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Jugendweihe Ritual mit großen Erwartungen

Insgesamt 79 Jugendweiheteilnehmer vom Calbenser Gymnasium und der Sekundarschule wurden in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen.

Von Susann Salzmann 27.05.2018, 15:50

Calbe l Sie besetzen die Plätze in den ersten Reihen und gehören zur „First class“ (zu Deutsch: Ersten Klasse). Ihr Ziel: Die Zukunft, gespickt mit lebensverändernden Entscheidungen. Gestern noch ein Kind, heute Jugendweihling und morgen ein halber Erwachsener. So einfach ist es sicherlich nicht, aber 79 Schülern des Calbenser Friedrich-Schiller-Gymnasiums und der Herder-Sekundarschule wird mit der Jugendweihfeierstunde der rituelle Übergang in den Kreis der Erwachsenen geboten.

Auf der Bühne stehen Jungen in Anzügen, zum Teil mit Schlips, die der Betrachter nicht mehr als Junge, sondern vielmehr als Mann ansieht. Die Mädchen strahlen in prachtvollen Kleidern. Nicht die Mädchen als vielmehr die jungen Frauen schauen Freude strahlend von der Bühne auf ihre Angehörigen herab. Grund zum Weinen? Den gibt es auch – für so manche Eltern und Großeltern, die ihre Emotionen nicht unterdrücken können.

Zu den Jugendweihlingen gehört unter anderem die 14-jährige Kathrin Kuczora. Sie trägt anlässlich des Tages ein royalblaues Kleid, sorgsam ausgewählt. Die Eltern der Barbyerin haben sie für die Jugendweihe angemeldet. Wir sind alle Heiden“, begründet Kathrins Vater Thomas, warum eine Konfirmation nicht infrage kam. Außerdem haben sowohl er als auch seine Frau und sogar die Großeltern Jugendweihe gefeiert. Deshalb soll auch die Tochter und Enkelin den neuen Lebensabschnitt mit der Jugendweihe begehen.

Mehr Verantwortung soll ihr nun zuteil werden, obwohl Vater Thomas eingestehen muss: „Sie ist schon sehr selbständig“, verweist er auf zahlreiche Ehrenämter seiner Tochter, in denen sie Diszplin und Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen muss. Beispielsweise bei der Calbenser Ortsgruppe des Technischen Hilfswerkes sowie bei den „Dancing Maries“ der Barbyer Heimatfreunden. „Es ist ein Tag, an dem man etwas festmacht; einen, an dem man die engste Familie sieht und weiß, wer für einen da ist“, kommentiert das Mädchen die Bedeutung des Jugendweihtages. Von ihrem Jugendweihgeld soll etwas Nützliches angeschafft werden, erklärt sie erwachsen.

Kuczoras Opa Jürgen Stranz ist von der Feierstunde emotional hingerissen. Jugendweihe – das passe ins 21. Jahrhundert, spielt er auf die moderne Ausgestaltung an. Von der einstigen „inhaltlichen Steife“ mit langen Rezitationen habe man sich weiterentwickelt, meint Margitta Fleischer vom Jugendweiheverein. Musikbeiträge und Dankesworte lockerten die Atmosphäre auf. Und dazu ein markiger Spruch für jeweils vier Jugendweihlinge, bevor sie die große Bühne der Gymnasiumsaula verlassen. Auch die können ruhig etwas markiger ausfallen und die elterlichen Ansichten – vom Jugendweihalter aus betrachtet – infrage stellen.

Dass Jugendweihe eine Generationenangelegenheit ist, kann an Familie Kuczora abgelesen werden. „Es ist typisch, dass Eltern ihre Kinder zur Jugendweihe anmelden, weil sie selbst schöne Erinnerungen daran haben“, weiß Fleischer. Sie selbst kümmert sich um die Jugendweihteilnehmer im Altkreis Schönebeck. Die Zahl der Teilnehmer ist mit 60 Prozent über die Jahre konstant. Was sich ihrer Meinung nach verändert habe: „Die Jungen kommen als richtige Herren und gehen heutzutage selbstbewusster in die Veranstaltung als noch vor Jahren“, resümiert sie. Fleischer spricht dabei aus Erfahrung. Immerhin organisiert sie die Festveranstaltung nunmehr seit 1995.

Für Paul Hüttl aus Nienburg setzt die Feierstunde einen Schnitt. Geht es nach den Eltern, lernt der Sohnemann nun, was es heißt, Prioritäten zu setzen. „Er soll nun lernen, dass man etwas tun muss, um etwas zu erreichen“, wünscht sich Mutter Henriette Hellfritsch-Hüttl. Konkret heißt das für den Sekundarschüler: Mehr Zeit in Schulbildung zu investieren, um die angestrebte Traumausbildung zum Automobilkaufmann zu bekommen und zu bestehen.

Wichtiger, das stellt der Calbenser Bürgermeister Sven Hause als „Pilot“ des „Jugendweih-Expresses“ heraus, sei das ehrliche, faire Miteinander. „So erfahrt auch ihr Ehrlichkeit, Fairness und Chancengleichheit“, mahnt Hause. Mit Unworten der Jugendsprache trägt er seine Erwartungen an den Jugendweihjahrgang 2018 heran: Statt „rumoxidieren“ (sich motivationslos treiben lassen), sollten die Heranwachsenden beruflich die wirtschaftliche Stärke stellen und an der Weiterentwicklung des Gemeinwesens mitwirken. Besonders wichtig ist ihm allerdings: „Streicht die Heimat nicht aus euren Zukunftsplänen“.

Jugendweihe – ein Lebensabschnitt, der von den Jugendlichen zunehmend mehr Verantwortung und Entscheidungsbewusstsein in einer pluralistischen Welt verlangt. Ein Tag, der Kraft für weiteres geben kann. Das macht für Fleischer die Bedeutung des Tages aus. Die Schüler sollten diesen in ihrer Heimat feiern – dort, wo sie auch die Schule besuchen. Hier bestehe die Beziehung. Dafür kämpfe Fleischer jedes Jahr auf’s Neue um einen würdigen festlichen Rahmen und eine ansprechenden Räumlichkeit.

Was in Calbe die gymnasiale Aula ist, ist in Schönebeck der Tolberg-Saal. Vor Jahren habe man in Schönebeck noch im „Braunen Hirsch“ gefeiert. Der stieß laut Fleischer wegen seines nicht mehr zeitgemäßen Ambientes auf missmutige Stimmen. Der Toelberg-Saal sei eine würdige Alternative.