beim Korbflechten zu. Alles, was mit der Hand gemacht werde, sei Gehirnnahrung, fügt der Senior hinzu.
Eine Pause können die Besucher an der Hilmsener Scheune einlegen und den Melodien lauschen, die die Osterburger Blasmusikanten mit ihren Sängern Jutta Völzke und Reiner Barrey darbieten. Mitglieder des Vereins Textilhandwerk Wolmirstedt zeigen, wie Flachs und Wolle gesponnen sowie das Produkt anschließend „verstrickt“ wird.
Unterm Zeltdach nahe der Klein Chüdener Kirche finden sich geladene Gäste zum ökumenischen Gottesdienst ein. Auf der Wiese sind Bänke für Interessenten aufgestellt.
Die Andacht sei etwas Besonderes, sagt Superintendent Matthias Heinrich. Denn sie vereine mehrere Ereignisse: 30 Jahre deutsche Einheit, die Wiedereröffnung der Kirche, das Erntedankfest sowie einen länder- und konfessionsübergreifenden Gottesdienst – und das alles in Corona-Zeiten miteinzigartigen Ansprüchen. Der Posaunenchor Salzwedel unter Leitung von Roland Dyck umrahmt die Feierstunde.
Michael Ziche, Landrat des Altmarkkreises Salzwedel, verweist darauf, dass Diesdorf vor gut 30 Jahren nur knapp außerhalb der Sperrzone gelegen habe. „Heute befindet sich der Ort in der nördlichen Mitte Deutschlands“, beschreibt er den positiven Effekt durch die Wiedervereinigung. Unterbrochene Beziehungen zu Niedersachsen hätten neu belebt werden können. „Vor drei Jahrzehnten am 3. Oktober hat es einen Besucheransturm bei freiem Eintritt im Museum gegeben, Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer des damaligen Museumsleiters“, erinnert er. Heute sei dieser Tag nichts besonderes mehr. „Die Alltäglichkeit darf nicht dazu führen, die Anstrengungen für die deutsche Einheit als gering zu erachten“, sagt Michael Ziche. Er verwies darauf, dass es überall im Land gute Lebensbedingungen gebe. Und dass der Rentenangleich zwischen Ost und West im Jahr 2024 vollzogen werden solle. „Wir sollten stolz Rückschau halten und mit Zuversicht nach vorn blicken“, erklärt der Landrat. Im März, mit Beginn der Corona-Pandemie, sei noch nicht absehbar gewesen, den 30. Einheitstag überhaupt feiern zu dürfen. Die Beschränkungen durch das Virus hätten deutlich gemacht, wie bedeutsam Freiheit sei.
Michael Ziche erinnert an 130 Kilometer eisernen Vorhang, die durch den heutigen Altmarkkreis verliefen. 14 Menschen seien in diesem Bereich an der einstigen Grenze ums Leben gekommen. Nicht vergessen werden dürften auch die mehr als 200 Menschen, die bei der „Aktion Ungeziefer“ im Jahr 1952 in der Region aus grenznahen Orten umgesiedelt worden seien. Die Glocke aus dem geschliffenen Ort Jahrsau, die an der umgesetzten Klein Chüdener Kirche angebracht sei, sei ein Symbol für das Geschehene. Museumsleiter Jochen Hofmann bringt sie zum Klingen.