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Jeetzeschifffahrt Tücher und Bier nach Gotland

Einst prägten Schiffe mit ihren Handelswaren auf Jeetze und Dumme in Salzwedel und Umgebung das Bild der Westaltmark.

Von Alexander Rekow 18.10.2017, 12:33

Salzwedel l Kanufahrer schippern über die Jeetze und genießen den Blick vom seichten Wasser auf die Altstadt oder idyllische Landschaft hinter den Stadtgrenzen. Ansonsten bevölkern höchsten Nutrias, Enten und Fische das Wasser in Salzwedels Flüssen. Sowohl die Jeetze, als auch die Dumme, sind zum Teil begradigt, viele Nebenarme existieren nicht mehr. Das war aber nicht immer so. Isbael Lorenz und Alexander Rekow von der Salzwedeler Volksstimme schauten sich die Geschichte der Jeetzeschifffahrt etwas genauer an.

Vor etwa 100 Jahren floss das Wasser noch in vielen Windungen durch die westaltmärkische Landschaft, war zudem deutlich tiefer und breiter. Die Jeetze war für ihre Anwohner gar ein bedeutender Wirtschaftsfaktor – denn mit dem Flusslauf bis in das niedersächsische Hitzacker war Salzwedel an die Elbe, und damit später an den nordeuropäischen Handel angebunden. Die Schifffahrt verlieh der historischen Fachwerkstadt Ansehen und Wohlstand.

Läuft man heute durch die Straße „Alte Jeetze“, kann man kaum glauben, dass vor vielen hundert Jahren anstelle des Kopfsteinpflasters Wasser zwischen dem alten Fachwerk floss. Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts schlängelte sich nämlich ein Nebenarm der Jeetze, eben die „Alte Jeetze“, entlang der historischen Häuser. Ebenso am Eichwall und Schulwall quer über den Marktplatz, und an der St. Katharinenkirche (Muttermollgraben).

An der Reichestraße, etwa auf Höhe der Hohen Brücke, befand sich der sogenannte Mühlengraben, den es ebenfalls nicht mehr gibt. Die meisten Nebenarme und Gräben sind verfüllt worden. Auch wies die Jeetze damals eine lebendigere Wasserführung als heute auf. Eine Flussbeschreibung von 1845 lautet: „Sie hat 20 bis 25 Fuß Breite (5,80-7,25 Meter), 3 bis 4 Fuß Tiefe (0,87-1,16 Meter)…“, wie Otto Puffahrt in seinem Buch „Ehemalige Jeetze/ Jeetzelschifffahrt zwischen Hitzacker und Salzwedel“ erwähnt. Trotz der recht flachen Ufer und dem geringen Gefälle konnten seinerzeit kleine Kähne mit einer Tragfähigkeit von 60 bis 80 Zentnern die Jeetze befahren.

Wann das erste Schiff auf der Jeetze exakt Fahrt aufgenommen hat, ist urkundlich nicht nachzuweisen. Wahrscheinlich spielt aber auch die Umleitung der Dumme nach Salzwedel im 13. Jahrhundert eine Rolle. Weiterhin wird spekuliert, dass die Jeetze bereits im späten Mittelalter um 1112 als Schifffahrts- und Handelsweg benutzt wurde. Urkundlich belegt ist die Jeetzeschifffahrt von Salzwedel über Hitzacker nach Lauenburg und Bleckede erstmals im Jahre 1248. Damals war der Schiffsverkehr deutlich vorteilhafter als der Landverkehr, denn es konnte schneller und zudem mehr Ware zum Zielort befördert werden als mit dem Ochs- oder Pferdegespann. Außerdem war es kostengünstiger, da es keinen direkten Weg von Salzwedel nach Lüchow gab.

Die Blütezeit der Jeetzeschifffahrt begann jedoch im Jahr 1263 mit dem Beitritt Salzwedels in die wirtschaftskräftige und angesehene Hanse. Die Stadt konnte so nicht nur am norddeutschen, sondern sogar am nordeuropäischen Handel teilnehmen, der bis nach Norwegen, Gotland, Russland und London reichte. Die Handelsschifffahrt wurde von Salzwedel aus betrieben, wovon auch die auf dem Weg nach Hitzacker liegenden Städte Dannenberg, Lüchow und Wustrow profitierten. In Hitzacker wurden die Schiffe umgeladen.

Welchen Weg die Jeetze-Kähne durch Salzwedel nahmen, ist nicht belegt, allerdings „wäre es logisch, wenn die Schiffe bis zur Hohen Brücke fuhren und dort aus- beziehungsweise beladen wurden“, meint Steffen Langusch, der das Salzwedeler Stadtarchiv leitet und sich tief in die Geschichte der Jeetzeschifffahrt eingelesen hat. Ob es dafür eine Hafenanlage gegeben hat, bleibt spekulativ. An der Reichestraße wurden aber mittelalterliche Uferbefestigungen gefunden, die darauf hindeuten könnten. Außerdem soll sich laut Otto Puffahrt an der Straße „Am Hafen“ in der Nähe des ehemaligen Armenfriedhofs ein Hafen, beziehungsweise eine Ausladestation, befunden haben. Nach Forschungen von Historiker Heinz Stoob, er hat das Buch „Die Hanse“ verfasst, soll der älteste Hafen noch vor der Anlegung der Neustadt zwischen Lohteich und dem südlichen Jeetzearm gelegen haben.

Möglich ist aber auch, dass es überhaupt keine Häfen gab. „Die Ufer waren sehr flach, sodass man mit dem Wagen direkt ans Schiff hätte heranfahren können“, erzählt der Stadtarchiv-Leiter weiter.

Die für die Jeetzeschifffahrt verwendeten Kähne waren flachgehend, zirka 12 Meter lang, 1,3 bis 2,2 Meter breit, bei einer durchschnittlichen Laderaumhöhe von 1,20 Metern. Für den Bau der Kähne wurde Eichen- und Kiefernholz verwendet. Holz von Bäumen, die seit jeher das Bild der westlichen Altmark prägen. Ein Kahn konnte eine Last von 120 bis 180 Zentnern tragen, größere Kähne waren außerdem mit einem Segel versehen. Die Handelsschifffahrt war jedoch stark von den Jahreszeiten abhängig: So konnten in den Monaten Juli und August wegen des niedrigen Wasserstands nur die Hälfte oder ein Drittel der normalen Ladekapazität verschifft werden. In den Wintermonaten Januar und Februar musste die Schifffahrt oft tagelang unterbrochen werden, weil sich dickes Eis auf der Jeetze bildete.

Salzwedel trägt nicht etwa seinen Namen, weil die Stadt Salz exportiert hatte. Der Salzhandel ist nicht zu belegen. Mit dem Namen hängt vermutlich der Anschluss an die bekannte Salzstraße oder die Stellen mit sehr hohem Salzgehalt – zum Beispiel in Altensalzwedel – zusammen. Obgleich es für die Blütezeit der Schifffahrt während des 13. und 14. Jahrhunderts keine konkreten Zahlen zum Frachtgut gibt, kann gesagt werden, dass für den Handel drei Produkte eine wichtige Rolle gespielt haben: Textilien (vor allem Tücher und Leinen), Bier und Getreide. Gerade die Textilien sollten auch später noch eine große Rolle spielen, um 1800 hatte Salzwedel die meisten Spinnereien und Webereien der gesamten Altmark, sodass die Stadt auch als „Tuchmacherwerkstatt“ über die Grenzen hinweg bekannt war.

Viele Staßennamen (Wollweber-, Tuchmacher- oder auch Schmiedestraße) zeugen noch heute vom einstigen Handel und der Handwerkstradition in Salzwedel. Zum Zeitpunkt des 18. Jahrhunderts können genauere Angaben zu Export- und Importgütern gemacht werden: Haupttransportgüter aus der Altmark Richtung Hitzacker waren Getreide, Leinwand- erzeugnisse, Tücher, Bier, Honig, Kuh- und Schafhäute, Eichen- und Kiefernholz, und auch Hopfen. In die Stadt wurden vorwiegend Heringe, Gewürze, Pelze, Lederwaren, Wachs, Zinn- und Kupfergefäße geschifft.

Zu dieser Zeit war das Frachtaufkommen jedoch schon deutlich geringer, als noch um 1400 und 1500. Grund dafür war zum einen, dass Salzwedel 1518 aus der Hanse ausgeschlossen wurde, wodurch sich die Frachtmengen verringerten. "Gründe könnten Bestrebungen des Landesherrn, eine schwindende Bedeutung Salzwedels als Handelszentrum und geringe Beteiligung an hansischen Aktivitäten gewesen sein", heißt es in der Hanse-Chronologie auf der Städtischen Homepage. Zum anderen war der 30-jährige Krieg von 1618 bis 1648 einschneidend für die Jeetzeschifffahrt. Dazu kamen die „natürlichen Hindernisse“ des Flusses, viele seichte Stellen und Sandablagerungen, die immer wieder weggeschaufelt werden mussten. Auch Verkrautungen des Flusses, denen man um 1600 mit einem „Entkrautungsplan“ entgegenzutreten versuchte, leiteten langsam das Ende der Schifffahrt in Salzwedel ein.

Über die Jahre verschlechterte sich die Schifffahrt für die Jeetzekähne immer mehr, weil der Fluss über Jahrzehnte oder Jahrhunderte nicht ausgebaut wurde. Dazu kam ab 1835 eine starke Konkurrenz abseits der Wasserwege: die Eisenbahn. Die Pläne einer Bahnlinie von Seehausen nach Salzwedel, Lüchow und Uelzen wurden in den Jahren 1891 und 1911 umgesetzt. So benötigte Salzwedel nicht mehr zwingend einen Wasserweg. Zunehmend verlagerte sich der Frachtverkehr auf die Schienen, bis 1901 oder 1905 (es gibt verschiedene Quellen) das Ende der Jeetzeschifffahrt markiert war. Bis nach dem Ersten Weltkrieg ist die Kohlezufuhr über die Wasserstraße noch zu belegen, 1929 legte aber auch hier endgültig der letzte Jeetzekahn an. Von nun an wurde der Wasserweg in den 30er und 40er Jahren höchstens noch für Kanuausflüge genutzt. Auch heute sind an sonnigen Tagen Kajaks und kleine Boote auf den Flüssen in und um Salzwedel zu sehen. Statt Handel steht das entspannen in der Natur im Vordergrund.

Was von der Geschichte der Jeetze bleibt? Seltene Fotos, wenige Bücher und unscheinbare Stellen, die darauf hindeuten, dass dort ein Nebenarm des Flusses war. Bei manchem Salzwedeler bleiben vielleicht auch Erinnerungen – auch daran, dass die alte Hansestadt ihren Namen nicht zu unrecht trägt.