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Vergessene Orte Gerlach-Speicher: Ein Hauch große Hansestadt

Auch wenn der Gerlach-Speicher in Salzwedel erst nach der Hansezeit gebaut wurde, zeugen Relikte von geschäftigem Handel.

Von Alexander Rekow 01.09.2016, 02:00

Salzwedel l Mit dem Wort „Speicher“ assoziieren heute die meisten Menschen vermutlich die Datenkapazität auf ihrem Smartphone oder PC. Andere haben einen Speicher in ihrem Haus, ob mit Haushaltswaren oder dem nötigen Heizöl für den Winter. Genau genommen sind wir von Speichern umgeben. Ob für Rohstoffe, Waren, Abfälle, elektrische Energie , Daten, Wärme. Die Möglichkeiten scheinen unendlich, denn auch Ihre Ausgabe der Volksstimme speichert schließlich Informationen auf Papier.
Aber auch vor dem Smartphone wollten, oder besser mussten die Menschen etwas speichern. Nur hat man damals keine Urlaubserinnerungen oder MP3-Musik auf einem kleinen Chip gespeichert, sondern den Bedarf an Waren der Bevölkerung in großen Speichern. Einer dieser war der Gerlach-Speicher in Salzwedel. Hier befanden sich allerhand Metallwaren, Zigarren oder Kaffee in den Regalen, welche anschließend ihren Weg in den Einzelhandel fanden.
Heute steht das Gebäude in der Schornsteinfegerstraße 8 fast leer. Nur noch der gemeinnützige Verein eXchange betreibt im Erdgeschoss eine Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge und haucht dem stillen Riesen so etwas Leben ein. Der Rest des imposanten Gebäudes erfährt nur noch bei Veranstaltungen wie „Wagen und Winnen“ Bedeutung, wo seine Kulisse als rustikaler Ausstellungsort dient.
Nachdem ich durch das Eingangstor das Gebäude betreten habe und kurz die Flüchtlinge begrüßte, welche ihre Drahtesel auf Vordermann brachten, begann sogleich eine kleine Zeitreise. Auf den ersten Metern, an einer alten Schreibmaschine vorbei, ging der Blick bis unter den Dachstuhl, an welchem noch heute der Kran befestigt ist, welcher die Waren in die oberen Stockwerke beförderte. Da diesen heute niemand mehr bedient, hieß es für mich Treppen steigen. Auf alten knarrenden Stufen ging es in die erste Etage. Durch die alten Fenster zieht der Wind, Spinnen haben den Speicher für sich erobert und auch ein Vogel verließ das Domizil, als ich durch die Räume streifte. An der Decke ein altes Hängeregal für Muffen in diversen Zollangaben, ein leeres Hochregal und sehr viel Staub. Ein Raum wie ein alter stummer Zeitzeuge.
Derweil zieht es sich draußen zu, ein Gewitter ist von weitem zu hören. Die ohnehin schon dunklen Räume werden immer finsterer und die Stimmen von unten verstummen langsam. Zum Glück habe ich einen modernen Speicher mit integrierter Taschenlampe in meiner Hosentasche, mein Smartphone. Dann sehe ich von weitem einen Zettel am Regal hängen, vielleicht ein paar Informationen. Tatsächlich, zahlreiche Namen und Daten, welche von den 40er bis in die 60er Jahre reichen. Ob es sich um einen Kundenstamm oder Mitarbeiter handelt, ich weiß nicht. Weiter geht’s, wieder eine Etage höher. Von hier an gibt es viele kleine Räume, zum Teil noch beschriftet was sich darin Befand. Die Aufschrift „Cigarren“ sticht mir ins Auge, danach das Wort „Kaffee“. Ich schaue rein und bin begeistert, sogar die alten Röstöfen stehen noch.
Es knarrt beim Gehen, draußen donnert und blitzt es, das Lichtspiel würde jeden Produzenten von Horrorfilmen in Euphorie versetzen. Unterdessen prasselt der Regen unermüdlich gegen die alten Fenster und der Wind signalisiert mit Getöse seine Stärke. Ich will noch durch sein, bevor das Tageslicht komplett erlischt. Dann sehe ich eine Kiste der Gerlach + Holst KG und stolpere über die Postleitzahl – 3560, die alte Postleitzahl Salzwedels zu DDR-Zeiten. Hier und da stehen noch weitere Hochregale, ein großer alter Eichentisch mit Fächern zur Warenverarbeitung. Ich bin entzückt und mache mich weiter auf den Weg.
Dann wird es wirklich finster, die Fenster sind nun vernagelt und abgehangen, ich sehe nichts mehr. Mit meinem Handylicht und dem Blitz der Kamera taste ich mich vorsichtig über die alten Holzdielen vor. Ein paar rostige Waagen in verschiedenen Größen und eingestaubte Warenausgabescheine warten seit Jahrzehnten vergeblich auf ihren nächsten Einsatz.
Ich gehe zurück, es wird im ganzen Haus zu dunkel um noch Fotos zu machen. Noch ein Blick aus dem oberen Stockwerk am Kran hinunter zum Erdgeschoss, wo einige Flüchtlinge unter altem Deckenlicht noch ihre Fahrräder reparieren. Die Blitze über dem voluminösen Dachfenster erhellen zeitweilig meinen Weg nach unten. Während ich langsam wieder die Treppen hinunter Richtung Ausgang gehe, höre ich Metall auf Metall schlagen, eine Fahrradklingel schellt. Die Geräusche regen meine Phantasie an, nun kann ich mir sehr gut vorstellen, wie geschäftig es einst im Gerlach-Speicher zuging.
Eigentlich ist diese nutzlose Ruhe sehr schade, dieser Speicher gefällt mir zweifelsfrei besser als mein Smartphone – und hält vermutlich auch wesentlich länger.