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CDU-Neujahrsempfang Klartext und Selbstkritik

Neujahrsempfang CDU-Ortsverband Barby: Innenminister Stahlknecht appellierte, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen.

Von Thomas Linßner 28.01.2018, 17:11

Barby l „Warum soll ich nicht sagen können, dass ich stolz auf Deutschland bin, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden?!“ Mit diesem Satz leitete Eckhard Henschel den Abend ein. Dem Tornitzer, der bekannt dafür ist, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, sind diplomatische Formulierungen zuwider. „Warum so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Weil es hier das meiste Geld gibt“, polterte Henschel weiter. Auch die finanzielle Ausstattung der Kommunen bezeichnete der Chef eines großen Stahlbaubetriebes als „katastrophal“. „So“, blickte Henschel am Ende seiner Begrüßung triumphierend in die Runde, „das habe ich alles gesagt, um den nachfolgenden Rednern ein bisschen Stoff zu geben.“

Diesen Ball nahm der CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge auf: „Wir sollten bei bestimmten Themen wieder das offene Wort pflegen. Die Kritik, die geäußert wurde, ist ja nicht von der Hand zu weisen.“ Viele frühere Wähler der bürgerlichen Parteien hätten sich bei der letzten Bundestagswahl „nicht mehr verstanden“ gefühlt und ihr Kreuz bei der AfD gemacht. So sei ihnen vor allem im Kontext der Flüchtlingskrise „nicht wohl gewesen“. Ein „bestimmtes mediales Milieu“ habe Menschen, die diese Art von Sorgen laut sagten, in die rechte Ecke gestellt. „Was im Kleinen an den Abendbrottischen diskutiert worden ist, ist von den großen Medien als Meinung ewig Gestriger dargestellt worden“, sagte Sorge. Die Union müsse diese Themen wieder klar ansprechen und nicht Probleme aufwerfen, die für die Mehrheit der Bürger keine sind.

Normalerweise vergehen zwischen Bundestagswahlen und Koalitionsverhandlungen höchstens wenige Wochen. Diesmal dauerte es geschlagene vier Monate. Wie das Drama endet, war nach dem jüngsten SPD-Parteitag noch lange offen. „In der Politik müssen wir Kompromisse schließen“, so Tino Sorge. Mit Blick auf die Sondierungsgespräche warnte er davor, den Bogen zu überspannen. „Wir werden uns als Union in bestimmten Dingen nicht mehr bewegen können.“ Er verglich die Sondierungspunkte mit Pfeilern, die die Brücke der Koalitionsverhandlungen tragen müssten. Wenn man von vornherein diese Pfeiler in Frage stelle, werde die Statik instabil.

„Wir sollten in den Koalitionsverhandlungen viel mehr thematisieren, dass Kommunen auch Gelder dafür bekommen, um mehr als ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen“, schloss Tino Sorge.

Innenminister Holger Stahlknecht zitierte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Danach hätten 90 Prozent der Sachsen-Anhalter eine sehr starke Bindung zu ihrer Region. Das sei im bundesdeutschen Vergleich ein Spitzenwert und eine gute Nachricht. In Zeiten der Reizüberflutung von Nachrichten, sozialen Netzwerken oder der Globalisierung hätten die Menschen das Bedürfnis, sich geborgen zu fühlen. Sie wünschten sich mehr denn je Heimat. „Wir sind als Partei gut beraten, wenn wir das erkennen“, unterstrich der CDU-Landesvize. Dazu gehöre auch die Stärkung des Ehrenamtes oder des Sportes.

„Ich wehre mich dagegen, dass wir auf einem Neujahrsempfang Reden wie auf einer Beerdigung halten“, konterte Stahlknecht indirekt Eckhard Henschels Worte. In den vergangenen 27 Jahren sei im Osten viel geschehen und darauf sollte man stolz sein. Er appellierte an das Selbstbewusstsein der Sachsen-Anhalter.

Harsche Kritik an den Bundesakteuren konnte sich Stahlknecht mit Blick auf die gescheiterten Jamaika-Sondierungen nicht verkneifen. „Ich frage mich, warum sich Menschen in den Bundestag wählen ließen, die keine Verantwortung übernehmen wollen.“ In Deutschland habe man sich daran gewöhnt, dass Politik nicht sachlich sei, sondern zuweilen ein Zirkus der Selbstdarsteller. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir Menschen an den Start gebracht haben, denen es nicht mehr um das Land, sondern nur um sich selbst geht“, sprach der Innenminister Tacheles.

„Wir dürfen nicht ständig die Sorgen von Minderheiten so darstellen, als gebe es nicht das Bedürfnis der Mehrheiten“, nahm der Minister den Faden von Tino Sorge auf. Man müsse doch endlich mal wieder Politik für Mehrheiten machen. Dazu gehöre auch, dass man jene Menschen ernst nehme, die den Mund aufmachen und ihre Sorge äußern. Die seien weder Nazis noch rechtsradikal.

„Da gab es Einen bei der SPD, der jetzt gewaltig abgenommen hat und die Leute in Dresden als Pack bezeichnete“, so Holger Stahlknechts Seitenhieb auf Sigmar Gabriel. Stahlknecht finde die Ideen der Pegida-Demonstranten auch nicht gut, aber man könne 20.000 Leute nicht als Pack bezeichnen. „Das ist ja wie früher in der DDR, nur heute kommt nicht mehr die Stasi. Heute werde man desavouiert (an den Pranger stellen, zum Gespött machen, d. Red.) oder als Nazi bezeichnet.“ Da brauche man sich nicht wundern, dass die AfD 25 Prozent der Wählerstimmen bekam. „Ja, warum denn wohl. Weil wir uns nicht um die Bedürfnisse der Menschen in der Mitte der Gesellschaft gekümmert haben“, stellte Stahlknecht klar.

Bei diesen Worten des Innenministers hatten einige Besucher im Saal ein Déjà-vu-Erlebnis. Schon 2015 mahnte beim CDU-Neujahrsempfang Ex-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer in Barby: „Auch wenn ich deren Meinung nicht teile: 17.000 Leute haben es verdient, dass man sich mit ihren Argumenten auseinandersetzt.“