Beschäftigung mit kunstvollen Gebilden aus Papier hilft über einen schlimmen Verlust hinweg Die "Sternefabrik" der Brigitte Baumeister
Als ihr Ehemann plötzlich verstarb, durchlebte Brigitte Baumeister eine schwere, durch den Verlust geprägte Zeit. Was ihr letztlich half, war ihre Fingerfertigkeit, mit der sie kunstvolle Sterne aus Papier entstehen lässt.
Schönebeck l "Es war mein 18. Geburtstag und ich wollte unbedingt tanzen gehen. Aber ich hatte keine Begleitung. Also fragte mein Bruder seinen Freund Peter, ob er mit mir ginge. Wir sollten uns in der Disco in Calbe an der Bar treffen. Ich traf schon früher ein, und mein Blick schweifte durch den Raum. Da sah ich ihn. Und er sah mich. Ich kam an diesem Abend nach Hause und sagte: Mutti, ich habe heute Abend den Mann gesehen, den ich später heiraten werde. Sie glaubte mir nicht und sagte ich spinne."
Der Moment in der Disco ist 40 Jahre her. Seit diesem Tag waren Brigitte und Peter unzertrennlich. Sie heirateten und bekamen zwei Kinder. Dann starb Peter. Von einer Sekunde auf die andere - an einem plötzlichen Herztod. Wenn Brigitte Baumeister von ihrem Mann spricht, strahlt sie über das ganze Gesicht. Sie erzählt von früher, als könne sie dadurch diese wunderschönen Momente noch einmal erleben. "Es war Liebe auf den ersten Blick - bei uns beiden. Wenn wir zusammen waren, haben wir alles um uns herum vergessen. Es war die ganz große Liebe. Wir wussten immer, was bei dem anderen los war", erklärt Brigitte Baumeister.
Plötzlich wird sie still. Ihr Blick gleitet aus dem Fenster, schweift in die Ferne. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Jetzt ist sie wieder in der Realität angekommen. In der Wirklichkeit, in der ihr Mann vor nicht mal einem Jahr verstorben ist. Sie allein gelassen hat - so fühlt es sich an. Seit diesem Tag im November 2012 ist nichts, wie es einmal war. "Meine Familie war für mich da. Alle waren sehr umsichtig und liebevoll", sie zeigt auf eine Stelle auf dem Boden im Wohnzimmer: "Dort ist er zusammengebrochen. Ich konnte hier in dieser Wohnung einfach nicht mehr sein. Alles hat mich an ihn erinnert. Das Sofa, auf dem wir zusammen gesessen haben, der Tisch, an dem er gegessen hat. Meine Familie und Freunde haben mir dann die komplette Wohnung renoviert. Haben sich um alles gekümmert. Und das alles haben sie umsonst gemacht. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar."
Die Rollenverteilung war bei den Baumeisters nicht immer klar. Brigitte arbeitete im Innendienst der Post, und Peter war Hausmann mit Leidenschaft. "Aber er machte auch alle Gelegenheitsarbeiten, die ihm vermittelt wurden. Er hat nie nein gesagt und war sich für nichts zu schade. Das war meist körperlich sehr anstrengende Arbeit. Aber das war ihm egal", erzählt sie und blickt wieder aus dem Fenster. Als ihr Mann plötzlich starb, musste Brigitte Baumeister auf einmal lernen, eigenständig zurecht zu kommen. Sie hatte ja noch nie alleine gelebt. 40 Jahre lang war ihr Mann für sie da, kochte, putzte, während sie zur Arbeit ging und das Geld verdiente. Diese neue Situation fordert der 58-Jährigen alles ab. Sie hat einige Zusammenbrüche. Im August dieses Jahres wird sie wegen Verdachtes auf Hautkrebs behandelt und krankgeschrieben.
"Jetzt musste ich sehen, dass ich mich beschäftige. Sonst würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Ich wollte einfach nur abschalten und mal nicht über meinen Verlust nachdenken müssen", erzählt Brigitte Baumeister. Da kam ihr eine Idee. Auf einer Kur vor einigen Jahren hatte sie eine Patientin kennengelernt, die wunderschöne Sterne aus Papier bastelte. Brigitte Baumeister stöberte im Internet nach weiteren Anleitungen. "Ich war schon immer eine begnadete Bastlerin. Ich habe nebenher ein wenig getöpfert und gemalt und die Sachen dann für die unsere Urlaubskasse auf dem Flohmarkt verkauft." Ihre Fingerfertigkeit hilft ihr auch jetzt. Zwar muss sie sich die Anleitungen und Videos im Internet immer und immer wieder anschauen, denn der sogenannte "Bascetta-Stern" hat 30 Einzelteile. Aber am Ende hat sie es geschafft. Anfänglich braucht sie noch zwei Tage für einen Stern, inzwischen sind es 45 Minuten.
"Ich habe rund um die Uhr gebastelt. Allein in diesem Jahr sind es bestimmt 500 Stück gewesen. Das hat mir geholfen, ab und zu nicht über meinen Schmerz nachzudenken", erzählt Brigitte Baumeister und lächelt tapfer. Dass ihr das nicht immer gelingt, muss sie nicht dazu sagen. Zu eng war die Verbindung zu ihrem Mann, zu groß ihre Liebe.