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Geschichte Salzwedeler Stolpersteine digital erleben

An die Opfer der Reichspogromnacht wird in Salzwedel erinnert. Interessierte können mit einer App mehr erfahren.

Von Tobias Hofbauer 09.11.2020, 00:00

Salzwedel l Bis in das 13. Jahrhundert lässt sich die Geschichte jüdischer Familien in der Altmark zurückverfolgen. Es jähes Ende fand jüdisches Leben in Salzwedel in der NS-Zeit. Das schreckliche Schicksal für die meisten Juden lautete Deportation in das Warschauer Ghetto. Nachverfolgen lasse sich ihre Geschichte dort nicht mehr, sagt Cathleen Hoffmann von Miteinander. Anders in der Hansestadt. Der Künstler Günter Demnig hat in Gedenken an Judenverfolgung die Stolpersteine ins Leben gerufen. Seit 2010 gibt es sie auch in Salzwedel. Mit 16 Steinen wird an fünf Familien erinnert. Wie der Künstler auf seiner Webseite erklärt, heißen die Stolpersteine so, weil er damit ein gedankliches Stolpern bewirken will. Mittlerweile ist das Projekt schon so groß, dass es in ganz Europa bereits mehr als 75 000 Stolpersteine gibt. Auf den Steinen selbst befindet sich auf der Oberseite eine Messingplatte in der Größe von etwa zehn mal zehn Zentimetern, auf denen der Name, Geburtsdatum und der Verbleib der jeweiligen Person vermerkt ist. Sorge tragen für die Steine Steinpaten.

„Steinpaten machen die Steine sauber und kümmern sich um sie“, erklärt Cathleen Hoffmann. Neu ist, dass der Weg nun auch erstmals digital zu verfolgen ist. Die Idee stammt von Cathleen Hoffmann. Die digitale Stadtführung entlang der Stolpersteine hat Lilli K. ausgearbeitet. Sie absolviert derzeit ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) bei Miteinander. Als Grundlage für ihre Recherche verwendete sie Dokumente aus dem Danneilmuseum, die sie seit September in die App eingepflegt hat. Für sie sei es dabei wichtig gewesen, so viel wie möglich über die Familien zu erzählen, damit ihre Schicksale nicht in Vergessenheit geraten. Weitere Informationen entnahm sie einem Buch des Historikers Dr. Ernst Block, der sich seit dem Ende der 1990er Jahre mit dem Schicksal jüdischer Familien aus Salzwedel beschäftigte. „Festzulegen, was für den Stolpersteinweg wichtig ist und was man weglassen kann, war extrem schwierig“, gesteht die FSJlerin.

Gelingen soll der digitale Rundgang mit der App „Actionbound“. Mit dieser seien Nutzer nicht mehr an bestimmte Gedenktage gebunden, sondern können jederzeit den Rundgang erleben – beispielsweise bei einem Spaziergang, so Lilli. Dafür benötigen sie lediglich ein Handy oder Tablet mit aktiver GPS-Verbindung.

In den Erlebnistouren, den sogenannten Bounds, ist es möglich auf bereits bestehende Routen zurückzugreifen, oder selbst anzulegen. „So wie bei einer Schnitzeljagd“, sagt Lilli. So sei mehr über die Geschichte kennenzulernen, während man die Orte des Geschehens besucht. Auf der App wird zwar keine Richtung angezeigt, wohin es weitergeht, dafür können sich Nutzer anhand der Karte von Salzwedel orientieren und selbst die Orte entdecken. Das sei auch nötig, bemerkt Lilli, denn manche Familien haben noch keinen Stolperstein und sind daher ohne App nur schwierig zu finden. „Ich fand es wichtig diese Orte einzubauen, weil sie Teil der Geschichte sind“, meint sie. Während des Rundgangs könne der Bound pausiert und wieder fortgesetzt werden. Und wer Infos überspringt oder einen Ort aus Versehen verpasst, hat die Möglichkeit vor und zurück zu navigieren.

Zusammengefasst ließen sich die Bounds in der App als Alternative zum gewohnten Rundweg beschreiben. Außerdem sei die App eine Ergänzung zu den Stolpersteinen, die nur wenige Informationen bieten würden. Insgesamt dauert der vorgegebene Kurs ungefähr 90 Minuten bei einer Strecke von etwa eineinhalb Kilometern.

Hoffmann erzählt, dass es in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ein gigantisches Archiv gibt. In diesem sind alle jüdische Menschen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen, aufgeführt. So gebe es 1169 Personen im Zusammenhang mit Salzwedel, die den Nazi-Terror nicht überlebten. Ein Beispiel der Verfolgung ist eine Verordnung vom August 1938, wonach jüdische Bürger als zweiten Vornamen Israel beziehungsweise Sara annehmen mussten, um schon bei der Nennung ihres Namens als Juden erkannt zu werden. Sie mussten das unaufgefordert der Polizei melden. Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkamen, erwartete die Familien hohe Strafen.

Die für heute angekündigte Veranstaltung wurde vom Almtarkkreis Salzwedel mit Blick auf die Corona-Krise untersagt. Die Organisatoren hatten im Vorfeld bereits einige Programmpunkte gestrichen. Dazu gehörte die Andacht auf dem jüdischen Friedhof. Das Konzert vom Aktionsbündnis Solidarisches Salzwedel mit Esther Bejarano und der Microphon Mafia wird voraussichtlich auf den 27. Januar verschoben.

Cathleen Hoffmann richet einen Appell an alle: „Erzählt die Geschichten weiter und erhaltet sie somit am Leben.“ Gleichzeitig sei jeder Stolperstein eine Warnung an die Bevölkerung, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Jeder sei verantwortlich zu erinnern und zu handeln.