Notunterkunft Ukraine-Flüchtlinge: Berufsschule Salzwedel bietet Sicherheit
Geflüchtete aus der Ukraine sind aus Berlin in der Notunterkunft in der Turnhalle der Berufsschule in Salzwedel untergekommen. Darunter auch der 33-jährige Pavlo mit seiner Familie. Er erzählt über die Flucht aus seiner Heimat.

Salzwedel - Seinen vollständigen Namen möchte er nicht nennen. Auch fotografiert werden möchte er nicht. Erzählen möchte er schon. Pavlo ist 33, Vater von drei Kindern. Am 4. April kam die Familie in Salzwedel an. Was sie erlebt hat, sitzt tief.
Sirenenlärm. Das ist das Erste, an das sich Pavlo aus Saporischschja erinnert. Sofort rennt er vors Haus und schaut in den Himmel. „Da waren mehrere Flugzeuge, die Bomben abwarfen“, erzählt er auf Ukrainisch – eine Dolmetscherin übersetzt. An diesem 24. Februar kann er in seiner Heimatstadt nichts anderes tun, als sich auf den Boden zu setzen. Danach holt er seine Mutter zu sich nach Hause. „Es war alles so hektisch. Alle waren aufgeregt“, sagt er. Nachdem er seine Mutter abgeholt habe, sei er über ein Feld zurück nach Hause gefahren.
Am nächsten Tag sei Stille gewesen. „Aber es war eine beunruhigende Stille“, schildert Anna, Pavlos Frau. Die beiden wissen nicht, wie es weitergehen soll, können auch zuerst nicht glauben, dass wirklich Krieg ist. „Meine Frau sagte mir, dass ich das Auto zur Sicherheit volltanken soll“, so Pavlo. „Da waren Hunderte von Menschen. Es war Chaos.“
Danach kam Dunkelheit erzählen die beiden. „Wir durften keine Lichter anschalten. Überall war es dunkel“. Es leuchtete keine Straßenlaterne, keine Ampeln. Nur die Sirenen waren immer wieder zu hören.
Wir konnten nie sicher sein, ob wir die Flucht überleben.
Pavlo
Die Wohnung im siebten Stock wäre auf Dauer zu gefährlich gewesen. Daher bringt Pavlo den Keller in Ordnung. Immer wieder bewegt sich die sechsköpfige Familie zwischen Wohnung und Keller hin und her. „Die Situation war angespannt“, sagt Anna. Nachbarn wären in ihren Keller gekommen, als sie bemerkten, wie ihr Mann ihn aufräumte. Doch es war kaum Platz für die Familie und es kam zu Streitigkeiten.
Ich wollte nicht, dass unsere Kinder mit solchen Bildern groß werden.
Anna
Bis zum 12. März seien sie in Saporischschja geblieben, hätten kaum geschlafen. Hatten immer ihre Jacken an. Pavlo habe immer wieder in den Himmel geschaut. Dann fasst Anna den Entschluss, dass es so nicht weitergehen kann. Sie habe Bilder von toten Menschen gesehen, darunter auch Kinder. „Ich wollte nicht, dass unsere Kinder mit solchen Bildern groß werden“, erzählt die Mutter. Mit zwei Autos fahren sie los, um aus der Ukraine, um aus ihrer Heimat zu fliehen. „Wir sind durch den Krieg gefahren“, sagt Anna. Sie hätten gesehen, wie auf Autos geschossen wurde. „Wir konnten nie sicher sein, ob wir das überleben“, sagt Pavlo.
Auf ihrer Flucht schließen sich immer mehr Leute an. Am Ende sind es wohl fast 80. In einer großen Kolonne fahren sie hintereinander. Auf die Autos haben sie das Wort „Kinder“ geschrieben, in der Hoffnung, dass sie so Schlimmeres verhindern können. Über Ungarn und die Slowakei kommen sie schließlich nach Deutschland. Am 2. April erreichen sie Berlin.
Seit dem 4. April sind sie nun in der Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle der Berufsschule in Salzwedel untergekommen. „Insgesamt sind es 64 Geflüchtete, die am Sonntag und Montag angekommen sind“, sagt Hans Thiele. Der Dezernats- und Ordnungsamtsleiter des Landkreises ist froh, dass alles gut geklappt hat. „Das sind alles liebe Menschen. Hier motzt keiner rum“, sagt er.
In der Turnhalle wurden mehrere Doppelstockbetten aufgebaut. Mit Hilfe von Absperrungen mit weißen Planen wurde versucht, Privatsphäre zu schaffen. Es gibt eine Spiele-Ecke für Kinder und eine kleine Essensausgabe, die von Freiwilligen der Tafel geführt wird. „Wir haben versucht, alle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Es gibt sogar eine lange Leiste mit Steckdosen, um Handys zu laden“, so Thiele. Der Vorteil an einer Turnhalle seien auch die großräumigen Sanitäranlagen.
Wir nehmen in Augenschein, ob die Räume geeignet sind.
Sozialamtsleiterin Christel Gießler
Dennoch möchte Thiele so schnell wie möglich, ein neues Zuhause für die Geflüchteten finden. Denn in den nächsten Wochen sollen schon weitere in Salzwedel eintreffen. Für die meisten Betroffenen wären auch schon Plätze gefunden worden. Lediglich zwei würden noch länger in der Unterkunft bleiben.
Sozialamtsleiterin Christel Gießler berichtete am Dienstag (5. April), dass momentan zehn Wohnungen mit einer Erstausstattung eingerichtet würden. Insgesamt befinden sich aktuell knapp 320 ukrainische Flüchtlinge im Altmarkkreis. Es könnten aber auch mehr sein, denn viele seien auf private Initiative hin aufgenommen worden. Neben der Notunterkunft ist für Frauen mit Babys und Kleinkindern das Heim an der Fabrikstraße mit 48 Plätzen vorgesehen. Viele private Unterkünfte seien dem Kreis angeboten worden. „Die nehmen wir vorher in Augenschein, ob die Räumlichkeiten geeignet sind“, beschrieb die Amtsleiterin das Vorgehen. Wichtig sei, dass sich alle Neuangekommenen bei der Ausländerbehörde registrieren lassen. Von dort würden sie an das Sozialamt verwiesen. „Wenn sie kein Vermögen haben, und davon ist auszugehen, sind sie als Flüchtlinge leistungsberechtigt“, so Gießler. Sprich sie bekommen Geld für ihren Unterhalt.
Zudem gebe es eine große Spendenbereitschaft, berichtet Gießler. Sachspenden könne der Kreis aber nicht irgendwo lagern. „Sie werden bedarfsweise angefragt“, erklärt sie.
Ein weiterer Punkt, um den der Kreis sich kümmern muss, ist der Gesundheitsstatus der Geflüchteten. Dabei gehe es zum einen darum, dass sie schnellstmöglich wichtige Medikamente, wie Krebs- , Diabetes oder Blutdruckmittel bekommen. Zudem grassiere in der Ukraine eine multiresistente Variante der Tuberkulose. Für alle Flüchtlinge ab 16 Jahre ist deshalb eine Röntgenuntersuchung vorgesehen. Bei den Kindern sei es wichtig, den Impfstatus zu überprüfen und Versäumtes nachzuholen. Vor allem bei Masern und Kinderlähmung, erklärt Amtsarzt Ramón Rulff.
Zum Teil haben die Flüchtlinge auch ihre Haustiere mit auf die Flucht genommen. Sie sollen zunächst im Tierheim eine Bleibe finden, bis ein endgültiges Zuhause für Ukrainer gefunden ist. Am Wochenende mochte sich eine Familie allerdings nicht von ihren teuren Rassekatzen trennen. „Wir haben sie deshalb sofort in einer Wohnung untergebracht“, erzählt die Amtsleiterin.
Unser größter Wunsch ist es jedoch, dass der Krieg aufhört.
Pavlo
Auch für Pavlo und Anna geht die Reise weiter. Ihre Hoffnung ist, dass sie in Deutschland Fuß fassen. „Unser größter Wunsch ist es jedoch, dass der Krieg aufhört und wir irgendwann in unsere Heimat zurückkehren können“, sagt Pavlo.