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PilgerreiseBuen Camino: Abschluss am Atlantik

Ein Salzwedeler lief sich auf 850 Kilometer ein tragisches Lebensereignis von der Seele. Ein Weg der Selbstfindung und des Neubeginns.

Von Dan Tebel 11.03.2016, 12:54

Salzwedel l Der 38-jährige Heilerziehungspfleger Christian Behr aus Salzwedel legte im vergangenen Jahr in genau sechs Wochen und einem Tag rund 850 Kilometer Wegstrecke durch spanische Berge und Täler zurück. Zu Fuß.

Bis zu 2000 Menschen starten in der Hauptsaison täglich ihre Reise auf dem Jakobsweg von Saint Jean pied de port (Frankreich), weiß Christian Behr. Diese verteilen sich zwar auf sieben verschiedene Hauptrouten, aber in der Saison sei gerade der Französische Weg (Camino de France) zu sehr überlaufen, begründet er seine Entscheidung am 15. September 2015 in Spanien gestartet zu sein. „Viel los war trotzdem. Einmal habe ich in einer ziemlich kleinen Pilgerherberge in einem ziemlich kleinen Saal mit 23 Anderen übernachtet“, sagt Behr. Einen genauen Startpunkt gibt es nicht, auch in Deutschland kann losgelaufen werden. Das Ziel bleibt gleich: Santiago de Compostela in Galicien (Spanien).

Der Küstenweg (El Camino del Norte) ab Irun, unmittelbar an der spanisch-französischen Grenze, zieht sich fast komplett an der atlantischen Küste entlang. Die abwechselnden Berge und Täler sowie rund zehn Kilogramm Gepäck forderten ihren Tribut, sodass der Salzwedeler unterschiedliche Tagesdistanzen zurücklegte: „Zunächst waren es 15 Kilometer am Tag, später sogar 38“, so Behr. Merklich sei dabei die Kondition gestiegen. Nur ein Mal musste er zwei bis drei Tage in Bilbao pausieren, sonst lief er tagsüber durch. „Ich hatte mir eine Sehnenentzündung gelaufen und schaute mir dann die Stadt mit dem Bus an“. Trotz starken Willens war der Weg nicht immer einfach: „Es gab Tage, da hatte ich große Zweifel an mir und meiner Reise“, so Behr. Über Facebook informierte Christian regelmäßig seine Freunde. Darin heißt es auch: „Heute ist das Gefühl des Verlorenseins wieder extrem schlimm.“

Letztendlich stand er aber nach Santander und Gijon am 28. Oktober vor dem sakralen Ziel. „Vier bis fünf Tage verbrachte ich dort. Nicht nur die Beine, sondern auch der Kopf müssen ankommen“, resümiert er. Bevor es dann am 3. November per Flugzeug ins herbstliche Deutschland zurück ging, genoss Christian noch ein kaltes Bad im blauen Atlantik. Damit wusch er sich abschließend nach der Tour nicht nur körperlich, sondern auch seelisch rein.

Denn ähnlich der Reise der Menschen, die sich auf den Jakobsweg begeben, verläuft auch das Leben selbst: „Diese Wanderung ist wie eine Art verkürzter Lebensweg. Es geht ständig auf und ab“, erzählt Christian. Der gebürtige Altmärker, der noch Mitte letzten Jahres in Freiburg lebte und arbeitete, kehrte nicht grundlos seiner Heimat den Rücken, um in fast sechs Wochen 850 Kilometer zurückzulegen.

Er reiste zwar schon immer gern, aber dieses Mal verarbeitete er ein trauriges Ereignis, das ihn unvorbereitet traf. „Im vergangenen Jahr verstarb meine Mutter. Durch die Reise auf dem Jakobsweg konnte ich mit diesem schwerwiegenden Verlust abschließen“, erklärt Christian und sieht eine Gemeinsamkeit zwischen ihm und anderen Pilgern. „Es ist interessant zu sehen, dass alle ihre Päckchen mit sich tragen“. Damit verweist er auf das eigentliche Ziel: Der Jakobsweg ist nicht nur begehbarer Pfad und eine Reise auf den Spuren der Vergangenheit, sondern auch ein Exkurs zum eigenen Ich und ein Pfad der Selbstfindung.

Vielleicht auch die Suche nach einer Lösung zwischen Verdrängung und Abschluss.

Einen religiösen Bezug sieht der Altenpfleger, der bereits fünf Mal Indien bereiste, nicht zwangsläufig. „Ich bin zwar kirchlich erzogen, aber weltoffen anderen Religionen gegenüber“. Letztendlich habe auch er das eine oder andere Morgengebet mitgemacht, erzählt er. Das sei einfach mit der Spiritualität dieser Reise einhergegangen.

Der Weg entlang der symbolischen gelben Muschel auf blauem Untergrund führte ihn nicht nur durch schöne Landschaften und verschlafene Küstendörfer, sondern brachte ihm viele neue Bekanntschaften. Christian Behr ist aufgeschlossen und kontaktfreudig.

Bereits am ersten Tag seiner Reise lernte er eine Ärztin aus Hildesheim und einen älteren Mann kennen. „Die Beiden haben mich lange begleitet. Später habe ich sie verloren, aber dann kurz vor dem Ziel doch noch wiedergetroffen“, erzählt Behr. Geteilt werden nicht nur der Weg, sondern auch Lebens- und Leidensgeschichten. Viele der Gespräche endeten mit einem „Buen camino“, dem Wunsch einer guten Reise. Manch geschlossener Kontakte wurde auch gefestigt. „Ich habe Zwillinge aus Barcelona kennengelernt. In absehbarer Zeit werde ich sie mal besuchen fahren“, erzählt Behr mit Vorfreude.

Die Nationalitäten der Reisenden sind bunt gemischt. Auch Pilger aus einigen exotischen Ländern hat er getroffen: „Ein Mann aus der Mandschurei war schon 72 Jahre alt und trotzdem noch gut zu Fuß unterwegs“, erzählt Christian erstaunt.

Das Pilgern auf dem Jakobsweg, einst überwiegend aus religiöser Überzeugung, wird in der Moderne zunehmend zum Massenphänomen. Nicht nur die Landschaft profitiert vom beeindruckenden Strom internationaler Pilger, sondern auch der spanische Tourismus. In speziellen Pilgerherbergen können die Wanderer günstiger als in teueren Pensionen übernachten. Allerdings nur mit einem Pilgerpass, der beantragt werden muss. „In Tavernen oder den Herbergen können Stempel in den Pass gesetzt werden“, erklärt Christian Behr und zeigt stolz seinen vollen Pass mit vielen bunten Erinnerungen – das Souvenir und Aushängeschild einer langen Reise.