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Tag gegen Homophobie Menschenrechte sind bunt

Auch in der Altmark gehört Ausgrenzung zum Alltag von Menschen, deren Begehren nicht in das Beziehungsbild von Mann und Frau passt.

Von Cornelius Bischoff 17.05.2020, 02:00

Salzwedel l „Hau ab, du schwuler Sack!“ Es sind Sprüche wie diese, die Menschen, deren Sexualleben nicht in das Beziehungsbild von Mann und Frau passt, beinahe täglich begegnen. Der internationale Aktionstag gegen die Ausgrenzung von Schwulen, Lesben, und Menschen, die bi- oder pansexuell sind, erinnert am 17. Mai daran, dass das Zusammenleben auch in den Orten der Altmark von Vielfalt bestimmt ist.

„Wir haben einen Garten gesucht“, sagt Stephan Schulz. Mit seinem Mann, Oliver Schulz, war der 32-Jährige auf die Suche nach einer Parzelle in Salzwedel gegangen. „Ihr seid schwul?“, habe ein Gartenvorstand gefragt. „So etwas wollen wir hier nicht.“ Seit ihrem „Coming out“, dem Zeitpunkt, an dem sich die Männer zu ihrer sexuellen Orientierung bekannt haben, begleiten sie Begriffe wie „krank“ oder „abartig“ durch ihren Alltag.

Solche Formen von Ausgrenzung erfährt auch Susanne. Ihren richtigen Namen möchte die junge Frau, die im Altmarkkreis wohnt, nicht nennen. Susanne arbeitet als Altenpflegerin. „Es gibt Patienten, die sich von mir nicht anfassen lassen, wenn sie erfahren, dass ich lesbisch bin“, sagt sie.

Außer wenigen Kollegen und der engsten Familie weiß niemand, dass Susanne kein Interesse daran hat, von Männern berührt zu werden. Trotzdem gehören ihrem Alltag sexuelle Anspielungen und „zufällige“ Berührungen durch Männer. Um diesen Übergriffen zu entgehen, hat sich die junge Frau zurückgezogen: Körperhaltung, Auftreten und Stimme sind verhalten und unauffällig.

„Unsichtbarkeit“ ist angesagt und das gilt, so scheint es, für einige Menschen im Altmarkkreis, deren Gefühle nicht dem heterosexuellen Beziehungsbild entsprechen. Im Rahmen dieser Recherche wurden mehrere Interview-Anfragen nicht beantwortet und auch eine Nachricht an die Betreiber der Internetseite „CSD-Wendland-Altmark“ blieb ohne Reaktion.

„Das ist nicht ungewöhnlich“, sagt Oliver Schulz. Nach Auskunft des schwulen Mannes leben in Salzwedel mehrere homosexuelle Menschen versteckt in einer heterosexuellen Partnerschaft. Sie alle verbergen ihre Gefühle vor Freunden und Nachbarn. Mit Menschen, die ihre tatsächliche Orientierung teilen, treffen sie sich heimlich oder fahren ins benachbarte Niedersachsen. Auch in größeren Städten wie Halle und Magdeburg gebe es eine „Szene“.

Tatsächlich gibt es diese Szene überall: Eine repräsentative Umfrage unter knapp 15 000 Männern und Frauen im Alter von 14 bis 69 Jahren belegt, dass sich 9,4 Prozent der Männer und 19,5 Prozent der Frauen vom gleichen Geschlecht angezogen zu fühlen (Emnid, 2001). Eine europaweite Umfrage des Berliner Dalia Research-Instituts unter knapp 12 000 Menschen kam 2016 zu dem Ergebnis, dass sich 7,4 Prozent der Befragten als lesbisch, schwul oder bisexuell identifizieren.

Knapp elf Prozent beschrieben sich als nicht ausschließlich heterosexuell, 6,8 Prozent gaben an, sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Neigungen zu haben. „Man kann davon ausgehen, dass jeder von uns Bekannte, Freunde, Angehörige oder Kollegen hat, die nicht ausschließlich heterosexuell sind“, sagt Oliver Schulz. Was es für diese Menschen bedeutet, die gezwungen sind, ihre Gefühle im Verborgenen zu leben, beschreibt Stephan Schulz: „Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es mich innerlich zerreißt“.

Die Liste der Situationen ist lang, die Menschen außerhalb des traditionellen Rollenbildes verleitet, zu einer Lüge zu greifen: Ob Familienfeier, Disko oder Abschlussball – schon wo ein Auftritt in Begleitung gefragt ist, lauert ein Minenfeld. „Es ist nicht so, dass ich vorher keine Freundin gehabt hätte“, sagt Stephan, „aber irgendwie hat immer etwas gefehlt.“ Susanne bestätigt dieses Gefühl. Sie habe es gehasst, nach Ausreden zu suchen, wenn Cousinen geheiratet haben und die Verwandtschaft mit gut gemeinten Ratschlägen nicht hinter dem Berg gehalten hatte.

Schlimmer als die Angst vor Ausgrenzung, ist die Sorge um Nachteile in Schule und Beruf. Oliver berichtet von Prügeleien auf dem Schulhof, bei denen die Lehrer großzügig beide Augen zugedrückt hätte, „wenn der Schwule wieder einstecken musste.“ „Immerhin“, sagt der heute 32-Jährige, „in den letzten Jahren hat sich für Schwule und Lesben eine Menge zum Positiven verändert.“ Die Lehrer von damals seien im Ruhestand und hätten nun Zeit, ihr Menschenbild in Frage zu stellen.

„Man merkt einen Sprung zwischen den Generationen“, sagt auch Susanne. Ausgrenzung und Misstrauen gingen oft von Menschen aus, die das 50. Lebensjahr überschritten haben. Natürlich gebe es Ausnahmen, aber wenn Stephan und Oliver gemeinsam im Supermarkt einkaufen, sei es durchweg die Generation 50 plus, die einen sichtbaren Kreis um das schwule Paar schlagen oder in einen Nachbargang wechseln.

Bei dem Besuch einer Tanzkneipe in Salzwedel hatte der Türsteher alle homosexuellen Besucher auf die Straße gesetzt.

Was war geschehen? Zu fortgeschrittener Stunde hatten einzelne Gäste begonnen, „Händchen zu halten“ und auf der Tanzfläche zu knutschen. Was der Mitarbeiter des Lokals nicht wusste war; rund die Hälfte der Gäste des Abends waren Schwule und Lesben. Seinen Irrtum habe der Mann eingesehen, nachdem er die Kneipe zur Hälfte geleert hatte. Zur Rede gestellt habe er angeben, „so etwas“ nur aus den Clubs der großen Städte zu kennen.

„Es geht um Aufklärung“, sagt Stephan Schulz: „Ein Lehrer, der im Sexualkunde-Unterricht verschweigt, dass das Miteinander von Mann und Frau nicht die einzige Form ist, einen anderen Menschen zu lieben, hat seinen Beruf verfehlt“, ist der 32-Jährige überzeugt. Rechnerisch sitzen unter den 30 Kindern einer Schulklasse wenigstens zwei, deren Gefühle signalisieren, dass das heterosexuelle Bild von Beziehung nicht zum eigenen sexuellen Begehren passt.

Schulz ist überzeugt, dass mancher Zeitgenosse, der sich besonders laut und abwertend über Menschen äußert, die den Mut gefunden haben, zu ihrer Liebe zu stehen, mit großem Getöse darüber hinweg täuscht, dass er selber noch nicht bereit sei, ehrlich auf das eigene Begehren zu schauen.

Informationen und Hilfe gibt es beim Landesverband im Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), Otto-von-Guericke-Str. 41 in 39104 Magdeburg Telefon: 0391-543 25 69 E-Mail: info@lsvd-lsa.de Internet: lsvd-lsa.de