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Im Rautenkranz Achim Mentzels zweiter Auftritt in Barby

Er galt als Stimmungskanone und Vollblut-Entertainer. Neun Wochen lang war er im Aufnahmeheim Barby interniert.

Von Thomas Linßner 07.01.2016, 17:18

Barby l „Du lieber wunderbarer Menschenfreund, Du wirst fehlen. Sehr“, postete Moderatorin Kim Fisher auf Facebook. Und Nachrichtenmann Jens Riewa gestand: „Es gibt als Sprecher der Tagesschau Momente, in denen man innerlich besonders um Fassung ringt. Das ist immer dann der Fall, wenn man den Tod eines Freundes und geschätzten Kollegen verlesen muss. Ich habe bewusst einen Moment länger gewartet, bis es zur nächsten Nachricht ging, eine kleine Sekunde des Respekts für einen tollen Künstler. “ Diese Sätze aus dem Mund von Prominenten ließen sich beliebig fortsetzen.

Der Sänger und Entertainer hatte aber auch in Barby Spuren hinterlassen. Im September 1999 wollte es das Schicksal so, dass Achim Mentzel zum zweiten Mal in die Elbestadt kam. Die Herzog-Heinrich-Gilde hatte ihn für den Schützenball verpflichtet. Einigen Insidern war bekannt, dass der Berliner nicht zum ersten Mal in Barby war. Dazu zählte Bürgermeister Jens Strube, der schon vor 1989 dieses Amt bekleidete und mehr oder weniger zwangsläufig Kontakt zur Staatsmacht hatte. So erinnerte er sich daran, dass Mentzel im Aufnahmeheim inhaftiert war. „Na klar, hier saß ick doch mal im Knast“, bestätigte der Star damals auch der Volksstimme gegenüber.

Es war der 1. Juni 1973 und Achim Mentzel durfte als junger Sänger zusammen mit dem Orchester Alfons Wonneberg nach Westberlin reisen, um auf einem Reichsbahnfest aufzutreten. (Die Reichsbahn betrieb die S-Bahn in Gesamtberlin). „Ick habe jedacht, ick kieke nich’ recht, als unser Schlagzeuger seine janzen persönlichen Klamotten aus der Fußtrommel holte“, erinnerte sich Achim im besten berlinerisch. Der Trommler setzte sich nach dem Konzert ab und Achim mit. Dem ging ein Streit mit seiner Freundin voraus.

So kam Mentzel ins Saarland, woher seine Mutter stammt, zu seiner Tante. Als der gelernte Polsterer und Dekorateur sich nach Arbeit erkundigte, wurde ihm klargemacht, dass man hier Stahlwerker brauchte. Der Zusatz, dass er im Osten auch Sänger war, veranlasste den Mann vom Amt zu der Bemerkung: Gaukler und Fallensteller haben wir hier genug … Schließlich arbeitete Mentzel als Auspuffanlagenschweißer. Nebenbei machte er Musik in einem Nachtclub. Doch die beiden Arbeitszeiten kollidierten.

„Nach einem halben Jahr hatte ick die Schnauze voll. Ick habe meine Verlobte jebeten, mal raus zu kriegen, wat mir blüht, wenn ick zurück komme.“ Der zuständige Staatsanwalt: „Der soll nur kommen; es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“

So kam der Republikflüchtige geknickt zurück. Er wurde zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, die für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurden. Vom ersparten Geld hatte er sich eine Fender-Elektrogitarre mit Verstärker gekauft. „Zwei Tage haben die mich in der Keibelstraße (berüchtigtes Polizeipräsidium in Berlin) verhört. Dann gings mit dem Wartburg in Richtung Pankow, wo ick wohnte. Ick dachte, die bringen mich nach Hause“, erinnerte sich Mentzel.

Nix da. Das gehörte zum psychologischen Spiel. Der Wagen rollte an der Wohnung vorbei, Richtung Oranienburg, um direkt nach Barby weiter zu fahren. Dort kam der Reumütige ins Schloss, das als Internierungslager diente. Neun Wochen war Achim Mentzel dort eingesperrt. Nach seinen Angaben mit noch weiteren 60 bis 70 Rück- und Übersiedlern. „Ick hatte es irjendwie fertig bekommen, einen Hilfsheizerposten zu kriejen. Da hatte ick meine Ruhe, von den ständigen Verhören mal abjesehen.“ Im Heizhaus rockte Mentzel mit seiner Gitarre herum. Es ist jenes klinkerrote Gebäude, das man vom Elbwerder aus sieht.

Eines Tages erschienen sein ehemaliger Orchesterchef Alfons Wonneberg und kein Geringerer als Lutz Jahoda in Barby, um den 27-jährigen vom Heizungskeller auf die Bühnen der DDR zurück zu holen. Und das mit Erfolg. Achim Mentzel sang zusammen mit Nina Hagen in „Fritzes Dampferband“. Die schrille Nina, die Mitte der 1970er mit „Du hast den Farbfilm vergessen“ in die DDR-Charts kam, wählte wenig später selbst den Weg in den Westen. Sie kam nicht wieder zurück, also auch nicht nach Barby.

Diese Episode ist auch in Achim Mentzels Biografie „Alles Achim oder was“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) nachzulesen.

Sängerkollege Ingo Graf bezeichnete Mentzel als verrückten, liebenswerten Kumpel, vor und hinter der Bühne. Und Musikant vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Rocker von Gottes Gnaden.

An die Flucht hat Graf noch detailliertere Erinnerungen. Achim saß 1973 in Grafs Trabbi, als sie durch West-Berlin zum Reichsbahnauftritt fuhren. Kurz vor der Siegessäule an der Straße des 17. Juni hätte Beifahrer Achim plötzlich gesagt: „Du, Ingo, halt mal an! Lass’ mich hier raus!“ Diesen Wunsch – oder war es mehr ein Befehl? – untersetzte er mit einer spaßigen Geste. Mentzel hatte ein paar West-Hundertmarkscheine wie ein Skatblatt geformt und wedelte Graf damit vor der Nase herum. Nachdem der Trabbi-Fahrer seine Verblüffung überwunden hatten, sagte er aufgeregt: „Mach’ kein’n Scheiß, Achim! Heute Nachmittag ist Probe!“

Doch Achim machte „Scheiß“. Ein dreiviertel Jahr später war er wieder in der DDR, in Barby ...