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Gericht Obdachloser bei Arendsee misshandelt?

Den Kopf unter Wasser gedrückt, getreten und geschlagen: Wegen Körperverletzung saß ein Mann aus dem Raum Arendsee auf der Anklagebank.

Von Alexander Rekow 01.07.2019, 12:00

Salzwedel l Auch nach mehreren Stunden Verhandlung kam das Amtsgericht in Salzwedel zu keinem Urteil. Verhandelt wurde gegen einen 58-Jährigen aus dem Raum Arendsee. Er soll einen obdachlosen Alkoholiker auf seinem Hof beschäftigt haben. Doch statt Geld soll es Prügel gegeben haben.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, den Kopf des 59-jährigen Obdachlosen im Frühjahr 2017 ins Wasser einer Viehtränke gedrückt zu haben, bis ihm die Luft weg blieb. Im Sommer 2017 soll er den Mann mit Stahlkappenschuhen in den Bauch getreten haben. 2018 sollen Faustschläge ins Gesicht und weitere Tritte gefolgt sein.

Zu einer unentgeltlichen Arbeit sei es nie gekommen, machte der Verteidiger des Angeklagten zu Beginn der Verhandlung klar. Vielmehr hätte das mutmaßliche Opfer Federvieh auf dem Hof des Angeklagten untergebracht. Dafür sollte der 59-Jährige bei dem Angeklagten Gefälligkeitsarbeiten wie Rasenmähen erledigen. Und den Kopf des Obdachlosen habe sein Mandant nicht aus Boshaftigkeit unter Wasser gedrückt, sondern um den 59-Jährigen wachzurütteln. Schließlich soll er abermals betrunken auf dem Hof des Angeklagten gelegen und eingenässt haben. In den Bauch habe der Angeklagte auch nicht getreten. „Gelegentlich mal in den Hintern“, erklärte der Anwalt. Das hätte seinen Grund, da der 59-Jährige falschen Sprit auf den Benzinmäher gekippt habe. Geschlagen habe er ihn nie. Verletzungen im Gesicht kämen durch Stürze, da der Obdachlose auch Alkoholiker sei.

„Er hat ihn als Sklaven gehalten“, meinte Richter Klaus Hüttermann. Denn der Angeklagte hätte auch die EC-Karte des 59-Jährigen besessen und dessen Hartz IV eingeteilt. „Ich habe mich daran nicht bereichert“, entgegnete der 58-Jährige. Vielmehr habe der Obdachlose ihn darum gebeten. Auch sonst habe er dem mutmaßlichen Opfer nur helfen wollen, schließlich habe er ihm auch einen Fernseher und eine Kühltruhe für die Obdachlosenunterkunft besorgt. Das aber zog bei der Amtsanwältin nicht: „Wie lang sollte er denn Fernseher und Kühltruhe abarbeiten?“ Zudem vermisste die Vertreterin der Staatsanwaltschaft eine Aufstellung der Kosten und Ausgaben, wenn er schon die Finanzen des 59-Jährigen überwache.

„Ich habe ihm doch nur geholfen, weil er mir leid tut“, meinte der Angeklagte. Dass es zu Streitigkeiten zwischen den beiden Männern gekommen sei, räumte der 58-Jährige ein: „Er hat ja mehr Schaden angerichtet als geholfen.“ Mal war es der Rasenmäher, mal ein ausgehobenes Loch, das nicht tief genug war.

Wortkarg und eingeschüchtert nahm das mutmaßliche Opfer auf dem Zeugenstuhl Platz. Stets unter den wachsamen Augen des Angeklagten. Mittlerweile wird der 59-Jährige in Uchtspringe betreut. „Er hatte mich damals gefragt, ob ich seine Hühner füttern kann“, erinnert er sich nun vor Gericht. Auch etwas Ordnung sollte er auf dem Hof schaffen. Das kam dem Obdachlosen recht, schließlich bekäme er dadurch Abwechslung, dachte er. „Hat er Sie misshandelt?“, wollte Richter Klaus Hüttermann wissen. „Kam vor“, antwortete der tief im Zeugenstuhl eingesackte 59-Jährige. Dass er sich unwohl in Anwesenheit seines mutmaßlichen Peinigers fühlte, war dem schmächtigen Mann deutlich anzumerken. Einen Blick Richtung Anklagebank wagte er nicht. Er bestätigte, dass er von dem 58-Jährigen geschlagen wurde. „Mit dem, was er gefunden hat.“ Auch mit einem Knüppel.

Richter Klaus Hüttermann zeigt einige Fotos des damals Obdachlosen mit Blessuren an Kopf und Bein. „Mein Knöchel war auch gebrochen“, ergänzte der 59-Jährige. „Können die Verletzungen vom Hinfallen kommen?“, fragte Hüttermann. „Nein, dass glaube ich nicht“, antwortete der 59-Jährige. „Warum hat er Sie geschlagen?“, bohrte der Richter nach. „Weil ich betrunken war“, entgegnete der eingeschüchterte Mann. Kurioserweise brachte der Angeklagte nach eigenen Angaben regelmäßig Bier für seinen Helfer mit. Wissentlich, dass er Alkoholiker ist.

An das Eintauchen in der Zinkwanne konnte sich der Mann im Gerichtssaal noch gut erinnern. „Er hat mich geschnappt und den Kopf getaucht“, erklärte er, „damit ich nüchtern werde.“ Wenn er den Kopf kurz über Wasser hielt, schnappte der Mann nach Luft, um unter Angst wieder unter Wasser gedrückt zu werden. An die Schläge und Tritte konnte sich der 59-Jährige nicht mehr erinnern. „Sie leiden an Korsakow“, erklärte der Richter. Ein Gedächtnisverlust aufgrund der Alkoholerkrankung.

Die Ex-Frau des Angeklagten bestätigte im Gericht, dass es immer wieder zu Übergriffen ihres Mannes gekommen sei. Anfangs habe sie geschwiegen, doch es später nicht mehr ausgehalten. Sie sprach davon, dass aus freiwilliger Arbeit Pflicht wurde. Bei jeder Verfehlung soll es Gewalt gegeben haben. Auch sie soll mit einem Messer von ihrem Ex-Mann bedroht worden sein, erklärte sie unter Tränen. Irgendwann habe sie es nicht mehr mit ansehen können und den 59-Jährigen aus seiner misslichen Lage befreit, indem sie ihn an einen anderen Ort gebracht habe. Ein weiterer Zeuge, ebenfalls Alkoholiker, bestätigte auch, dass der 59-Jährige unter Wasser gedrückt wurde und nach Luft geschnappt hat.

Richter Klaus Hüttermann hatte genug gehört und setzte einen Folgetermin am 19. Juli im Salzwedeler Amtsgericht an.