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Hebammen-Mangel Glückshormone kontra Bürokratie

Das Land braucht mehr Hebammen. Für Antje Hase aus Schönebeck ist dieser Beruf ihre Berufung.

Von Heike Liensdorf 06.02.2019, 05:00

Schönebeck l „Wenn ich mich mit den Frauen durch die Stunden kämpfe und dann dieses wahnsinnige Erlebnis der Geburt ... Dann sind die Glückshormone der Familie förmlich im Raum zu spüren." Antje Hase erzählt nicht von ihrem Beruf. Sie schwärmt davon. Die Schönebeckerin ist Hebamme aus Leidenschaft. Mittlerweile seit mehr als 30 Jahren, zehn Jahre davon in Schönebeck. Zum einen ist sie freiberuflich tätig und bietet auch Hausgeburten an. Zum anderen ist sie Beleghebamme im Ameos-Klinikum Schönebeck und im St.-Marienstift Magdeburg, ist also dort zugegen, wenn „ihre" Frauen entbinden. Das ist vertraglich mit der Klinik geregelt.

„Meine Mutter hat damals gesagt: Werde doch Hebamme", erinnert sich die heute 52-Jährige und muss schmunzeln. Wie soll sie mit 15 Jahren wissen, was sie einmal werden will. Aber für einen medizinischen Beruf muss man sich zu DDR-Zeiten zeitig entscheiden. Ihr schwebt vieles vor: Dekorateurin, Friseurin, Kellnerin, Krankenschwester ... Sie will Menschen helfen, ihnen etwas Gutes tun, sie umsorgen. Hebamme passt in diese Vorstellung gut. „Übrigens: Auch 1982 gab es einen Hebammen-Mangel", meint sie mit Wink auf die heutige Situation.

Die gebürtige Gardelegerin besucht für die Theorie die medizinische Fachschule Magdeburg, für die Praxis die Frauenklinik Stendal. Und mit 19 Jahren ist sie ausgebildete Hebamme. „Das war immer schön, wenn die Frauen gefragt haben, wann denn die Hebamme kommt. Ich habe dann kleinlaut gemeint: Ich bin‘s", erzählt sie und lacht herzlich.

1988 kommt ihre Tochter zur Welt, 1990 ihr Sohn. Antje Hase pausiert ein paar Jahre. Weil keine Hebammen-Stelle frei war, arbeitet sie erst einmal als Krankenschwester. In Selbständigkeit übernimmt sie Nachsorgen und unterrichtet an der Krankenpflegeschule Hebammerei. Dann ist 2002 in der Altmark eine Stelle frei. Sie stellt fest: „Die Geburtshilfe hat sich so verändert. Mehr Intimsphäre, Einsatz von Homöopathie und Akupunktur ..." Sie merkt aber auch: „Die Kliniken fangen an zu sparen. Immer mehr Druck, immer mehr Dokumentationen, immer mehr Administratives. Und damit eben weniger Zeit für die Frauen." Sie wird unzufrieden.

Für die Liebe gibt sie ihre Anstellung auf und zieht 2009 nach Schönebeck. Und Antje Hase fasst einen Entschluss: „Ich will nicht mehr fremdbestimmt sein, ich will mein eigener Chef sein." Ein Blick auf die Übersichtskarte vom Hebammenverband gibt ihr noch eine extra Portion Sicherheit: In der Region Schönebeck werden Hebammen gebraucht. Über Langeweile kann sie nicht klagen: Pro Jahr hat sie um die 75 Geburten und betreut um die 120 Frauen. „Wir haben hier um die 500 Geburten im Jahr, fünf Hebammen hätten hier gut zu tun", schätzt sie ein. Zu dritt sind sie derzeit.

Leben auf die Welt helfen – ein Traumberuf. Doch warum wollen dann so wenige Hebamme werden? Aktuell sind 431 Frauen in dem Beruf tätig, doch schon jetzt gibt es vor allem in den Kliniken und im ländlichen Raum eine Unterversorgung. In 10 bis 15 Jahren scheiden schätzungsweise 184 Hebammen altersbedingt aus. Das sind die Ergebnisse einer jüngst vorgestellten Studie im Auftrag des Sozialministeriums.

Für Antje Hase überwiegt die Freude am Beruf. Doch sie kann sich auch vorstellen, dass sich schnell abschrecken lässt, wer noch nicht „infiziert" ist. „Wenn immer mehr Kreißsäle schließen, weil Hebammen fehlen, ist das ein schlechtes Aushängeschild für den Beruf. Wer will denn dann noch Hebamme werden?" Seitdem die Krankenhäuser privatisiert sind, seien die Personalkosten der erste Posten – weil auch der größte, bei dem gekürzt wird. „Der Patient will umsorgt werden, das braucht Zeit. Das lässt sich nicht mathematisch analysieren. Es macht keinen Spaß mehr, wenn man immer nur beschnitten wird. Teilweise dokumentiert man mehr, als das man beim Patienten ist", so die 52-Jährige. Sie ist sich sicher: „Wenn die Kliniken sagen würden, sie stellen mehr Hebammen ein und verbessern die Bedingungen, dann denke ich, würden auch viele Mädels den Beruf ergreifen wollen." Vielleicht liege es auch daran, dass es momentan generell bei Pflegeberufen kranke. Ob Kranken- oder Altenpflege, oder eben bei den Hebammen.

Auf die hohen Summen der Haftpflichtversicherungen angesprochen, die die Hebammen stemmen müssen, wiegelt Antje Hase ab. Personenschäden werden in Deutschland immer höher versichert – nämlich mit 5 Millionen Euro – und die steten Beitragserhöhungen würden nicht nur diese Berufsgruppe betreffen. Sie zahle etwa 9.000 Euro im Jahr, erhalte aber von den Krankenkassen einen sogenannten Sicherstellungszuschlag pro Geburt zurück. Somit bleibe für sie eine tatsächliche Versicherungssumme von 2.500 Euro, die sie leisten muss. Das sei für sie okay. „Das ist ganz normal: Wenn ich eine Geburt leite, hafte ich dafür – egal, ob ich bei einer Hausgeburt bin oder im Krankenhaus als Beleghebamme. Wird ein Arzt hinzugezogen, haftet er oder die Klinik mit", erklärt sie.

Apropos Hausgeburt: Sie hätte eigentlich immer zu viel Respekt davor gehabt. Was alles passieren kann ... Aber dann sei da eine Anfrage von einer taffen, starken Frau gewesen. „Und ich wusste, ich möchte das mal erleben. Wir haben es gemeinsam durchgezogen. Das zu erleben, ist großartig. Ganz anders als eine Geburt in der Klinik." Doch für diese eher seltenen tollen Momente muss sie noch mehr dokumentieren, ja sogar ein Audit ablegen. Das ist es ihr wert und sie erhält Anfragen aus der Region, aber auch aus Burg oder Salzwedel. „Weil es so wenige Hebammen gibt, die Hausgeburten anbieten. Eigentlich unverständlich, es ist doch die normalste Sache der Welt, das haben wir nur vergessen", sagt sie und merkt an: „In den Niederlanden werden 65 Prozent aller Kinder daheim geboren."

Antje Hase bricht abrupt ab und lauscht. Nein, ihr Handy klingelt nicht. Innerlich ist sie immer auf Abruf. Bei einer ihrer Hochschwangeren könnte es jede Stunde soweit sein. „Die Familie muss das tolerieren. Freunde auch", sagt sie. Wie oft sie Freunden schon absagen musste, weil sie in den Kreißsaal musste. „Sorry, das geht vor", verteidigt sie ihren Beruf.

Pro Monat kümmert sie sich um maximal zwölf Frauen. Mehr könnte sie annehmen, will sie aber nicht, sie will sie umsorgen können. Und zwar von der sechsten Woche bis ein Jahr nach der Geburt, wenn die Frau das wünscht. Direkt vor der Geburt besucht sie sie alle zwei Tage, direkt nach der Geburt jeden Tag, dann einmal in der Woche.

Wichtig: Alles muss dokumentiert werden. So sehen es die Richtlinien der Hebammenberufsverordnung vor. „Nur wenn ich alles aufschreibe, kann ich ordentlich mit den Kassen abrechnen. Für jede Handlung sind Zeiten vorgegeben, brauche ich länger, muss ich das begründen." Also auch an den Freiberuflichen geht die Bürokratie nicht vorbei. Dennoch: Antje Hase würde wieder Hebamme werden.

Mit ihrer Begeisterung für diesen Beruf hat sie Sarah Höhler angesteckt. Die 26-Jährige hat zwei Kinder, bei beiden war Antje Hase ihre Hebamme. „An ihrem Geburtstag kam eine meiner Töchter zur Welt", erzählt die Schönebeckerin, die derzeit bei Antje Hase ein Praktikum absolviert. Diese schmunzelt und sagt: „Mein Geburtstagsgeschenk." Sarah Höhler ist noch in der Elternzeit. Vorher hat sie als Einzelhandelskauffrau gearbeitet, doch in diesen Beruf möchte sie nicht zurück. Sie überlegt, Hebamme zu werden. „Ich habe mich bei Anja immer wohlgefühlt. Vielleicht wäre das auch etwas für mich, anderen Frauen bei der schönsten Sache der Welt, der Geburt, zu helfen. Diese pure Liebe der Eltern zu ihrem Kind, es gibt nichts, was ehrlicher ist – das ist toll", schwärmt sie.

Sarah Höhler kann nicht verstehen, warum es keinen Hebammen-Nachwuchs gibt. Bürokratie, Zeitdruck, Kosteneinsparungen – das gebe es auch in anderen Jobs, das schrecke sie nicht ab. Eventuell liege es auch daran, so die 26-Jährige, dass für diesen Beruf zu wenig geworben werde. Antje Hase überlegt kurz und gibt ihr Recht. „Stimmt", sagt sie und holt ein Plakat vom Deutschen Hebammenverband hervor. „Eine super Idee", es sollte dafür mehr geworben werden.