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Gericht Richterin: Wir dulden keine Selbstjustiz

Vier Angeklagte im Prozess, der den Überfall auf das Schönebecker Asylbewerberheim aufklären sollte, wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Von Bernd Kaufholz 12.08.2016, 18:08

Schönebeck l Die letzten Sätze der Vorsitzenden Richterin Sigrun Lehmann setzten gestern den vorläufigen Schlusspunkt unter die juristische Aufarbeitung des Überfalls auf das Schönebecker Asylbewerberheim am 20. August 2014. Vorläufig deshalb, weil die Anwälte der Angeklagten René B. (25), Robert (27) und Genevieve S. (26) wohl Rechtsmittel einlegen werden und der Fall dann womöglich vor dem Landgericht Magdeburg landet. Ob Mandy (35) und Andy B. (19), die sich selbst verteigten, ebenfalls Rechtsmittel einlegen werden, sei dahingestellt.

„Wir dulden in Deutschland keine Selbstjustiz“, mit diesen Schluss-Worten drückte Lehmann dem Vorgehen der Angeklagten den Stempel auf. „Die Rechtsordnung wird bei uns über die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht aufrecht gehalten.“

Die Richterin sah es nach der mehrtägigen Beweisaufnahme für erwiesen an, dass sich das Quintett der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung schuldig gemacht hat. Einen eindeutig fremdenfeindlichen Hintergrund habe sie hingegen nicht erkennen können.

René B., der gegenwärtig in Volkstedt eine Haftstrafe absitzt und in Handschellen zum Prozess gebracht wurde, muss sich auf eine Verlängerung seines Gefängnisaufenthalts einstellen. Er erhielt eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Lehmann: „Das Gericht hat dabei berücksichtigt, dass sich der Angeklagte teilweise eingelassen und von der Tat distanziert hat.“ B. habe während des Prozesses „Reue gezeigt“.

Anders sehe der Fall bei Mandy B. aus. „Ich hatte während der Hauptverhandlung den Eindruck, dass Sie den Prozess lächerlich finden, keine Einsicht zeigen und alles richtig finden, was Sie getan haben.“ Die 35-Jährige wurde zu einer Haftstrafe von acht Monaten - ausgesetzt zur Bewährung - verurteilt.

Dasselbe Strafmaß erhielt das Ex-Ehepaar Genevieve und Robert S. Im Falle der 26-Jährigen berücksichtigte das Gericht, dass sie aufgrund des Verfahrens ihre Arbeitsstelle verloren hat.

Bei Robert S. schlage auf der Minus-Seite zu Buche, dass er „zwei Asylbewerber und einen Wachmann in Angst und Schrecken versetzt“ habe.

Andy B. habe bei den Geschehnissen vor zwei Jahren „eine kleinere Rolle gespielt“. Allerdings hätte er sich vom Tatgeschehen auch distanzieren können, sagte Lehmann gestern. Das Urteil: 50 Sozialstunden und ein sozialer Trainingskurs.

In ihrer Beweisaufnahme fasste die Amtsgerichtsdirektorin noch einmal die Vorkommnisse am Tattag zusammen.

Eine 20-Jährige und ihre Freundin hatten sich am späten Abend des 19. August 2014 am Bahnhof Frohse von mehreren Ausländern sexuell belästigt gefühlt (Kussgeräusche und Hinterherpfeifen).

Aufgrund dieses Vorfalls schrieb die junge Frau ein paar Stunden später bei Facebook, dass sie Angst gehabt habe und soetwas auch anderen Frauen in Schönebeck passieren könne. Binnen kürzester Zeit erhielt sie daraufhin eine Vielzahl von Meinungsäußerungen.

Am 20. August hatten sich die Eintragungen im Internet auch bei einem Wachmann des Asylbewerberheims herumgesprochen. Er warnte deshalb beim Schichtwechsel einen jungen Mann, der seinen ersten Arbeitstag als Security hatte, dass etwas passieren könne.

Nun zur Rolle der Angeklagten. Sie trafen sich (mit weiteren Personen) gegen 20 Uhr am Asylbewerberheim. „Da war der gemeinsame Tatplan schon ausgeheckt“, so Richterin Lehmann. „Die Frauen standen am Tor und taten so, als ob sie in einer hilfsbedürftigen Lage seien. Sie riefen in Englisch ,Have you a telephone‘ und ,We need help‘, um zwei Asylbewerber, die vermeintlichen Belästiger, nach unten zu locken.“

Sie seien auch wirklich vors Haus getreten. Einer von ihnen habe jedoch nicht verstanden, was die Frauen wollten und sei wieder ins Haus gegangen.

Genevieve S. habe den anderen am Arm vor das Heim ziehen wollen. Als er ebenfalls wieder ins Heim gehen wollte, wurde er von Mandy. B. festgehalten. Beim folgenden Gerangel kamen die Männer, die sich im Gebüsch versteckt hatten, hervor und verfolgten den Heimbewohner, der sich im Haus in Sicherheit brachte. Dabei habe Robert S. den Wachmann „provokativ“ umgerannt. Als er erkannte, dass es der Wächter war, entschuldigte er sich mit den Worten: „Ich dachte, du bist einer von denen.“

Der Fliehende habe versucht, sich in der Küche im 3. Stock zu verbarrikadieren. „Drei bis vier Minuten traten und schlugen die Angeklagten gegen die Tür. Bis sie mitbekamen, dass die Polizei alarmiert war.“

Für das Gericht sei es aufgrund von Zeugenaussagen erwiesen, dass mindestens einer der Männer (Gordon K., gegen den gesondert verhandelt wird) eine Machete in der Hand hatte.

Richterin Lehmann: „Hätten die Angeklagten die Asylbewerber wirklich nur zur Rede stellen wollen, hätten sie diese nicht heimtückisch herausgelockt.“ Gewalt sei von vornherein eingeplant gewesen.

„Letztlich kam es ihnen gar nicht darauf an, wer die Belästiger waren. Ihnen kam es darauf an, allen zu zeigen, dass man so mit Frauen in Deutschland nicht umgeht.“