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Industriemuseum Tübkes Schüler findet sein Bild in Schönebeck

Im Rahmen der Tübke-Ausstellung im Industriemuseum berichtet dessen Schüler über die Ausbildung bei dem Übervater der Leipziger Schule.

Von Jan Iven 16.08.2019, 11:02

Schönebeck l Ein bisschen merkwürdig ist es für den Künstler schon, sein verschollen geglaubtes Gemälde nach 30 Jahren wiederzusehen. „Es läuft mir kalt den Rücken runter, wenn ich mein Bild heute betrachte“, sagt der Magdeburger Rudolf Pötzsch über sein Gemälde vom Reformator Thomas Müntzer aus dem Jahr 1989. Pötzsch war am Mittwochabend ins Schönebecker Industriemuseum gekommen, um im Rahmen der Tübke-Ausstellung über sein Studium bei dem Übervater der Leipziger Schule zu berichten. Und um sein eigenes Bild nach so langer Zeit endlich wiederzusehen, das dort gezeigt wird.

Pötzsch hatte das Gemälde von Thomas Müntzer nach drei Jahren Arbeit kurz vor dem Fall der Mauer fertigstellt. „Ich bin ein Langsam-Maler“, erklärt der 68-Jährige den rund zwei Dutzend Zuhörern im Schönebecker Industriemuseum fast schon entschuldigend. Das Gemälde war als Auszeichnung für den DDR-Kulturbund in Auftrag gegeben worden, der seinerzeit im Schloss Großmühlingen residierte. Die Wende kam mit all ihren Wirren, das Schloss wurde verkauft, der Kulturbund wandelte sich zum Kirchbauverein Großmühlingen, und der brachte das Gemälde in der Kirche Großmühlingen unter.

Bis nach mehr als 15 Jahren entschieden wurde, dass das Bild des Reformators und Bauernführers Thomas Müntzer den Gläubigen nicht mehr zuzumuten sei. So bekam es vor zwei Jahren schließlich seinen Ehrenplatz im Clubraum des Industriemuseums und wurde anlässlich der aktuellen Tübke-Ausstellung erneut der Öffentlichkeit präsentiert.

Doch als Maler Pötzsch in einem Interview berichtete, dass das Bild verschollen sei, wurden die Schönebecker aufmerksam und luden den Tübke-Schüler ein, um bei der Tübke-Ausstellung über seinen alten Professor zu berichten. Wie es denn damals so war, in der berühmten Leipziger Schule. Vor allem Disziplin war gefragt. „Die forderte Tübke von seinen Schülern ein, und es hätte sich auch niemand getraut, bei ihm zu spät zum Unterricht zu erscheinen“, sagt Pötzsch. Doch darauf wäre auch niemand gekommen, schließlich seien die Schüler geradezu versessen darauf gewesen, von dem Meister zu lernen. Fast schon wahnsinnig sei Werner Tübkes Arbeitspensum gewesen, auch ein bisschen zwanghaft.

Doch Tübke konnte wohl auch anders: „Man muss sich auch mal fallen lassen“, soll er gern gesagt haben und machte zum Geburtstag seiner Schüler schon mal 50 Ostmark für Schnaps locker. Geraucht wurde im Unterricht sowieso und eben immer wieder auch getrunken. Künstler halt.

Die Zigaretten vergaß der Meister meistens, schnorrte bei den Schülern und signierte im Gegenzug die Zigarettenschachteln. Das Aktmodell kurz vor der Rente. „Also 57 Jahre alt“, ergänzt Pötzsch, als das Publikum zunächst nicht reagiert. Doch Tübke hätte niemals in die Arbeiten seiner Schüler hineingezeichnet. Stattdessen legte er ein weiteres Blatt auf die Fingerübungen seiner Schützlinge und zeichnete dort die Korrekturen ein. Wenn Tübke gut drauf war, signierte er auch diese Blätter. Drei Stück hat Pötzsch davon noch zu Hause. Eingerahmt.

Unvergessen auch der Moment, als Pötzsch den Professor auf seinem Moped nach Hause fuhr. Dort wollte er Farbpulver abholen. „Guck mal, Angelika, ich bin Mofa gefahren“, soll Tübke seiner damaligen Frau stolz zugerufen haben.

Pötzsch selbst habe schon immer gemalt und gezeichnet, so lange sich der gebürtige Leipziger erinnern kann. Schon im Alter von 15 Jahren bekam er einen Termin beim Künstler Wolfgang Mattheuer. Der fand die Arbeiten offenbar „ganz beachtlich. Und so konnte der Jugendliche seine ersten Zeichenkurse belegen.

Pötzsch machte sein Abitur und eine Ausbildung zum Drucker. Doch das Ziel Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig war für ihn immer klar und wurde schließlich auch von den Eltern „zähneknirschend“ akzeptiert. Pötzsch studierte bis 1975 bei Hans Mayer-Foreyt, Rolf Kuhrt, Arno Rink und eben Werner Tübke. Nach dem Studium zog es ihn nach Magdeburg, „der Liebe wegen“, wo er als freischaffender Künstler arbeitete.

Geht es nach Pötzsch, war das Künstlerleben zu DDR-Zeiten einfacher. Bei allen öffentlichen Bauten sprangen immer auch genügend Aufträge für seine Zunft ab, im Gegensatz zu heute. Zensur und Vorgaben habe er nicht gespürt. „Wir konnten malen, was wir wollten“, sagt Rudolf Pötzsch. Auch heute spüre er durch privaten Auftraggeber keinen Druck. Er werde schließlich engagiert, weil er so male, wie er malt. Da habe man ihm immer freie Hand gelassen. Und bei Por-träts sehen die Leute sowieso so aus, weil sie eben aussehen. Daran könne auch ein Künstler nichts ändern. Mit seinem Professor Tübke habe er zudem immer harmoniert. Anders wäre es auch nicht gegangen. Man eiferte ihm nach. Einen jungen Wilden habe es damals hingegen nicht gegeben.

Im Industriemuseum steht Pötzsch schließlich nach 30 wieder vor seinem Bild. Und soll darüber reden, was er eigentlich gar nicht mag, wie er sagt. Eine Auftragsarbeit, „Anlasskunst“, wie es hieß, es gab damals wohl so eine Art Müntzer-Jahr, wenn sich Pötzsch richtig erinnert.

Der Künstler selbst getauft, konfirmiert, doch zum Zeitpunkt des Schaffens bereits aus der Kirche ausgetreten, interpretiert den Reformator als Visionär Gottes. Der Revolutionär im Bauernkrieg, radikaler als Luther, von dem er sich abgrenzte. Ohne Buch, nur mit ein paar Texten in der Hand, wird Müntzer dargestellt, der sich am Menschen orientierte und weniger an der Bibel. Der die Ständegesellschaft mit dem Bauern auf der untersten Stufe hinwegfegen wollte und dabei gescheitert ist und für seinen Aufstand hingerichtet wurde. So ein Gemälde kommt nicht ohne intensive Recherche aus und lässt sich für Pötzsch auch nicht in wenige Worte fassen.

Der Künstler malt auch heute noch. An der Volkshochschule gibt er ein paar Kurse. Bei seinem Vortrag im Industriemuseum nagelt ihn der Vereinsvorsitzende Georg Plenikowski auch noch gleich fest, im nächsten Jahr mit einer eigenen Ausstellung nach Schönebeck zurückzukehren. Das mache er gern, verspricht Rudolf Pötzsch.

Ausstellung „90. Geburtstag von Werner Tübke“. Noch bis 24. August im Industriemuseum Schönebeck, Ernst-Thälmann-Straße 5a. Der für Freitag vorgesehene Vortrag zu Tübke muss leider ausfallen.