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Musik Forest Jump: Sektdusche im Zauberwald

Etwa 1200 Gäste bevölkerten am Wochenende eine Wiese, umringt von Bäumen im Altmarkkreis. Grund: das Forest-Jump-Festival bei Salzwedel.

Von Alexander Rekow 27.08.2018, 15:00

Pretzier l „Wie heißt der Ort nach Pretzier?“, will Rapper Johnny Mauser wissen, „weiß das hier jemand?“ Er guckt fragend durch die Runde im Backstage-Zelt. Er hat seinen Bandkollegen Captain Gips am Handy. Dieser ist irgendwo im Nirgendwo des Altmarkkreises und sucht das Festival-Gelände. Ein anderer Musiker zuckt ahnungslos mit den Schultern. Gips und Mauser bilden mit Rapperin Marie Curry und DJ „Spion Y“ die Band „Neonschwarz“, die Headliner am Festival-Freitag, den 24. August. „Stappenbeck – der Ort nach Pretzier heißt Stappenbeck“, ruft ihm Tillmann Loth von der Forest-Jump-Crew zu.

Loth hatte mit seinem Bruder Felix und weiteren jungen Freunden das Forest-Jump-Festival 2012 gegründet (die Volksstimme berichtete). „Wir wollten ein Festival von Freunden für Freunde“, sagt Gregor Roth, ebenfalls Crewmitglied der ersten Stunde. Daher laden die Freunde auch nur Bands ein, auf die sie selbst Lust haben. Zudem bauen sie sämtliche Dekoelemtente aus Holz selbst. Seit jeher hat sich das Forest-Jump-Festival im Altmarkkreis Salzwedel stetig entwickelt. Beachtenswert dabei: alles rein ehrenamtlich. Daher sucht man Banner von Sponsoren, wie auf großen Festivals à la Rock am Ring oder Hurricane vergebens.

Für Ortsunkundige liegt der Anfahrtsweg in der weitläufig von Natur bestimmten Altmark etwas versteckt. Ein unscheinbarer Feldweg führt zwischen den Dörfern Pretzier und Stappenbeck bei Salzwedel zum sogenannten Zauberwald, wie Veranstalter, Künstler und Gäste das Areal liebevoll nennen. Seit dem Freitagnachmittag kommen mehr und mehr Gäste an. Hinter den Autos der anreisenden Besuchern wirbeln Staubwolken vom trockenen, sandigen Boden. Die Kennzeichen reichen von Altenburg über Berlin und Hamburg bis Zerbst. Dazwischen Menschen, die vom Bahnhof zu Fuß anreisen – Rucksäcke, Schlafsäcke und Zelte geschultert. Nach einigen hundert Metern ist das Gelände erreicht. Ein großes Holztor in Form einer Pyramide empfängt die Besucher – sofern sie noch eine Karte bekommen haben. Denn gegen 20 Uhr vermeldeten die Veranstalter – ausverkauft! Die Wochenend-Tickets und Karten für Sonnabend waren bereits im Vorverkauf vergriffen. Die, die Karten bekommen haben, stehen in einer langen Schlange und wollen die begehrten Festival-Bändchen.

Dann geht es rein in den Zauberwald, ein Wochenende mit abwechslungsreichere Musik, Kunst und allerhand zu entdecken – nicht nur für Erwachsene.

„Jakob ist kaum von der Rutsche wegzubekommen“, sagt Tina Franz, eine junge Mutter aus der Altmark. Sie ist mit ihrem Mann Jörg, dem vierjährigen Sohn und dessen achtjähriger Schwester Johanna gekommen. Während Jakob also immer wieder das Bauhaus erklimmt, um von der großen Rutsche zu rutschen, tanzt Johanna vor der Bühne, als gebe es keinen Morgen mehr. „Die Vielfalt der Bands und Musik sind klasse“, sagt die Mutter, die ihren Kindern vorsichtshalber bunte Stöpsel gegen die Beschallung in die Ohren steckt. Neben der Rutsche, in einem großen „Waldlaufrad“, spielen zwei andere Kinder. In einer Netzliegewiese kabbelt ein Großvater mit seinem Enkel, ein älteres Pärchen nutzt die "Chilllounge", um an einem kleinen Baum mit plätscherndem Brunnen zum Entspannen. Jugendliche spielen in einem Wohnzimmer mit Schrankwänden – Eiche brutal –, Brettspiele an einem Tisch auf Sofas. Die Wohnlandschaft wirkt, als würde man in die 1990er Jahre zurück katapultiert werden.

Zurück zu „Neonschwarz“. Mittlerweile ist der verschollene Hamburger Rapper Captain Gips aufgetaucht – das Quartett ist komplett. Fremd ist die Region der Band übrigens nicht, erklärt Johnny Mauser: „Meine Großeltern kommen aus Bergen/Dumme in Niedersachsen“, etwa 25 Kilometer vom Veranstaltungsort entfernt. Zudem hatte die Hip-Hop-Combo bereits vor einigen Jahren mit der Rostocker Kult-Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ im Autonomen Zentrum „Kim Hubert“ in Salzwedel gespielt. Während Mauser erläutert, heizt die Berliner Electro-Punkband „Egotonic“ den Gästen mächtig ein. Der Bass wummert. Das Zeichen für „Neonschwarz“, ihren Auftritt vorzubereiten – sie spielen als nächstes.

Der Zauberwald wird seinem Namen im Schein von Hunderten Lämpchen gerecht. Die Besucher streifen über das Gelände, bestaunen die vielen Elemente. Ob alte Fotorollen, zu einem großen Kreis formiert, eine Galerie mit Gemälden oder ein schwebendes Flugzeug mit einem großen Teddy als Kapitän – dazu bunte Kunstformen – alles strahlt, glitzert und glänzt in vielen Farben. „Es gibt überall was zu entdecken“, sagt Tina Franz: „Ob oben in den Bäumen oder auf dem Boden, wo plötzlich Licht angeht.“ Alice im Wunderland würde sich wohl heimisch fühlen. Ein wahrhaftiger Sommernachtstraum.

„Boah, ist das geil“, sagt ein Junge (8) am Sonnabend beim Betreten des Geländes. Und damit war der Lausbub nicht der einzige. Während am Freitagabend noch einige wenige Kinder das Areal aufsuchen, sind es am Sonnabendnachmittag wesentlich mehr. Väter rutschen mit ihren Sprösslingen vom Baumhaus, Mütter stoßen die Kleinen an der Schaukel an, Großeltern spazieren mit Enkeln auf den Schultern. Spätestens da ist die Rolle eines Festivals mit Familienanspruch klar zu erkennen. An den Essensständen müssen die Besucher derweil anstehen. Die selbst gemachten Pommes sind gefragt. Hinter dem Stand stehen etliche Wannen mit Kartoffeln vom eigenen Acker. Die Crew-Mitglieder sind im Dauerstress. Alle Kartoffeln müssen erst zu Pommes gespalten werden. „Ich hab Kohldampf“, bringt es Steven Wykowski (27) auf den Punkt. Er ist mit Freunden aus dem Raum Hannover angereist. „Gestern haben wir bis 4 Uhr gefeiert“, sagt er. Augenringe und Körperspannung zeigen das deutlich. Wie Steven, steckt der Freitag noch einigen in den Gliedern. Aber Schluss ist noch lange nicht.

Auf der Bühne spielt derweil schon wieder die Musik. Die Post-Hardcore-Kapelle „Fjørt“ bringt das Publikum in Ekstase. Sie sind kurzfristig für „DŸSE “ eingesprungen. Den Fans war es recht, sie konnten beim Pogen abdrehen. Derweil bereiten sich die Rapper von „Zugezogen Maskulin“ im Backstage vor. Sie sind gerade aus Tschechien von einem Konzert gekommen. „Das sitzt uns noch in den Knochen“, erklären sie. Auf der Bühne ist davon aber nichts zu sehen. Das Publikum singt lautstark mit und wird schlussendlich mit Sekt-Kanonen beschossen. „Ich bin nicht nass, der Sekt ist trocken und außerdem lecker“, witzelt Florian Butzsan (24), dessen T-Shirt fortan feinwürzig nach Sekt schnuppert.

Und dann passiert es: Regen! Der Feind eines jeden Open-Air-Festivals zieht über den Altmarkkreis. Waren die vergangenen Wochen und Monaten von Dürre bestimmt, regnet es ausgerechnet am Sonnabend des Forest-Jump-Festivals. Einige Gäste beziehen kurzerhand wieder ihre Zelte, andere zeigen wie es richtig geht. „Ich gehe doch auf kein Festival, ohne für alle Wetterlagen gekleidet zu sein“, sagt Linda Scholzke aus Hamburg und tanzt mit Gummistiefel und Regenjacke. Sie hat aber auch eine Winterjacke und Bikini dabei, erklärt sie: „Anstatt auf Sonne zu warten sollten wir im Regen tanzen.“ Und so bevölkern trotz einiger kleiner Niederschläge die Gäste die Tanzfläche.

„Wir hatten zwar kleine Störungen auf dem Festival, aber alles konnte immer gleich behoben werden“, sagt Tillmann Loth. Mal wehte der Wind eine Plane weg, mal waren es technische Probleme. Aufgefallen ist den Besuchern davon aber nichts. Und so schafften es die jungen Festival-Macher, ihr Event abermals zu verbessern. Es wirkte rund und abgestimmt. Dass es nun erstmals ausverkauft war, zeigt, dass die Crew auf dem richtigen Weg ist. Das „verflixte siebte Jahr“ war der Höhepunkt der bisherigen Forest-Jump-Geschichte.