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Heimatgeschichte Barby: Ein Besuch im Zirkus mit Folgen

Volksstimme Serie: Bei einem Besuch im Zirkus in barby wird einem 13-jährigen Jungen sein neues Fahrrad geklaut. Was hinter dieser kuriosen Geschichte steckt.

Von Thomas LInßner 29.12.2023, 14:15
Der Elefantenpfleger eines Zirkus’ klaute in Barby das Fahrrad eines jungen Zuschauers. Doch der Dieb hatte nicht lange Freude daran.
Der Elefantenpfleger eines Zirkus’ klaute in Barby das Fahrrad eines jungen Zuschauers. Doch der Dieb hatte nicht lange Freude daran. Illustration: Thomas Linßner

Barby/Schönebeck. - Der Zirkus kommt! Dieser Ruf hallt Mitte der 90er Jahre durch das Elbestädtchen. Auf den Plakaten prangen dicke Elefanten, der unvermeidbar fauchende Tiger sowie eine schlanke Schöne, die grazil mit Feuerkegeln jongliert.

Der Zirkus gastiert vor den Toren der Stadt. Die Einheimischen nennen den Ort „Kanne“, weil es dort mal ein Wirtshaus gleichen Namens gab. Hier lodert nicht nur das Osterfeuer im Frühjahr – es ist auch ein Festplatz mit zirzensischer Tradition.

Der Zirkus säuft ab

Mitte der 1960er Jahre spielen sich an der „Kanne“ dramatische Dinge ab. Bei steigendem Sommerhochwasser baut ein Zirkus auf. Viele halbwüchsige Jungen schuften beim Aufstellen von Zelt und Inventar, um eine Freikarte für die Vorstellung zu bekommen. Der Rat der Stadt Barby warnt die Artisten: Möglich, dass ihr absauft.

Und wirklich: Wenige Stunden vor dem ersten Gastspiel steigt die Elbe so schnell an, dass das Zirkuszelt plötzlich im Wasser steht. Hektisch werden nachts Tiere und Wohnwagen in Sicherheit gebracht. Das bunte, gar nicht mehr lustige Treiben hat sich in die Anliegerstraßen am Breiten Tor verlagert. Wo sonst Hunde bellen und Katzen miauen, brüllen nun die Löwen …

Diese Geschichte erzählt der Vater, dem damals die Freikarte „durch höhere Gewalt“ flöten ging, seinem halbwüchsigen Sohn. Der Filius hört eher gelangweilt zu, freut sich lieber auf seine jetzige Zirkusvorstellung. Er nimmt das funkelnagelneue 26er Diamant-Fahrrad, das er erst wenige Monate zuvor zum Geburtstag bekommen hat und radelt zur „Kanne“. Es ist ein schickes, metallicgrünes Mobil mit Gangschaltung und allem Pi-pa-po.

Hund mit Brille

Die Vorstellung ist lustig. Ein Hund mit Brille auf der Nase jagt einen Clown. Für die Tigernummer wird während der Pause ein Käfig im Zelt aufgestellt. Die Kinder staunen, wie groß die gestreiften Katzen sind und wie mutig ihr Dompteur sie in Schach hält.

Danach trampeln drei Elefanten durch die Manege: Zwei große und ein niedlicher kleiner, den die Kinder gleich Dumbo nennen. Sie werden von einer Frau – es ist die vom Plakat – befehligt. Zum Lohn, dass sich Dumbo auf sein Hinterteil setzt und „Männchen“ macht, wie die Kinder meinen, gibt es ein ganzes Brot. Die Menge applaudiert.

Monteure kalauern

Nur im Hintergrund prusten ein paar Monteure lautstark. Sie bauen eine Weizenstärkefabrik auf und waren zuvor in der Kneipe. Die Männer witzeln angeheitert: „Hoffentlich wird det Tier nich’ krank. Denn wie heißtet: Dumm, dumm, dumm, der Tod geht um. Wieder einer tot, vom Kon-sum-brot …“

Abgesehen davon, dass es kein Konsumbrot mehr gibt, lachen die Älteren im Publikum über den alten DDR-Kalauer.

Barby
Barby
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Schöne Elefanten-Chefin

Die schöne Elefanten-Chefin lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie übergibt ihre Dickhäuter einem Tierpfleger, der in schmuddeliger Zirkusuniform hinter dem Vorhang wartet.

Als die Vorstellung vorbei ist, strebt der Sohn seinem Fahrrad zu. Eigentlich möchte er noch ein wenig bei den Tieren und seinen Kumpels bleiben. Doch Zirkus ist Zirkus und Schule ist anderntags Schule. Also rauf aufs Rad und nach Hause. Doch wie er auch sucht – es ist weg! Vielleicht haben ihm seine Kumpels einen Streich gespielt? Doch alles Suchen hilft nichts.

Zuhause beichtet er es dem Vater. Er gesteht auch, das Fahrrad nicht angeschlossen zu haben … Dem Sprössling wird zum ersten Mal in seinem 13-jährigen Leben klar, dass es Diebe wirklich und nicht nur im Fernsehen gibt.

Der Zirkus zieht nach Schönebeck weiter, der Knabe geht fortan zu Fuß.

Den Vater wurmt dieser Vorfall. Seine Lebenserfahrung lässt ihn vermuten, dass es auch unter heiteren Zirkusleuten böse Spitzbuben geben könnte. Drei Tage später – der Zirkus gastiert mittlerweile im Schönebecker Motor-Stadion, folgt er seinem Misstrauen. Während der Vorstellung schleicht er zwischen den Zelten umher. Er kauft sich eine Karte für die Tierschau, währenddessen der Hund mit der Brille im Zelt auftritt.

Am Wohnwagen des Elefantenpflegers bleibt der Vater wie angewurzelt stehen: Hier lehnt ein metallicgrünes Fahrrad mit Gangschaltung und allem Pi-pa-po …Weil seine Lebenserfahrung ihn vermuten lässt, dass Zirkusleute nicht nur lustig, sondern auch recht handfest sein können, zieht er die biblische Lösung vor: Zahn um Zahn, Auge um Auge. Er setzt sich auf das Fahrrad und radelt unspektakulär vom Gelände.

Lektion erteilt

Alles ist wieder gut.Um dem lodderigen Filius eine kleine Lektion zu erteilen, will der Vater die Episode mit einer „päda-gogischen Lösung“ beschließen: Er versteckt das Fahrrad auf dem Hausboden, lässt den Sohn vier Wochen zu Fuß gehen.

Doch die Moral von der Geschicht“ bleibt aus. „Das Fahrrad hast du mir am Zirkus geklaut, um mir zu zeigen, dass man es anschließen muss“, wird der Sohn später sagen, als er sein metallicgrünes Rad mit Gangschaltung und allem Pi-pa-po zurück bekommt.

Der Vater bleibt gelassen und fasst die Geschichte mit einem Spruch zusammen, den er mal bei der Armee lieben gelernt hat: Wenn jeder jedem was klaut, kommt keinem was weg ...