Corona Ehepaar wieder genesen

Ein Ehepaar aus Glinde hatte sich mit dem Coronavirus infiziert, gilt aber inzwischen als geheilt. Sie ziehen Bilanz.

Von Thomas Linßner 04.04.2020, 07:58

Glinde l Sonnabend, 29. Februar. Lutz Röseler reist seit Jahren mit zwei Verwandten und einem Bekannten in die Alpen zum Skifahren. In diesem Jahr haben sie eine landschaftlich schöne Region im Trentino (Dolomiten) gewählt, die schneesicher ist. Zwar haben sie davon gehört, dass sich der Coronavirus in Norditalien ausbreitet, doch Venetien und die Lombardei sind weit weg. Jedenfalls, relativ weit.

Lutz und dessen Sportfreunde genießen die weiße Pracht in wundervoller Natur. Die Pisten sind voll, einige Bauden bieten Après-Ski-Partys an. Noch.

Am vierten Tag schlägt das Wetter um, es fallen 80 Zentimeter Neuschnee! Man kann zwar noch fahren, aber ohne Genuss. Die Männer machen „Hütten-Hopping“. Das Ski-Volk sitzt bei Jagertee und mit guter Laune beieinander.

Es wird sich herausstellen, dass das ein Fehler war.

Nach einer Woche fahren die Männer wieder nach Hause. Es ist Sonnabend, der 7. März. Lutz denkt im Stillen darüber nach, dass heute Abend „Kleinlichtmess“ im „Saal“ ist. Es ist die ultimative Dankeschönveranstaltung für alle Lichtmess-Aktiven und deren Frauen im „Goldenen Anker“. Ein Muss, auf das kein Akteur verzichtet. Normalerweise.

Doch für Lutz Röseler steht fest: Die Feier lässt du in diesem Jahr ausfallen. Eine weise und weitreichende Entscheidung, wie er später wissen wird. Zudem fühlt er sich ein bisschen „komisch“, er hat ein Kratzen im Hals und einen trockenen Husten. Nach seiner Ankunft zu Hause am späten Abend nimmt er seine Frau in die Arme. Bevor beide zu Bett gehen, beschließen sie, vorsichtshalber den direkten Kontakt zu ihrer Familie und Kunden in den nächsten Tagen zu vermeiden.

Sonntag, 8. März. Lutz geht es nicht besser. Mal abwarten, denkt der Wahl-Glinder, der als selbständiger Landwirt seine Brötchen verdient. Noch ist er gefasst, aber doch schon ein bisschen unruhig, denn die Symptome verstärken sich. Das Wetter lockt ins Freie, beide fahren noch eine Runde mit dem Rad, Kontakt zu anderen Menschen haben sie dabei aber nicht.

Am Montag, 9. März, hat Lutz erhöhte Temperatur von 37,5 Grad. Jetzt zeigt auch Ehefrau Jutta erste Symptome. Als sie Halsschmerzen bekommt, sind die Beiden alarmiert. Sie googeln, was das „Netz“ zu diesem Thema sagt und fühlen sich bestätigt: Das könnte Corona sein. Lutz ruft noch am gleichen Abend die Notrufnummer 116 117 an.

Sie bekommen für Dienstag früh einen Termin im Medico-Zentrum Magdeburg. Dort wurde wenige Tage zuvor ein Fieberzentrum mit Behelfslabor eingerichtet. Die Abstriche werden von den Verdachtspersonen gezogen, etwa fünf Stunden später stehen die Ergebnisse fest.

Am Abend des 10. März haben sie Gewissheit: Lutz ging ans Telefon, als sich das Fieberzentrum meldet und ruft seiner Frau lakonisch zu: „Wir sind beide dabei – positiv getestet!“ Noch an diesem Abend informiert Lutz Röseler seine Mitfahrer und am nächsten Tag das Gesundheitsamt.

Jutta Röseler - sie ist selbständige Bauplanerin - sagt Termine ab und macht nur noch Homeoffice. Lutz delegiert landwirtschaftliche Aufgaben an seinen Sohn Max mit dem er zusammenarbeitet, der Gott sei Dank am anderen Ende von Glinde wohnt.

Das Ehepaar bricht jeglichen direkten Kontakt zu seinem Umfeld ab. Das alte Bauernhaus mit großem Grundstück hilft dabei, dass ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt.

Am 16. März kommt von der Gesundheitsbehörde des Salzlandkreises per Brief die „Anordnung der Absonderung in sogenannter häuslicher Isolierung“. Darin wird der Sars-CoV-2 -Erreger nochmal bestätigt. „Sollten Sie den Ihre Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommen, so hat die Absonderung zwangsweise durch Unterbringung in einer geeigneten abgeschlossenen Einrichtung zu erfolgen“, spricht das Papier Klartext. Anderenfalls droht eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ...

Zwischenzeitlich bekommt vor allem Jutta Röseler besorgte Anrufe von ihren Parteifreunden (Bündnis 90/Die Grünen), weil sie am Sonnabend, 29. Februar, an einem Landesdelegiertenrat in Halle teilgenommen hatte. Sie versucht die Anrufer gebetsmühlenartig zu beschwichtigen, dass ihr Gatte, quasi die Quelle allen Übels, ja erst in der Nacht zum Sonntag aus Südtirol zurückkam.

Die weitere medizinische Betreuung erfolgt durch die Barbyer Hausärzte telefonisch. Auch das Gesundheitsamt in Bernburg müssen die Röselers ständig auf dem Laufenden halten.

Nur über das Telefon und am offenen Fenster halten die Infizierten Kontakt zu Nachbarn und der Familie. An der Hoftür des Wohnhauses der Röselers (in der Nähe der Glinder Kirche) steht eine Kiste, in der bestellte Einkäufe abgelegt werden, Postpakete nimmt die Nachbarschaft entgegen. Die Volksstimme kommt täglich, merkwürdigerweise jetzt aber in einer weißen Kunststofftüte. Der Grundsatz: „Nichts raus - nur rein“ wird durchgehalten, auch die Mülltonnen werden nicht rausgestellt. Selbst der kleine blaue Geländewagen steht unter Quarantäne.

Lutz lässt sich ein paar Säcke Mörtel vor das Garagentor legen, um die lange schon geplante Ausfugung eines Hofgebäudes anzugehen und kümmert sich um den Garten. Jutta arbeitet ihre Aufträge per Telefon und E-Mail ab. Doch „übertreiben“ dürfen sie es nicht: frische Luft, ja. Bewegung auch. Abends sind sie geschafft. Sie schlafen öfter und länger als sonst.

Jutta merkt in der zweiten Krankheitswoche, dass ihr Geruchs- und Geschmackssinn beeinträchtigt ist. Außerdem steht ihr bei der kleinsten körperlichen Anstrengung der kalte Schweiß auf der Stirn. Bloß nicht ins Krankenhaus! Sie hört auf den Rat ihrer Ärztin, schont sich und geht für die nächste Zeit nicht mehr ins Büro. Die Tage schleppen sich wie zäher Sirup dahin.

24. März. Dann endlich: In einem Schreiben des Gesundheitsamtes Bernburg teilt Petra Mödig vom Fachdienst 34 mit: „Sie haben am 23.03.2020 telefonisch versichert frei von typischen Symptomen ... (Husten, Schnupfen, Fieber, Hals- und Kopfschmerzen) zu sein. Die angeordnete häusliche Isolierung ... wird daher mit sofortiger Wirkung aufgehoben.“ Es folgt der Hinweis, „für die nächsten 14 Tage enge Kontakte“ zu reduzieren. Das ist für sie nur ein Freispruch zweiter Klasse, Jutta und Lutz wollen ganz sicher sein und nicht nur einem Amtspapier vertrauen, zumal beide noch Husten und Schnupfen haben. Am 24. März erwirken sie einen (nicht vorgesehenen) Test-Termin in Bernburg.

Am Freitag, dem 27. März, bekommen sie vom Labor ebenfalls schriftlich bestätigt, „clean“ zu sein. Der erste Gang zurück in die Außenwelt führt Jutta zu ihrer Hausärztin, um etwas gegen eine Nasennebenhöhlenentzündung zu unternehmen, die sich auf den Corona-Infekt drauf gesetzt hat. Sie geht einkaufen und besucht ihre Mutter, die sie seit drei Wochen nicht gesehen hat – alles auf Distanz und mit Mundschutz. Lutz macht als erstes eine Feldbesichtigung mit dem Geländewagen.

Am Ende resümieren die Röselers: Wir haben Glück im Unglück gehabt, unser Krankheitsverlauf ist Gott sei Dank relativ milde verlaufen.

Insgesamt 19 Tage in häuslicher Quarantäne haben sie mit Unterstützung ihrer Familie, Freunde und Nachbarn gut überstanden. Sie sind nun immun und können das Virus nicht mehr weitergeben. Und Gott sei Dank waren sie nicht zur Kleinlichtmess im Goldenen Anker, wo gut 150 Glinder und ihre Gäste feierten ...

„Der Corona-Infekt ist für den einzelnen Menschen - wenn er mild verläuft - eine kleine Einschränkung, für die Mensch- heit hat er eine biblische Dimension ...“, sagt Jutta heute.

Jetzt, da sie wieder selbst einkaufen darf, sei sie teilweise entsetzt über die unbesorgten, ignoranten Mitmenschen! „Deshalb mein dringender Appell an alle: Bitte tragt alle einen Mundschutz beim Einkaufen und schützt so die Kassiererinnen und Mit-Kunden! Es ist doch nur eine kleine Einschränkung. Jeder vernunftbegabte Mensch sollte die Verantwortung übernehmen, die jetzt notwendig ist.“