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Gericht 3000 Euro für zwei Eimer

Ein 72-jähriger Rentner hat sich in Salzwedel mit einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes angelegt.

Von Alexander Rekow 06.02.2020, 14:06

Salzwedel l Wütend, das beschreibt ziemlich genau den Zustand des 72-jährigen Angeklagten während der Verhandlung am Salzwedeler Amtsgericht. Eigentlich wäre der Mann mit einem Bußgeld von 150 Euro um eine Verurteilung herumgekommen, doch sein Groll verhinderte das. Selbst im Gericht, beim erneuten Angebot, den Einspruch zurückzuziehen, lässt sich der Angeklagte nicht umstimmen. Richter Klaus Hüttermann bleibt keine andere Wahl, als ein Urteil zu sprechen.

Der Angeklagte soll am 1. Oktober 2019 Beamte angegriffen haben, wirft ihm die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in der Anklageverlesung vor. Er hatte vor seinem Wohnhaus einen Parkplatz mit Eimern abgesperrt. Als Mitarbeiter des Ordnungsamtes dies entdeckten und die Eimer mitnahmen, soll der 72-Jährige mit Faustschlägen seine Eimer zurückgefordert haben.

Dies sieht der Angeklagte indes ganz anders, wie er dem Gericht erklärt. „Ich bin schwerbehindert“, betont er, einen Ausweis für sein Auto hat er hingegen nicht. Deshalb stelle er seit 1992 vor seinem Haus die Eimer auf, um stets einen freien Parkplatz vorzufinden. Das sei vom Ordnungsamt und der Polizei geduldet worden. Außerdem fahre er ja auch nicht so oft mit dem Auto. Vielleicht ein- bis zweimal die Woche. „Nach 30 Minuten bin ich immer zurück.“

Doch am 1. Oktober sei alles anders gewesen. Als er an diesem Tag wieder besagten Parkplatz ansteuerte, seien die Eimer weg gewesen. „In 30 bis 40 Metern Entfernung habe ich gesehen, wie Politessen mit meinen Eimern zur Polizei gingen.“ Er fühlte sich bestohlen: „Ich habe gerufen, ich will die Eimer wieder.“ Dann habe es einen kurzen Disput mit dem Stadtmitarbeiter gegeben, der die Behältnisse trug. „Er hat mich am Arm gegriffen und mich an die Wand geklatscht“, ärgert sich der wütende Mann vor Gericht. Dann sei schon die Polizei gekommen. Eine Politesse, die ebenfalls mit in der Gegend war, lief zum Revier.

Nach der Auseinandersetzung seien die Beteiligten ins Polizeirevier gegangen, um den Sachverhalt zu klären. Als der Rentner eine Anzeige im Revier erstatten wollte, sei er angebrüllt worden, berichtet er. Zuhause habe er auf den Schreck erstmal einen Schnaps gebraucht.

Im Gerichtssaal wühlt der Angeklagte in zwei Beuteln. Er sucht Beweise, dass einzig er das Opfer ist. „Hier, da sieht man die blauen Flecken am Arm“, sagt er und streckt Richter Hüttermann Fotos entgegen. Auch seine Jacke, die er an dem Tag trug, hat er dabei. „Sehen Sie das?“, fragt er den Richter. Dieser ist mittlerweile etwas genervt davon, möglicherweise auch deshalb, weil ihn der Angeklagte schon im Vorfeld mit Briefen regelrecht „bombardiert“ hatte.

„Die Jacke ist dreckig“, kommentiert Hüttermann kurz. Einen Beweis, dass der 72-Jährige Opfer sei, kann er an der schmuddeligen Jacke indes nicht sehen. „Das Aufstellen von Eimern überschreitet den allgemeinen Gebrauch“, liest er stattdessen aus dem Gesetzbuch vor. „Das dürfen Sie nicht.“

Doch Einsicht zeigt der renitente 72-Jährige zu keiner Zeit. Auch nicht, als ihm der Richter Fotos der Eimer-Absperrung zeigt. „Das haben die später gemacht und selbst Eimer aufgestellt“, brummt der Angeklagte.

Schließlich müssen Zeugen ran, um Licht ins Dunkle zu bringen. „Uns sind wiederholt die Plastikeimer aufgefallen“, erinnert sich der Politeur: „Im Frühjahr haben wir ihn bereits darauf hingewiesen, dass das nicht statthaft ist.“ Diesmal hatte der Mitarbeiter des Ordnungsamtes allerdings die Nase voll und nahm die Eimer mit.

Doch damit geht der Ärger erst richtig los. „Er kam wutschnaubend hinterher und wollte die Eimer.“ Die könne er sich beim Ordnungsamtsleiter abholen, entgegnete der Stadtmitarbeiter. Daraufhin soll der 72-Jährige versucht haben, ihm die Eimer in einer Rangelei zu entreißen. Er soll seinen Arm gegriffen und Schläge verteilt haben. Kehlkopf und Schulter habe er getroffen. „Dann habe ich ihn gegen die Wand gedrückt, und meine Kollegin hat die Polizei geholt“, erzählt der Zeuge. Es seien keine Hämatome geblieben, aber Schmerzen.

Von der Gehbehinderung, von der der Angeklagte anfangs spricht, sei am Tattag nichts zu merken gewesen. Vielmehr sei er dem Politeur schnellen Fußes hinterhergelaufen, erzählt der. Diese Variante bestätigt dann auch seine Kollegin als zweite Zeugin: „Er sollte nur zuhören, was mein Kollege zu sagen hat.“ Stattdessen habe er „wie von einer Tarantel gestochen um sich geschlagen“. So etwas habe sie in ihrem Berufsleben noch nicht erlebt. Ihr Kollege habe dann mit seinem Unterarm den Angeklagten fixiert, bis die Polizei kam. Auch bei ihr hakt der Richter nach, will wissen, ob der Angeklagte wirklich gelaufen ist – Stichwort Gehbehinderung. Die Zeugin versichert: „Ja, ich sage die Wahrheit.“

Neben den Mitarbeitern vom Ordnungsamt sind noch drei weitere Zeugen vor Ort. Nicht alle geladen: Der Angeklagte hatte seine Nachbarn zum Gericht gebeten. Ein Ehepaar betont, dass der Rentner sich nicht hätte wehren können, weil er zu schwach dafür sei. Wenn Gewalt von jemanden ausgegangen sei, dann vom Politeur. Schließlich hätte ihr Nachbar nur seine Eimer gewollt, die ihm gestohlen wurden. „Das ist wörtliche Übereinstimmung“, mahnt der Richter, der die Nachbarn unter direktem Einfluss des Angeklagten vermutet.

Ein letzter Zeuge, der als Pflegedienstmitarbeiter zum Tatzeitpunkt gerade bei den besagten Nachbarn war, kann indes nichts zur Aufklärung beitragen. Offensichtlich fühlt er sich im Zeugenstand sehr unbehaglich.

Der Richter hat jedoch genug gehört. Und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sieht ihren Vorwurf nach den Aussagen bestätigt: Es habe sich zweifelsfrei so zugetragen, wie es im Strafbefehl stehe.

Das sieht auch Hüttermann so, der den Angeklagten zu einer Geldstrafe von knapp 3000 Euro verurteilt. Obendrein muss der 72-Jährige die Kosten des Verfahrens tragen.

„Sie verstehen es immer noch nicht“, raunt der Richter. Auch diese Strafe sei nämlich zu seinem Gunsten ausgefallen, denn es hätten auch drei Jahre Freiheitsstrafe sein können.

Gegen das Urteil kann der Rentner binnen einer Woche Rechtsmittel einlegen.