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Geschichte Einstürzende Decken in der „Expedition“

Die Druckerei Kropp/Saft&Huhn - ein Stück Barbyer Geschichte an der Schloßstraße - wird in diesem Tagen abgerissen.

Von Thomas Linßner 06.04.2016, 19:02

Barby l „Das geistige Leben in Barby wurde auch maßgeblich von der Druckerei und Buchhandlung Kropp, später Saft und Huhn, bestimmt, welche unter anderem die Barbyer Zeitung ... herausgaben“, schreibt der Historiker Prof. Dieter Engelmann in der Barbyer Chronik von 2008.

Im April 1992 gab der letzte Besitzer, der damals 65-jährige Hans-Otto Huhn, den Betrieb auf. Die Verlagsrechte, welche er noch immer an der Chronik und vielen anderen Erzeugnissen besaß, übertrug er an die Stadtverwaltung Barby. Ein bisschen Wehmut klang an, sah man nach der Schließung die verschrotteten Reste der alten Drucktechnik vor dem Hause liegen, das an einen Mann aus Pömmelte verkauft wurde. Der richtete zuerst einen Mini-Baumarkt, dann eine Pension ein. Doch ein glückliches Händchen hatte er damit nicht. Seit Ende der 1990er Jahre steht das Objekt leer.

Der Besitzer soll heute in Thale leben und mit der Sicherung seines Besitzes überfordert gewesen sein.

Laut Stadtverwaltung habe es bereits einen „Versicherungsfall“ gegeben. Bröckelnde Fassadenteile waren auf ein parkendes Auto gestürzt. Nachdem der Zustand des Hauses jüngst im Ortschaftsrat Thema war, machte die Stadtverwaltung den Landkreis auf die Ruine aufmerksam. Der reagierte jetzt relativ schnell mit einer sogenannten Ersatzvornahme. Die Kosten für den Abriss werden verauslagt, bleiben aber letztendlich am Besitzer hängen. Ob der sie je begleichen kann und und wird, steht auf einem anderen Blatt.

Die Abrissfirma aus Wesdorf bei Aschersleben mühte sich, die Zierelemente aus Kunstbeton der Nordfassade zu bergen. Hermann Kropp hatte vor dem Ersten Weltkrieg den unscheinbaren Seitenbau hinter dem Wohnhaus neu bauen lassen. Die Jugendstilfassade zeigt neben den üblichen floralen Ornamenten auch ein medaillonförmiges Abbild des Johannes Gutenberg, dem Erfinder des modernen Buchdrucks.

Ältere Barbyer werden noch das düstere Ladengeschäft der Druckerei vor dem geistigen Auge haben, in dem man Bücher, Bürowaren und zu Silvester Raketen und Knaller kaufen konnte. Der Norddeutsche Hans Huhn - der Vater des letzten Besitzers Hans-Otto - pflegte sein hanseatisches Hochdeutsch, seine kleine Ehefrau ebenfalls. In dem lang gestreckten Laden roch es nach Druckerfarbe und Papier. Eine Leihbücherei existierte - die Kunden gaben Einladungen, Danksagungen oder Eintrittskarten für besondere Veranstaltungen in Auftrag.

In der 1901 und 1913 erschienenen „Chronik der Stadt und Grafschaft Barby“ heißt es: Einen großen Fortschritt bedeutete es für unser Städtchen, als am 18. Juni 1870 die Landesregierung das Blatt zum amtlichen Organ für den Magistrat zu Barby erklärte. Amtliche Kommentare und Weltsensationen kamen in fertigen Matern von einem Zentralverlag in Berlin. Unter der Rubrik „Tagesneuigkeiten“ war es keine Seltenheit, dass Orte wie Neu-york (man schrieb es damals eingedeutscht), Paris, Berlin oder London Weltbewegendes meldeten, in Barby aber nach einem Schmutzfink gefahndet wurde, der sein Nachtgeschirr vor dem Hause des Rektor Arndt zu nächtlicher Stunde entleerte. Und das immer wieder auf’s Neue.

Derartige deftige und andere delikate Dinge erfasste man später unter der Rubrik „Lokales“. Diese Meldungen waren das Salz in der Suppe und trieben die Auflage in die Höhe.

Journalistisch merklich steriler wurde die „Barbyer Zeitung“ (1899 wurde sie vom „Elb-Saale-Bote“ in „Barbyer Zeitung“ umbenannt), als die braune Zeit des Nationalsozialismus begann. Meldungen, wann wen der Blitz erschlug oder das Ochsenfuhrwerk überrollte, mussten ewig langem Propagandagesülze und Selbstbeweihräucherungen der Mächtigen weichen. Wir kennen das ja aus alten DDR-Tageszeitungen.

1908 ließ der damalige Besitzer Hermann Kropp das Druckhaus gegenüber der Johanniskirche neu erbauen. Mal vom nagenden Zahn der Zeit abgesehen, hatte sich bis heute die kunstvolle Jugendstilfassade kaum verändert. 1929 erwarb Otto Saft den Verlag und arbeitete mit seinem Schwiegersohn Hans Huhn erfolgreich weiter. Neben Geschäftsdrucken erschienen bis in den Zweiten Weltkrieg hinein Reiseführer, kulturhistorische Drucke (wie die viel beachtete Plastik der Johanniskirche von Würpel) Chroniken, Ansichtskarten sowie der allseits beliebte „Barbyer Hauskalender“. Letzterer war dem überregionalen „Daheimkalender“ nachempfunden.

In überschaubarer Weise vereinte er Weltgeschehen, Heimatgeschichte, landwirtschaftliche Informationen, Feuilletons und lokale Nachrichten.

Nachdem Hauskalender und Zeitung den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden, verfügte der russische Stadtkommandant 1945 die Herausgabe eines Mitteilungsblattes für das Stadtgebiet. Nach drei Monaten verlegte die Besatzungsmacht diesen Druck jedoch nach Halle. Im Verlag Saft und Huhn wurden danach fast sämtliche Maschinen beschlag­nahmt und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion abtransportiert. Zwei Jahre später begann die Arbeit mit einer alten Buchdruckmaschine wieder. Geschäftssachen, Etiketten, Eintrittskarten und Bevölkerungsaufträge bildeten das Hauptgeschäft des Zwei-Mann-Betriebes bis kurz nach der Wende.